"Allein in China fehlen 40 Bischöfe"

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Dieser Tage hält sich eine Vatikandelegation in Peking auf, um die Beziehungen zwischen Rom und der VR China zu verbessern. Erst Anfang Mai hatte es neue Verstimmung gegeben, weil in Südchina zwei Bischofsweihen ohne Zustimmung Roms stattfanden. Der in Taipeh lehrende Jesuitentheologe luis gutheinz über Chinas Katholiken.

Die Furche: Der Vatikan verhandelt zurzeit mit der Volksrepublik China; die Probleme sind ja nach wie vor vielfältig: Rom kann in China keine Bischöfe ernennen, vor wenigen Wochen hat die "Patriotische Vereinigung chinesischer Katholiken" wieder Bischöfe ohne Zustimmung Roms ernannt.

Luis Gutheinz SJ: Die Bischofskongregation in Rom bearbeitet zurzeit etwa 300 Besetzungen von Diözesen mit Bischöfen, 40 davon in China. Das heißt, die Bischofskongregation kommt mit einem schnelleren und effektiveren Arbeitsprozess nicht zu Rande. Die Situation in den einzelnen Diözesen ist oft kompliziert, und da wird studiert und verhandelt, der Prozess geht hin und her - und so bleiben allein in China 40 Projekte liegen. Rom ist da trotz aller Bemühungen zu langsam. In China kommt noch die Bemühung der Patriotischen Vereinigung, sich über Wasser zu halten, hinzu.

Die Furche: Was heißt das?

Gutheinz: Die Patriotische Vereinigung wird von zwei Seiten in die Ecke gedrängt: Die Versöhnung innerhalb der katholischen Kirche Chinas geht voran, die Verbindung mit Rom wächst, schon von daher ist die Patriotische Vereinigung im Verlieren. Das andere ist noch existenzieller: Angenommen, Peking und der Heilige Stuhl nehmen diplomatische Beziehungen auf; dann wäre die Patriotische Vereinigung passé. Um diplomatische Beziehungen wird ja schon seit mehr als 25 Jahren diskutiert. Es wird trotzdem nicht allzu bald dazu kommen, weil der Heilige Stuhl eindeutig fordert, dass es in China Religionsfreiheit geben muss und dass Rom bei Bischofsernennungen das Sagen hat.

Die Furche: Im Innenfeld der katholischen Kirche verliert die Patriotische Vereinigung also an Gewicht. Und vom diplomatischen Blickpunkt her gesehen ist ihre Existenz auch gefährdet.

Gutheinz: Deswegen forciert die Patriotische Vereinigung Bischofsweihen ohne Plazet Roms, auch um den Gegensatz zwischen Peking und Rom zu forcieren. Dazu kommt das praktische Problem, dass eben 40 Diözesen in China Bischöfe brauchen. Das hat Liu Bai-nian, der wichtige Mann der Patriotischen Vereinigung, stark angemeldet: "Wir können nicht ewig warten. Wir brauchen Bischöfe!" ...

Die Furche: ... und so wurden in den südchinesischen Diözesen Wuhu und Kunming Ende April/Anfang Mai zwei "patriotische" Bischöfe geweiht.

Gutheinz: Die Bischofsweihe in Kunming war, so hören wir, ein großes Fest. Ich kenne Ma Yinglin, den ohne Roms Zustimmung geweihten Bischof, persönlich sehr gut. Er hat lang innerlich gekämpft, ob er es annehmen soll oder nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er sich so ohne weiteres gegen den Willen Roms weihen ließ. Ich weiß nicht, was da passiert ist. Aber schon eine Woche später fand in Nordostchina wieder eine Bischofsweihe mit dem Plazet Roms statt, das heißt: Rom hat gelernt!

Die Furche: Es handelt sich somit nicht nur um ein "chinesisches", sondern auch um ein weltkirchliches Problem, dass nämlich Rom mit der Besetzung der Bischofsstühle nicht nachkommt?

Gutheinz: Es muss langsam doch einleuchten, dass viel Entscheidungskraft von Rom wieder an die Stellen zurückgegeben wird, wo sie hingehört: zu den Ortskirchen. Das muss kommen. In China warten sie jahrelang - etwa in Kunming, wo 70 Millionen Menschen, darunter 200.000 Katholiken leben: der ganze Raum hat keinen Bischof! Das muss in die Ortskirchen zurück - natürlich immer in Verbindung mit dem Petrusamt.

Die Furche: Ein Teil der Katholiken Chinas wird also von der Patriotischen Vereinigung repräsentiert, daneben gibt es die "Untergrundkirche".

Gutheinz: Die Untergrundkirche war in den späten fünfziger Jahren sehr stark, als die Patriotische Vereinigung gegründet wurde und die Katholiken den eisernen Griff zu spüren bekamen. Da haben sich viele entschieden, mit dem System irgendwie zurechtzukommen - also in der Patriotischen Vereinigung mitzuarbeiten. Die andern sagten: Kein Paktieren mit diesem System - das hieß dann Untergrund. Seither sind fast 50 Jahre vergangen. Die zwei Flügel - Patriotische Vereinigung: ganz nahe bei der Regierung, und die Untergrundkirche, die nicht mit dem System paktieren will - haben so viele Kontakte mit der katholischen Weltkirche erfahren: Besuche noch und noch, von Priestern, Laien, Professoren usw. Ein Strom von religiösen Kontakten auf verschiedenen Ebenen, auch in der Sozialarbeit, Theologie, Sprachunterricht fand statt.

