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Eine junge Literatur kommt nach Wien – wo sie schon früh Zuflucht fand.

Vielfältige Verbindungen zwischen Wien und Tirana gibt es schon lange. Zwei der wichtigsten Symbole des albanischen Widerstands gegen die osmanische Herrschaft, und mittlerweile wohl Ikonen des albanischen Widerstands schlechthin, befinden sich sogar in der Hofjagd- und Rüstkammer des Wiener Kunsthistorischen Museums: das Schwert und der gämsenkopfbestückte Helm des Fürsten Georg Kastriota Skanderbeg. Ihm gelang es um 1444 von der mittelalbanischen Festung Kruja aus, den Türken einige Jahre standzuhalten. Dann fiel Albanien dem Weltreich in die Hände. Was folgte, waren 500 karge Jahre für die albanische Literatur. Die Veröffentlichung und Verbreitung albanischer Schriften wurde von der osmanischen Zensurbehörde verboten. Zugelassene Literatursprachen waren das Persische, Griechische und Türkische.

Die Geburt des Albanischen

Auch Naim Frashëri, eine weitere Nationalikone und bedeutendster albanischer Literat des 19. Jahrhunderts, der heute fast einhellig als „Vater“ der modernen albanischen Literatur betrachtet wird, verfasste den Großteil seiner Schriften nicht auf Albanisch. Dafür kam der zeitlebens kränkelnde Dichter nach Wien, um sich in Baden vom Rheuma kurieren zu lassen. Als Direktor der Zensurbehörde im osmanischen Ministerium für Volkserziehung konnte er einen gewissen Einfluss geltend machen und ab und zu das Veröffentlichungsverbot etwas lockern. Trotzdem verfasste er erst in ziemlich fortgeschrittenem Alter Lyrik und Prosa in seiner Muttersprache. Darunter das patriotische Gedicht „Albanien“ (Shqipëria), das ab 1880 als Handschrift verbreitet und unter Patrioten begeistert aufgenommen, aber erst 1897, drei Jahre vor seinem Tod, tatsächlich veröffentlicht wurde.

Die großen Lyriksammlungen, für die Frashëri bekannt ist, wie der Gedichtzyklus „Sommerblumen“, den jedes albanische Schulkind kennt, mussten damals in Bukarest erscheinen. Mit Versen wie „Wie ich das ganze Leben liebe, / denn in ihm findet sich die Wahrheit! / Die Sterne, der Mond, die Weite … tapfer und gefühlvoll, / und wahre Männer, / hat unser Land hervorgebracht, / Gott selber weiß es genau“ legte er die Basis für eine einheitliche Literatursprache, die sich aus dem ungeschliffenen Jargon des 19. Jahrhunderts erst entwickeln musste.

Der nächste Kreis nach Wien schließt sich über Naims Bruder Sami, ebenfalls Schriftsteller, aber vor allem Aktivist in der nationalen Befreiungsbewegung. Seine Schrift „Albanien – was war es, was ist es, was wird es werden. Gedanken und Betrachtungen über die unser geheiligtes Vaterland Albanien bedrohenden Gefahren und deren Abwendung“, mit der er erstmals den Anspruch der Albaner auf einen unabhängigen Nationalstaat formulierte, erschien 1913 bereits in deutscher Übersetzung. In Wien.

Nachdem das Fundament für die „Rilindja“, die albanische „Wiedergeburt“ gelegt war, wurden 1908 von einer Versammlung von Schriftstellern und Intellektuellen im mazedonischen Monastir die Grundlagen der albanischen Sprache beschlossen. Unter anderem zum Beispiel, dass mit lateinischen Buchstaben geschrieben wird. Bis dahin war parallel dazu die griechische und vereinzelt sogar die arabische Schrift verwendet worden. Erst 1912 mit der Ausrufung der Unabhängigkeit des Landes wurde das Albanische als Amts- und Schriftsprache eingeführt. In diese Zeit fällt das Wirken von Gjergj Fishta, dem ersten je für den Literaturnobelpreis nominierten albanischen Schriftsteller, der ebenfalls ein Teilnehmer am Kongress von Monastir war.

Die albanische Literatur ist also eine junge Literatur, seit kaum 100 Jahren erst offiziell existent. Und bereits in ihren Anfängen dauerte die literarische Freiheit nur kurz. Obzwar unter dem folgenden kommunistischen Regime die albanischsprachige Literatur erstmals ein Pflichtfach an den Schulen war, waren die Auswirkungen der Diktatur für Literaturschaffende verheerend wie überall. Besonders die Lyrik wurde zur Propaganda für den „Erfolg“ des Systems instrumentalisiert. Ein falscher Halbsatz konnte Folter, Zwangslager oder jahrzehntelange Haft zur Folge haben. Dementsprechend umfangreich ist die zeitgenössische albanische „Gefängnisliteratur“. Ein bedeutender Vertreter davon, Visar Zhiti, ist demnächst im Literaturhaus Wien zu Gast. In den siebziger Jahren wurde er wegen eines Gedichtes mit dem Titel „Die zweite Sonne“ zu zehn Jahren Haft verurteilt.

„Viel Blut/wurde vergossen in dieser Welt/aber noch haben wir keine Blutsonne geschaffen./Hör mein Freund,/die bebenden Worte:/eine zweite Sonne wird aufgehen/aus unserem Blut/eine herzförmige.“, heißt es da. Die Sehnsucht nach der zweiten Sonne wurde von den staatlichen Anklägern als Ruf nach einem anderen politischen System interpretiert und trug dem Dichter sofortiges Schreibverbot ein.

Wechselbeziehung zu Wien

Während der vom 7.–9. Oktober in Wien stattfindenden „Albanischen Literaturtage“ werden Zhiti und fünf weitere Schriftsteller ihre Werke vorstellen. In deutsch- albanischen Lesungen präsentieren Mimoza Ahmeti, Helena Kadare, Albana Shala, Lazër Stani und Visar Zhiti Lyrik und Prosa. Und in ihren Texten tun sich wieder verblüffend viele Wechselbeziehungen zu Österreich, und insbesondere zu Wien, auf. Ob Shala einen „Digitalen Papst“ erfindet, „Einen Papst, den wir niemals in Zweifel ziehen / … einen unfehlbaren / wiederaufladbaren / dem nichts weh tut / einen digitalen Papst“, Stani in seiner Erzählung „Nach Bregenz fährt man zum Sterben“ eine Zugfahrt von Wien nach Vorarlberg beschreibt, Kadare über den Vorteil der Hässlichkeit gegenüber der Schönheit argumentiert, Ahmeti vom „Kampf ums Normalsein“ erzählt oder Zhiti in seinem Roman „Gott rückwärts und seine Geliebte“ den Garten im Freudmuseum als eine „wunderbare Atemnot“ schildert. Allesamt Stimmen, die etwas zu sagen haben, und denen zuzuhören sich lohnt.

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