Van der Bellen Bregenz - © Peter Lechner/HBF

Alexander Van der Bellen: Kein Volkstribun

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Der ehemalige Bundessprecher der Grünen Alexander Van der Bellen präsentiert sich in Buchform - und vielleicht damit als Hofburgkandidat.

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Ihre Memoiren legen Politiker meist erst vor, wenn sie von der Bühne ihres Wirkens abtreten. Indes, mittlerweile ist das längst nicht mehr so unverbrüchlich die Regel. Heute kann der mehr oder weniger gedankenreiche Rückblick in Buchform nicht selten auch als willkommenes Werbemittel dienen, als Antrieb für den beruflichen Vorwärtsgang.

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Darf man also das neue Buch des Alexander Van der Bellen als Bewerbungsschrift für das höchste Amt im Staat lesen? Obwohl der Autor nur ganz zum Schluss dilatorisch auf dieses Thema eingeht, ist doch schwer vorstellbar, dass so viel lebensgeschichtliche Preisgabe des scheuen Professors sein Abschiedsgeschenk vor dem politischen Ruhestand sein soll. Um es ökonomisch zu sagen: Das Angebot schafft hier erst die Nachfrage. Mit Humor und feiner Ironie lässt der Intellektuelle Van der Bellen in diesem Buch seine Gedanken wandern. Es ist ein wohltuend persönlicher Einblick in den eigenen Werdegang, der dem Leser geboten wird. Er selber bezeichnet ironische Gelassenheit als seine Grundhaltung. Gelernt haben will er sie bei den Klassikern der amerikanischen Kriminalliteratur, bei Figuren wie Raymond Chandlers Philipp Marlowe oder Dashiell Hammetts Sam Spade, die er als unterdrückter Schüler am Akademischen Gymnasium in Innsbruck für sich entdeckt und zu Sehnsuchtsbildern der Freiheit hochstilisiert hat. Der dort waltende Direktor, ein wahrer Auerhahn in der Tracht eines Schützenmajors, war für seine reaktionären Ansichten stadtbekannt. Einem Kulturkampf mit ihm wegen seines Bluejeans-Verbots an der Schule ging der Einwanderersohn wohlweislich aus dem Weg.

Später, an der Universität, schloss sich Alexander Van der Bellen begeistert der Aufbruchsbewegung der 1968er an und wurde zum "roten Revoluzzer". Als er Assistent beim renommierten Finanzwissenschaftler Clemens August Andreae war, rückte der Verfasser dieser Zeilen gerade an anderer Fakultät als Studiosus ein. Freiheit war nicht das vorherrschende Thema in den siebziger Jahren an der Innsbrucker Universität. Wer als Student der Geisteswissenschaften, angeleitet von den literarischen Berichten dissidenter Autoren aus der DDR oder UdSSR, Freiheit für die vom Kommunismus eingesperrten Völker jenseits des Eisernen Vorhangs einforderte, wurde in den Hörsälen von der "Gruppe revolutionärer Marxisten", aber auch von den Jungen Sozialisten unweigerlich zum Reaktionär und Klassenfeind abgestempelt. Die Unduldsamkeit von rechts wurde durch Intoleranz von links abgelöst, und man saß als liberal denkender Geisteslehrling zwischen den Stühlen. "Die Kunst der Freiheit", so legt es der Titel des Buches nahe, muss erst erlernt werden.

Wohlüberlegte Gestion

Ab 1976 lernte der habilitierte Ökonom Van der Bellen Hörsäle aus der Perspektive des Katheders kennen: erst in Innsbruck, dann ab 1980 in Wien. Unter Kreisky Mitglied bei den Sozialisten, wurde er unter Vranitzky wegen fehlender Mitgliedsbeiträge aus der Partei hinauskomplimentiert. Die Entfremdung war ohnedies tief, vor allem wegen der starren SP-Haltung zu Zwentendorf und Hainburg. Der Wirtschaftsprofessor an der Uni Wien dockte bei den Grünen an - und wurde ab 1997 mit seiner wohlüberlegten Gestion elf Jahre lang ihr erfolgreicher Bundessprecher.

In Van der Bellens locker und gelenkig formulierten Aufzeichnungen wird der Leser auf eine Tour d'horizon entlang aller politischen Themen mitgenommen, die dem Politiker und Citoyen Van der Bellen wichtig sind: Stärkung der europäischen Einheit, Bildung als Antrieb zu persönlicher Autonomie, Widerstand gegen die Rechtsdrehung der Politik hin zu Chauvinismus und Fremdenhass, Hellhörigkeit gegenüber Einschränkungen der Grundfreiheiten im Zuge von Terrorbekämpfung. In der Preisgabe der Privatsphäre im Internet sieht er zu Recht die lauernde Gefahr der Entmündigung.

Doch Klugheit schützt nicht vor Fehleinschätzungen. So bringt der passionierte Raucher gleich mehrfach das idyllische Bild von der genussvoll unter einem hochalpinen Gipfelkreuz gerauchten Zigarette als Argument wider Rauchverbote vor - als ginge es dabei nicht um Nichtraucherschutz, vorwiegend in geschlossenen Räumen. Und seine Toleranz gegenüber vollverschleierten Musliminnen ist schlicht unbedacht - er möge sich einmal mit Richtern unterhalten, denen die Identitätsfeststellung solcher Frauen unter Berufung auf die Religionsfreiheit verweigert wird.

Der besonnene Ordinarius hat politisches Gewicht in der Republik gewonnen: als freier Kopf, der aus eigener Erfahrung und Einsicht urteilt. Dessen persönliche Werte die Grundwerte des Staats nicht desavouieren, sondern zu stärken vermögen. Er drängt nicht nach Volksnähe, sondern nach Überzeugung, durch Weckrufe an die Vernunft. Ein Politiker mit Ecken und Kanten, kein Teigaffe, wie man in Tirol sagen würde.

BUCH

Die Kunst der Freiheit

In Zeiten zunehmender Unfreiheit
Von Alexander Van der Bellen
Verlag Brandstätter,
Wien 2015 176 Seiten
geb., € 22,50

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