Die Furche: Und das hat die Grenzen zwischen den Flügeln aufgeweicht?

Gutheinz: Die Untergrundkirche ist heute mehr dem Namen nach "Untergrund". Die Grenzen verschwimmen in dem Sinn, dass sich mehr und mehr Katholiken ein Herz nehmen und sagen: Wir wollen katholische Kirche sein. Wir wollen auf keinen Fall protestantisch werden oder weg von Rom! Wir möchten mit Rom mitleben und auch klar anmelden, dass wir mit der Religionspolitik der Regierung nicht einverstanden sind.

Die Furche: Also ist auch die Untergrundkirche im Eck?

Gutheinz: Die Untergrundkirche hat noch einen extremen Flügel auf der rechten Seite, der unversöhnlich ist. Aber der nimmt ab, das sind Menschen, die durch 50 Jahre Verfolgung gegangen sind und an der Überzeugung festhalten: "Wir sind mit Petrus. Und der Rest der Kirche mag zur Hölle gehen." Man hört diese Worte. Schrecklich, aber verständlich. Wir können uns kaum vorstellen, wie diese Menschen durch jahrelange Arbeitslager, Isolation hindurch durchgehalten haben. Auf der anderen Seite hat Jesus Versöhnung gepredigt, es gibt nichts, was man nicht verzeihen kann. Und diese Überzeugung wird das tragende Mittelfeld, wo die Unterschiede Untergrundkirche - Patriotische Vereinigung nicht mehr so bestimmend sind.

Die Furche: Hat das damit zu tun, dass die Jüngeren von den Schrecken der Kulturrevolution 1966-76 nicht mehr betroffen waren?

Gutheinz: Auch. Die nach 1970 Geborenen leben mehr im Bewusstsein: "Das sind nicht mehr unsere Probleme, das ist die vergangene Generation, auf deren Schultern wir mit Respekt und Bewunderung stehen. Aber unsere zentralen Fragen sind: Wie verkünden wir den Glauben Jesu in die chinesische Welt." Die katholische Kirche hat eine starke Struktur und ist von daher für die Regierung leicht zu kontrollieren. Man sieht genau, dass die katholische Weltgemeinschaft ohne Bischöfe nicht leben kann. Die protestantischen Gruppen sind unsichtbarer und das macht der Regierung viel größere Schwierigkeiten, auch die Meditationsbewegung Falun Gong, die das ganze System erschüttert hat: Dass das ganze Polizeisystem mit dieser Überwachung nicht gewusst hat, dass da an einem gewissen Tag in Peking 10.000 Menschen zusammenströmen und still am Rand der Straße sitzen - unerhört. Und davor hat die Regierung Angst!

Die Furche: Es werden in China auch katholische Bischöfe eingesperrt!

Gutheinz: Diese Angst führt auch zu den sporadischen Eingriffen gegen die katholische Kirche: Es werden ("Untergrund"-)Bischöfe kurz verhaftet, wieder frei gelassen. Das sind sporadische Zeichen der Regierung: Wir sind noch da.

Das Gespräch führte Otto Friedrich.

Exzellenter Kenner von Chinas Kirchenlage

Um die zehn Millionen Katholiken leben in der VR China. Deren Lage ist nicht leicht zu beurteilen: Seit 1951 sind die offiziellen Beziehungen mit Rom eingestellt, 1957 installierte das Regime die "Patriotische Vereinigung chinesischer Katholiken", um Chinas Katholiken von Rom wegzubringen. 50 Jahre später herrscht im größten Staat der Welt immer noch keine Religionsfreiheit, aber die Beziehungen zur katholischen Kirche haben sich auch staatlicherseits entspannt. Von Normalität kann dennoch keine Rede sein - immer noch werden katholische Bischöfe inhaftiert, wenn sie unbotmäßig sind. Auf der anderen Seite erregten die Bischofsweihen in Kunming und Wuhu Ende April/Anfang Mai den Zorn Roms, weil sie ohne, in den letzten Jahren Usus gewordene stillschweigende Zustimmung des Papstes erfolgt waren. Kaum eine Woche später fand aber in Nordostchina wieder eine Bischofsweihe mit päpstlicher Zustimmung statt. -

Der Tiroler Jesuit Luis Gutheinz ist ein exzellenter Kenner der chinesischen Kirchensituation. 1933 im Außerfern geboren, trat er 20-jährig bei den Jesuiten ein. 1961 kam er erstmals nach Taiwan, ab 1970 studierte er in Rom und kehrte 1974 als Professor für Systematische Theologie an die katholische Fujen-Universität in Taipeh zurück, wo er bis heute lehrt. Gu Hansong, so Gutheinz' chinesischer Name, machte sich einen Namen als "Übersetzer" westlicher Theologie in den chinesischen Kulturkreis, seine von ihm verfassten bzw. herausgegebenen Grundlagenwerke sind Standard der theologischen Ausbildung - in Taiwan wie in Festlandchina, wo er an katholischen Priesterseminaren lehrt(e). Zusätzlich betreut Gutheinz Leprakranke in der VR China und in Taiwan.

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