Aleviten waren immer ein Teil des Islam

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Die "Islamische Alevitische Glaubensgemeinschaft“ wurde vom Kultusamt als Bekenntnisgemeinschaft anerkannt. Ein Islamgelehrter nimmt Stellung dazu.

Die "Islamische Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich“ (IAGÖ) wurde vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) als eine Bekenntnisgemeinschaft anerkannt, und nun möchte die Islamische Alevitische Gemeinschaft auch als Religionsgemeinschaft anerkannt werden. Die Islamische Alevitische Gemeinschaft unterscheidet sich damit von den alevitischen Organisationen in Deutschland, indem sie den Bezug zum Islam hervorhebt. Zu diesem Bezug sagte Birol Kilic von der Monatszeitung Yeni Vatan Gazetesi: "Wir sind waschechte Muslime“. Die Aleviten würden sich auf den Koran stützen, ihn aber nicht als ein Gesetzesbuch betrachten.

Mir ist kein Beschluss oder Gutachten bekannt, aus dem hervorgeht, warum die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) nicht in der Lage wäre, die religiösen Belange der islamisch-alevitischen Organisationen zu berücksichtigen und sie als einen Teil des Islam anzuerkennen. Noch unverständlicher erscheint aber aus theologischer und gesellschaftlicher Sicht, wie man diese Menschen als "Nicht-Muslime“ bezeichnen kann, wenn sie sich selbst zum Islam bekennen. Nicht erst durch diese Entscheidung des VfGH müssen sich die Muslime auf ihre eigene Tradition besinnen, da die Vielfalt im Islam immer ein Teil dieser Religion war.

Legitime Unterschiede im Islam

Unterschiedliche Rechtsschulen und Glaubensrichtungen im Islam sind immer selbstverständlich gewesen. Der Islam brachte auch keine religiöse Institutionen hervor, die einer Person ihren Glauben absprechen können. Der Glaube und die Glaubenspraxis bilden ein Verhältnis zwischen Gott und Gläubigem, das wiederum nur von Gott beurteilt werden sollte.

In der Scharia-Debatte sind die Muslime besser beraten, wenn sie zunächst in unserem Kontext die Religion "Islam“ (Din) und "Scharia“ getrennt betrachten, um den Islam in Vielfalt erleben zu können. Der Begriff "Scharia“, den wir aus den frühen Zeiten des Islam nicht kennen, sollte im neuen Kontext überarbeitet werden. Wenn das richtig ist, dass das Werk "Al-Alim wal Muta‘alim“ vom Abu Hanifa (ein berühmter sunnitischer Rechtsgelehrter, die Mehrheit der türkischen und südasiatischen Muslime praktiziert ihre Religion nach seiner Rechtsauffassung) stammt, dann sagt er dort, dass die Religion "Din“ unverändert, aber Scharia immer veränderlich ist. Daher betrachtet er Religion und Scharia getrennt. Und der Islamwissenschaftler Smith versucht, mit einem Beispiel des persischen Theologen Shahrastani zu zeigen, dass die Kalam-Wissenschafter (klassische Theologen) diesen Begriff "Scharia“ nicht als ein Gesetzesgebilde, sondern als religiösen Prozess verstanden haben. Damit meine ich nicht, dass man die islamische Wissenschaftstradition brechen sollte, sondern vielmehr sollte man zu erklären versuchen, dass diese Tradition wieder entsprechend dieser Verstand-Tradition neu zu reflektieren ist. Das würde nicht nur den Entwicklungsprozess der islamischen Studien im Westen erleichtern, sondern auch den innerislamisch-theologischen Diskurs bereichern. Mit diesem Verständnis werden die Muslime nicht nur ihre Differenzen zwischen Aleviten und sunnitischem Islam aufs Minimale reduzieren, sondern auch ihre Religion in einer pluralen Gesellschaft erlebbar machen.

Eine Chance für die Muslime

Die Anerkennung der Islamischen Alevitischen Gemeinschaft als Bekenntnisgemeinschaft sehe ich als eine Chance für die Muslime, die herausgefordert werden, ihrer Tradition entsprechend in der Glaubensvielfalt gemäß ihrem Bekenntnis zu leben. Aleviten, vor allem in der Türkei, hatten niemals ihren religiösen und kulturellen Bezug zum Islam verleugnet. Wenn auch das Amt für religiöse Angelegenheiten in der Türkei die religiösen Belange der alevitischen Muslime bis in die jüngste Zeit kaum zur Kenntnis genommen hat, verstanden sich unabhängig davon die Aleviten immer als einen Teil des islamisch-theologischen Diskurses.

Die Islamische Alevitische Gemeinschaft hat nun die Aufgabe, ihr Verständnis vom Islam, basierend auf ihrem Bekenntnis, im europäischen Kontext zu definieren. Damit haben sie eine historische Verantwortung, eine vergessene Tradition im Islam mit neuen Erkenntnissen wiederzubeleben. Die IGGiÖ und andere islamische Verbände sollten die IAGÖ nicht ausschließen, sondern sie in Solidarität als einen Teil des Islam verstehen und unterstützen.

* Der Autor ist Prof. für Islam. Religionspädagogik an der Uni Wien

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