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Eine europäische Rundschau der Um-und Neubauten. Bahnhöfe sind architektonische Dokumente aus der Frühzeit der Reisekultur und Wahrzeichen der Städte, die sie verbinden. Diese "Kathedralen der Moderne" (Karl Kraus) erleben seit den 1990er Jahren eine Renaissance. Das FURCHE-Dossier berichtet über die Bahnhofsoffensive der ÖBB und internationale Trends sowie über die Ausstellung des Wien Museum, die an Wiens demolierte Bahnhöfe erinnert. Dazu kommen die Lokomotiven des Technischen Museums und subjektive Blicke auf den Wiener Süd-und den Budapester Ostbahnhof. Redaktion: Cornelius Hell

Die meisten großen Bahnhöfe Europas stammen in ihrer Grundstruktur noch aus dem 19. Jahrhundert. Kriegsschäden führten zwar zu manch neuer Bahnhofshalle, aber nur selten auch zu neuen Bahnhofskonzepten. Nach jahrzehntelangem Entwicklungsstillstand, der die Bahn weit hinter die Standards von Auto und Flugzeug zurückfallen ließ, begann in den 1990er Jahren eine europaweite Renaissance der Bahnhöfe - ausgehend von der erwarteten Rolle des Schienenverkehrs im 21. Jahrhundert.

In Österreich erfolgte der Startschuss zur so genannten Bahnhofsoffensive 1997 (siehe Seite 12). Allerdings ist der Verkehrspolitik dabei eine gewisse Halbherzigkeit zu unterstellen: Einerseits fließt enorm viel Geld in die Modernisierung der Bahnhofsbauten und somit in die überfällige Attraktivierung des öffentlichen Verkehrs - andererseits aber werden Nebenbahnen stillgelegt, Fernverbindungen ausgedünnt und Fahrpreise erhöht.

Österreich ...

Das größte und wohl auch langwierigste aller Projekte stellt der neue Wiener Hauptbahnhof dar. Er soll die Bundeshauptstadt von einem End-zu einem Knotenpunkt des transeuropäischen Verkehrs machen. Nachdem die Planungen für den künftigen Durchgangsbahnhof am Standort des heutigen Süd-und Ostbahnhofs jahrelang festgesteckt sind, soll dieser nun ab 2007 realisiert werden.

Noch übertrumpft werden diese Dimensionen von vergleichbaren Vorhaben in deutschen Städten - auch wenn man dort nach einem Jahrzehnt intensiver Planungen bis dato ebenso wenig Zählbares erreicht hat wie in Wien: In Stuttgart, München und Frankfurt wurden ab Anfang der 90er Jahre Konzepte entwickelt, um die gesamten Zufahrts-und Stationsbereiche der jeweiligen Hauptbahnhöfe - allesamt traditionelle Kopfbahnhöfe - unter die Erdoberfläche zu legen. Darüber sollten die historischen Bahnhofshallen von Stuttgart und Frankfurt saniert werden - und in München ein neuer, multifunktionaler Bahnhofskomplex entstehen. Den Milliardenprojekten in Frankfurt und München werden heute kaum noch Realisierungschancen eingeräumt - in Stuttgart hingegen hofft man auf einen Beginn der Arbeiten am neuen Durchgangsbahnhof im Jahr 2007. Schon jetzt werden 30 Hektar ehemaliger Güterbahnhofsflächen bebaut.

Deutschland ...

Die durch ihre Lage in einem Talkessel eingeengte Hauptstadt Baden-Württembergs wird durch das Jahrhundertprojekt knapp 100 Hektar zentrumsnahe Entwicklungsfläche gewinnen. Die Stadtplaner sind bemüht, dieses Neuland gegen den Druck der Investoren auch für die Errichtung großzügiger Freiräume und Gemeinbedarfseinrichtungen zu nutzen. Ganze 20 Hektar sind im Masterplan für die Erweiterung des innerstädtischen Grünraums reserviert. In München hätte ein grüner Boulevard auf drei Kilometer Länge und 160 Meter Breite das neue Entwicklungsgebiet durchziehen sollen - und die Hochhausstadt Frankfurt wollte durch einen 54 Hektar großen "Central Park" über dem Bahnareal seinem Beinamen "Mainhatten" auch in dieser Hinsicht gerecht werden. Eine solche städtebauliche Großzügigkeit sollte sich den Planern zu Folge langfristig durchaus rechnen, da attraktive öffentliche Räume den Wert der angrenzenden Standorte massiv erhöhen - und die oft verrufenen Bahnhofsviertel zu guten Adressen machen.

Dass Bahnhofsbauten nicht zwangsläufig einer unendlichen Planungsgeschichte bedürfen, zeigen zwei andere Beispiele aus Deutschland. Mit dem Umzug der Bundesregierung nach Berlin erhielt die neue Hauptstadt auch einen neuen Hauptbahnhof. Planungsbeginn war 1994 - und pünktlich zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 ist die moderne, 700 Millionen Euro teure Station in Betrieb gegangen. Gar nur fünf Jahre benötigte man für die Errichtung des Messe-Bahnhofs in Hannover, der anlässlich der EXPO 2000 entstand. Dass die für Spitzenfrequenzen der Weltausstellung dimensionierte Kapazität der Station heute natürlich nicht ausgelastet ist, wird dadurch aufgefangen, dass man das multifunktionale Gebäude lukrativ weitervermietet: für Kongresse und Produktpräsentationen, Firmenfeiern und Banketts, aber auch für Ausstellungen und Konzerte.

Generell verwandeln sich die großen Bahnstationen zunehmend von Orten des Verkehrs zu Orten des Aufenthalts - und damit auch des Konsums. In dieser Hinsicht hat die Deutsche Bahn durch den Umbau des Hauptbahnhofs Leipzig neue Maßstäbe gesetzt: Mit 700 Millionen Euro an staatlichen und privaten Investitionen wurde der größte Kopfbahnhof Europas zu einem Einkaufszentrum mit 30.000 Quadratmeter Verkaufsfläche umgewandelt. Die 270 Meter lange Bahnhofshalle bietet auf drei Etagen ein konkurrenzloses Warenangebot, das die Geschäftsstraßen der Leipziger Innenstadt in arge Bedrängnis bringt - zumal man den Läden im Hauptbahnhof auch noch erweiterte Öffnungszeiten einräumte.

... und die Schweiz

Keinen entgegengesetzten, aber doch einen anderen Weg versucht hier die Schweiz zu gehen. Ihre Bahnhofsoffensive mit dem bezeichnenden Titel "Rail City" versucht, die Bahnhöfe als urbane Zentren neu zu etablieren. Knapp 500 Millionen Euro flossen bisher in den Ausbau und die Modernisierung der sieben größten Bahnhöfe. Natürlich verfügen auch die Stationen in Zürich, Bern oder Basel mittlerweile über ein umfangreiches Handels-und Dienstleistungsangebot - allerdings in ergänzenden Neubauten, die auch Raum für Büros oder Schulen bieten. In der Schweiz ist man darauf bedacht, die Bahnhöfe nicht zu Einkaufszentren mit Gleisanschluss verkommen zu lassen. Deshalb wurden die zentralen Hallen auch nicht mit Shops vollgestopft, sondern - im Gegenteil - von bisherigen Einbauten befreit und stilvoll in ihren ursprünglichen Zustand versetzt. So steht die Reise-und Kommunikationsfunktion der Bahnhofshallen wieder im Vordergrund.

Italienische Privatisierung

Während die Bahnhöfe im deutschsprachigen Raum von den nationalen Bahngesellschaften selbst betrieben werden, haben die Italienischen Staatsbahnen ihre 13 größten Stationen teilprivatisiert. Ein Konsortium unter Führung der Benetton-Gruppe ist in den nächsten 40 Jahren für die Umstrukturierung und Kommerzialisierung der Grandi Stazioni zwischen Mailand und Neapel, Venedig und Turin verantwortlich. Das Know-how dazu bringt Benetton aus einer durchaus verwandten Branche mit: Dem Konzern gehören 4300 Autobahnraststätten in ganz Europa. Allein am Bahnhof Roma Termini ermöglichte das private Kapital der neuen Bahnhofsbetreiber binnen 18 Monaten Umbau-und Erneuerungsmaßnahmen um 100 Millionen Euro. Die Rendite dieser Investitionen bilden die Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung der Bahnhofsflächen, wobei 40 Prozent davon an die Staatsbahnen zurückfließen. Verlierer dieses Deals ist unter anderem der Denkmalschutz, der bei so manchem Bahnhofsumbau unter die Räder kommt.

Französischer Gigant

Wie in vielen Bereichen agiert Frankreich auch im Bahnhofsbau noch eine Spur großzügiger als andere Länder. Weltweites Aufsehen erregte in den 90er Jahren das Projekt EURALILLE. Am Rande des nordfranzösischen Lille entstand auf 70 Hektar ein futuristisch wirkender Stadtteil - als Schnittpunkt der Hochgeschwindigkeitsbahnen zwischen Paris, Brüssel und London. Stararchitekten wie Rem Koolhaas, Jean Nouvel und Christian de Portzamparc schufen neben dem internationalen Bahnhof auch Büro-und Wohnhochhäuser, Hotels, ein Einkaufszentrum, Kongress-und Ausstellungshallen sowie einen zehn Hektar großen Park. Langfristig sieht der Visionär Rem Koolhaas das expandierende EURALILLE als Zentrum einer gewaltigen Agglomeration, die Paris und London ebenso umfasst wie den holländischen Ballungsraum - und 50 Millionen Einwohner zählt.

Der Autor ist Stadtplaner, Filmemacher und Fachpublizist in Wien.

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