Akte symbolischer Verheiratung

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"Übermaler“ Arnulf Rainer hat ein Leben lang Fotografien ihm unbekannter, meist nackter Frauen gesammelt - um sie in gestischer Umkreisung zu vervollkommnen. Mehr als sechzig Beispiele aus fünf Jahrzehnten zeigt die Galerie Thoman modern in Innsbruck.

Arnulf Rainer scheint Frauen gegenüber ein Schüchterner zu sein. Setzt er sich in seiner Kunst doch nicht Aug’ in Aug’ mit leibhaftigen weiblichen Gegenübern auseinander, sondern mit deren von anderen fotografierten Abbildern. Und das ein Leben lang, wie die aktuelle Ausstellung bei Thoman modern eindrucksvoll vorführt, die von einem schön gemachten, mit Texten von Peter Weiermair und Andrea Madesta unterfütterten Buch (Snoeck-Verlag) begleitet wird.

Der Voyeur, der vielleicht glaubt, in dieser Schau mit sexuell anzüglichen Bildern bedient zu werden bzw. hofft, Detailliertes über Rainer erotische Vorlieben zu erfahren, wird enttäuscht. Der inzwischen 83-jährige Künstler outet sich hier als ebenso sensibler wie wütender Interakteur mit einem Gegenüber, das er nicht kennt. Der gebürtige Niederösterreicher, der nie eine Kunstakademie besucht hat, spinnt hier jene Selbstgespräche weiter, die er nach ersten Ausflügen ins Surreale in den späten Sechzigerjahren begonnen hat: wo sein eigenes, oft fratzenhaft verzerrtes Gesicht bzw. sein Körper Thema malerischer Auseinandersetzung war, die oft in die schmerzhafte Verwandlung der eigenen Identität, bisweilen fast totale Selbstauslöschung mündete.

Altersmilde

"Ich wollte nie zerstören, nur vervollkommnen“, um "mehr sichtbar zu machen“, hat Arnulf Rainer einmal gesagt. Eine Manie, die den Künstler auch zum rastlosen Sammler von Frauenbildern der unterschiedlichsten Art hat werden lassen. Dieses Archiv hat inzwischen einen beachtlichen Umfang, umfasst nostalgisch daherkommende Postkarten erotischen Inhalts aus dem 19. Jahrhundert genauso wie Autogrammkarten von Filmdiven ganz im Stil der Fünfzigerjahre, Bilder von eleganten, scheinbar der Schwerkraft trotzenden Tänzerinnen und sich skurril verrenkenden Schlangenfrauen.

"Wenn mir eine gefällt, baue ich sie in meine Arbeit ein“, sagt Rainer, und das passiert ganz offensichtlich oft. Wobei sich dieses Gefallen mit den Jahren gewandelt, die ehemals wuterfüllte Aggression sich verflüchtigt hat, einer zarten Umschmeichlung des weiblichen Körpers gewichen ist. "Ja, ja, ich hab mein Testosteron verloren und bin ganz sanft geworden, fast lyrisch und kontemplativ“, kommentiert Rainer diese seine Altersmilde selbst und lächelt.

Die 63 Frauenbilder, die bei Thoman modern zu sehen sind, demonstrieren fabelhaft diese Metamorphose, die eine voller rätselhafter Brüche, innerer Widersprüche und formaler Zäsuren ist. Beginnend mit Arbeiten aus den Siebzigerjahren, als Rainer Aktfotografien mit Ölkreiden, Tuschen und schwarzen Stiften rhythmisch umkreiste, weiterdachte, kommentierte, sie aber auch obszön beschmutzte, teilweise auslöschte oder zur Basis komplett neuer, bisweilen skurril bzw. ironisch daherkommender Formfindungen machte. Immer um sich mit der Frau auf symbolische Art und Weise zu "verheiraten“, wie es Arnulf Rainer selbst ausdrückt: in einem virtuellen Liebesakt, der zwischen Vergewaltigung und Anbetung schwankt. Was letztlich mit der jeweiligen psychischen bzw. emotionalen Verfasstheit des Künstlers beim Akt des Malens zu tun hat. Gestimmtheiten, die sich auf vielen der Bilder reizvoll überlagern. Indem Arnulf Rainer etwa in den Siebzigerjahren bereits übermalte Fotografien zehn oder fünfzehn Jahre später erneut bearbeitet - um zum Übermaler von sich selbst, zum Kommentator des Kommentators zu werden. Das Endprodukt sind Arbeiten, in denen die eigentliche Quelle der Erregung oft fast nicht mehr auszumachen ist, ertränkt in expressiv gesetzten Pinselstrichen, einem Meer verspritzender und rinnender Farbe.

Völlig anders ist die Atmosphäre in Rainers neuesten Frauenbildern. Seine virtuellen Gegenüber sind nun schöne Nackte in neckischen Posen, wie sie vor etwa hundert Jahren als erotisch empfunden wurden, heute aber eher als Karikaturen des Weiblichen daherkommen. Sie werden vom Künstler dekorativ in pastellige Schleier gehüllt, ähnlich wie die Gesichter von Filmdiven, die er dekorativ in bunte Lichter taucht, ohne im Geringsten ihre Psyche zu berühren.

Rainer und die Frauen

Thoman modern

Maria-Theresien-Straße 34, 6020 Innsbruck

bis 18. Jänner

www.galeriethoman.com

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