„Alle jungen Menschen sind ganz besonders gefährdet“

Werbung
Werbung
Werbung

Der Glücksspieltherapeut Herwig Scholz über die psychische und existenzielle Gefährdung durch die Versuchung des Glücksspiels – und die Scheinheiligkeit der Politik gegenüber dem Problem.

Herwig Scholz ist Leiter der Sonderabteilung „de La Tour“ des LKH Villach, das sich auf die stationäre Behandlung von Spielsüchtigen spezialisiert hat. An die Versicherung der Politik, die Gefahren des Glücksspiels mit dem neuen Gesetz eingedämmt zu haben, glaubt er nicht. Er kritisiert die Entscheidungsträger, die Mitte Juni das neue Gesetz verabschiedet haben als „scheinheilig“.

DIE FURCHE: Worin liegt die besondere Gefahr des Glücksspiels für den Spieler?

Herwig Scholz: Vor allem einmal im besonderen seelischen Hintergrund von Spielern. Im Gegensatz zum Normalsterblichen erlebt ein Spieler den Gewinn als Bestätigung seiner Vorstellung, dass er ein Glückskind, ein Sonntagsmensch ist. Wenn er dann verliert, läuft er Gefahr, diese Glückseigenschaften und magischen Besetzungen zu verlieren. Darum spielt er dann auch bei Verlusten ohne Kontrolle weiter, weil er ja die Vorstellung aufgebaut hat, dass er ein Magischer ist, der irgendwann alle austricksen wird.

DIE FURCHE: Welche Formen des Glücksspiels sind besonders gefährlich?

Scholz: Laut allen Studien ist das Automatenglücksspiel der Schrittmacher bei der Entstehung einer Spielsucht. Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen der Zahl der aufgestellten Spielautomaten und der Zahl der Spielsüchtigen. Das hat sich auch für uns in Kärnten empirisch bestätigt. Vor Einführung des Kleinen Glücksspiels lag in Kärnten die Zahl der Spielsüchtigen, die eine stationäre Behandlung benötigten, weit unter den Bundesländern, in denen das Kleine Glücksspiel bereits erlaubt war. Diese Zahlen haben sich bald nach der Legalisierung angeglichen.

DIE FURCHE: Was weiß man über die Zahl die Spielsüchtigen?

Scholz: Die Spielindustrie in Österreich verspricht seit einem Jahrzehnt genaue Zahlen, ohne bis jetzt Präzises auf den Tisch zu legen. Aufgrund ausländischer Untersuchungen kann man aber davon ausgehen, dass ein bis eineinhalb Prozent der Bevölkerung davon betroffen sind. Dieser Wert ist in Ländern, in denen das Automatenglücksspiel etabliert ist, sicherlich noch höher.

DIE FURCHE: Sind alle Bevölkerungsschichten von Spielsucht betroffen?

Scholz: Im Prinzip ja. Es gibt aber die Vermutung, dass die ganz Reichen nicht im Automatensalon oder im Kasino spielen. Sie erleben den Nervenkitzel wohl eher beim Zocken an der Börse.

DIE FURCHE: Warum wächst die Glücksspielindustrie so rasant?

Scholz: Einerseits sind immer mehr Menschen von Geld, Reichtum und Status fasziniert. Die Glücksspielindustrie reagiert mit ihren Angeboten auf diese Verschiebungen im Wertesystem sehr geschickt. Noch bevor sie den ersten Automaten aufstellt, hat sie bereits genauestens die Mentalität der Spielgefährdeten ausgekundschaftet und das Angebot exakt auf die Schwachstellen der Betroffenen zugeschnitten. Dazu kommt andererseits, dass in unserem Wirtschaftssystem sehr viele Menschen entwertet werden und sich selbst entwerten. Sie sehen ihre einzige Chance dann in einem „lucky punch“ beim Glücksspiel, der dann natürlich nie eintritt.

DIE FURCHE: Sind junge Menschen besonders gefährdet?

Scholz: Natürlich. Wenn man Menschen auf dem linken Fuß erwischen möchte, erwischt man sie am besten, wenn sie unreif sind, noch wenig Lebenserfahrung haben oder in einer Krise sind.

DIE FURCHE: Was kritisieren Sie an der beschlossenen Novelle zum Glücksspielgesetz?

Scholz: Ich kritisiere die scheinheilige Behauptung, dass diese Novelle zum Schutz der Gefährdeten beschlossen wurde. Wenn der Maximaleinsatz um das 20-Fache erhöht wurde, kann davon keine Rede sein. Zu sagen, dass die Obergrenzen schon bisher nicht eingehalten wurden, ist auch kein Argument. Denn das bedeutet, dass man die Glücksspielanbieter, die sich nicht an die Obergrenzen gehalten haben, nachträglich noch belohnt. Auch die versprochenen Schutzmechanismen möchte ich erst einmal sehen. Ein versprochener Schutz ist noch kein Schutz.

DIE FURCHE: Ist das Glücksspiel für den Staat ein Geschäft? Oder zumindest für die Bundesländer, die es zulassen?

Scholz: Überhaupt nicht. Wieso können andere Bundesländer ihr Budget auch ohne die Einnahmen des Automatenglücksspiels in Ordnung halten? Landesregierungen, die diese Form des Glücksspiels erlauben, laufen vor ihrer Verantwortung für die Bevölkerung davon. Die Gewinne der Glücksspielindustrie werden vorrangig von einfachen Menschen und deren Angehörigen bezahlt. Diese Profite werden aber auch finanziert von den Sozialhilfeabteilungen der Länder, die für die Kosten der Entwöhnung und die Behandlung der Depressionen aufkommen müssen. Ziffernmäßig überhaupt nicht festmachen lassen sich die zerbrochenen Partnerschaften, die Arbeitsplatzverluste. Das alles lässt mich an der kalkulatorischen Intelligenz der öffentlichen Entscheidungsträger zweifeln, die sich für das Glücksspiel aussprechen.

DIE FURCHE: Warum wird ihrer Meinung nach vonseiten des Staates so wenig gegen das Glücksspiel unternommen?

Scholz: Zum einen werden die verheerenden Auswirkungen der Ausweitung des Glücksspiels nur mit zeitlicher Verzögerung wahrgenommen. Zum anderen ist die Lobby der Spielbetriebe sehr stark. Es ist unglaublich, wie unterwürfig die politischen Entscheidungsträger hier agieren.

DIE FURCHE: Was sollte gegen die problematische Entwicklung im Glücksspielbereich getan werden?

Scholz: Besonders wichtig ist Bewusstseinsbildung. Die Bevölkerung durchschaut die Methoden der Anbieter noch zu wenig. Sie weiß oft nicht, wo sie Hilfe finden kann. Vor allem aber müssen wir den Menschen den Zusammenhang zwischen ihren Selbstwertproblemen und ihrer Aufnahmebereitschaft für die Illusionen der Glücksspielindustrie bewusst machen. Nur zu sagen: „Aufpassen, das ist gefährlich“, reicht nicht.

* Das Gespräch führte Karl Vogd

Therapeut

Univ. Prof. Dr. Herwig Scholz ist Psychiater. Er leitet das von der Diakonie betriebene Sonderkrankenhaus „de La Tour“ in Treffen in Kärnten, in dem seit 1987 Spielsüchtige stationär behandelt werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung