Werbung
Werbung
Werbung

In seinem neuen Roman hat es der Bestsellerautor Paulo Coelho stark mit den Engeln

Das Ende des Buches bestätigt den düsteren Verdacht, der den Leser allzu bald beschlich: Es ist Paulo Coelho in seinem neuen Roman "Der Dämon und Fräulein Prym" die ganze Zeit weniger um die konkreten Menschen gegangen, von denen er erzählte, als um die Engel und Dämonen. Die Menschen haben ihm eher als Kleiderständer teilweise recht abstruser Ideen gedient. Hätte er sonst am Ende seine Hauptfigur lieblos fallengelassen wie eine heiße Kartoffel?

Am Ende ist alles klar: "Der Fremde brauchte Chantals Erklärung nicht mehr. Savinus und Ahab hatten die gleichen Triebe - das Gute und das Böse kämpften um sie wie um alle Seelen auf der Erde. Als Ahab begriff, dass Savinus wie er war, begriff er zugleich, dass er war wie Savinus."

Was Ahab und Savinus betrifft: Bescos ist kein gewöhnliches Dorf. In Gestalt der beiden etwas obskuren Figuren haben Gut und Böse hier schon einmal ihren Kampf geführt und auch damals hat das Gute mehr oder weniger überzeugend gewonnen.

Die Kellnerin Chantal aber hat am Ende das Gold des Fremden. Wir dürfen sie noch zum Bankschalter begleiten, wo er den Verkauf der Barren und die Überweisung des Erlöses auf Chantals neues Konto veranlasst. Etwas Psychologie bekommen wir auch noch serviert: Sie genießt die Blicke des Bankkassiers, der nur die notwendigsten Fragen stellt und sie zweifellos für die Geliebte des älteren Herrn hält. Sie genießt es, "dass der Kassierer ihr offensichtlich zutraute, dass sie dem Fremden mit ihren Reizen soviel Geld abluchsen konnte." Dabei war doch alles ganz, ganz anders.

Ging es doch um ein geistiges Ringen, bei dem Engel und Dämonen die Weichen stellten, die Menschen aber ihre Entscheidungen trafen. Gern hätten wir erfahren, was Chantal mit dem Geld gemacht hat und wie es ihr weiter ergangen ist. Ihr und dem Dorf. Denn dann hätten wir vielleicht im Rückblick auf die zu Ende gelesene Geschichte doch noch ein paar auf seine Figuren bezogene Motive des Autors entdeckt, die Geschichte zu schreiben. Wir erfahren nur noch, dass Chantal die alte Berthe küsst und Bescos den Rücken kehrt.

Nun aber doch zurück an den Anfang, dorthin, wo der Dämon das Dorf in den Pyrenäen betritt. Eigentlich betritt es ein Mann von 40 bis 50 Jahren mit einem schweren Rucksack, aber er hat eben einen Begleiter, den Dämon. Nur die alte Berthe, die seit 15 Jahren Tag für Tag vor ihrer Hütte sitzt, kann ihn sehen. Das ganze Dorf meint, sie sitze dort, weil sie nichts Besseres zu tun hat, tatsächlich aber wartet sie, gewarnt von ihrem längst verstorbenen Mann, auf die Ankunft des Dämons. Der Fremde vergräbt elf Goldbarren im Wald, zehn bei einer Felsformation, die einem Adler ähnelt und einen bei einer y-förmigen.

Und dann zeigt er das Gold der ersten wildfremden Person, die ihm über den Weg läuft, eben Chantal, verwickelt sie in eine Trivialdebatte über Gut und Böse, lässt auch schon einmal die Katze aus dem Sack ("Glauben Sie an Gott, an die Ebene der Spiritualität, Kämpfe zwischen Engeln und Dämonen?") und erklärt ihr: Wenn in Bescos binnen einer Woche ein Mensch ermordet wird, gleichgültig wer, "es kann ein alter Mann sein, der zu nichts mehr nütze ist, ein unheilbar Kranker oder ein geistig Behinderter, der nur Arbeit macht", gehört das Gold dem Dorf. Die Idee stammt aus Dürrenmatts "Besuch der Alten Dame", gesteht Coelho ganz offen ein. Aber welche Schärfe, welche genaue Beobachtung bei Dürrenmatt! Coelhos Moralisieren wirkt daneben wie ein schaler Aufguss.

Der Fremde hat sich eine Art Test ausgedacht. Erliegt das Dorf der Versuchung und begeht einen Mord, sind alle Menschen schlecht. Widersteht der Ort, doch Chantal stiehlt den einzelnen Barren, "werde ich daraus schließen, dass es gute und böse Menschen gibt, was mich vor ein ernstes Problem stellt, weil es einen Kampf auf spiritueller Ebene bedeutet, der von beiden Seiten gewonnen werden kann." Kann er den Ort wieder mit seinen elf Barren verlassen, wird ihm Gott vergeben, schließlich hat er ihn auf die dunkle Seite gestoßen, bloß muss dann etwas an der Schöpfung nicht stimmen, "wenn nur einige dazu verdammt sind, große Tragödien zu erleiden".

Was der Fremde, einst ein Big Boss im internationalen Waffengeschäft (für so einen sind elf Goldbarren ja wirklich nur ein Klacks) nicht weiß: Die Entführer haben seine Familie nur deshalb mit den von ihm selbst verkauften Waffen ausgerottet, weil sich ein Schutzengel verkalkuliert hat. An sich sollte er nur einen Denkzettel bekommen, weil ihn die Jenseitigen für Großes ausersehen hatten.

Vielleicht wird das doch noch klappen. Denn selbstverständlich geht die abstruse Geschichte so aus, wie sie ausgehen muss: Gut, aber was das Literarische betrifft ziemlich schlecht, nämlich so banal, wie sie über weite Strecken geschrieben ist. Hinter den Menschen stehen die Engel und Dämonen und debattieren auch nicht klüger als die Menschen.

Das Dorf samt Honoratioren vom Bürgermeister bis zum Pfarrer ist drauf und dran, die alte Berthe zu opfern, aber Chantal fährt drein. Und handelt dem Fremden dann auch noch die Goldbarren ab, die wir ihr von Herzen gönnen, denn was kann sie dafür, sie hat die Geschichte ja nicht geschrieben. Ein gefinkeltes Mädchen.

Damit schließt Coelho seine mit "Am Ufer des Rio Piedra saß ich und weinte" und "Veronika beschließt zu sterben" begonnene Trilogie. Die Grundidee war interessant: Drei Bücher über jeweils eine entscheidende Woche im Leben eines auf die Probe gestellten Menschen. Das letzte Buch ist das schwächste der drei. Sollte jemals das Engelwerk (residiert es nicht in Brasilien?) einen Autor zu einem Roman inspiriert haben: So könnte er aussehen.

Da es dabei auf die Menschen nicht so sehr ankommt, kommt es auch auf deren Sprache nicht so sehr an. Anderenfalls würde die einfache Chantal, die noch nie in die Welt hinausgekommen ist, dem Fremden wohl kaum erklären, er könne ruhig auf sie schießen, ohne zu zielen, da sich die Bleistückchen der Patrone "konusförmig ausbreiten". Sie würde auch schwerlich denken, alle seien "so ignorant, naiv, angepasst". Oder sollte derlei aufs Konto der Übersetzerin "aus dem Brasilianischen" gehen? Sie lässt ja auch die Bürgermeistersfrau preußeln, das arme Mädchen müsse "bis in die Puppen" arbeiten.

Am Ende der Geschichte prangt lapidar ein Datum: "22. Januar 2000, 23 Uhr 58". Da erschauern wir aber vor Respekt. Zwei Minuten vor Geisterstunde hat Coelho den Roman also vollendet. Kein Thomas Mann, kein Hermann Hesse, ja nicht einmal Günter Grass nahm sein Werk so wichtig, dass er es feierlich mit der Mitteilung der Uhrzeit seiner Fertigstellung abgeschlossen hätte. Muss dieser Autor sich wichtig nehmen! Aber vielleicht steckt ja irgend ein Geheimnis in dieser Stunde.

DER DÄMON UND FRÄULIEN PRYM

Roman von Paulo Coelho

Übersetzung: Maralde Meyer-Minnemann, Diogenes Verlag, Zürich 2001

200 Seiten, Ln., e 18,51/öS 255,-

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung