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Die Nicolaikirche in Kalkar (Nordrhein-Westfahlen) beherbergt einen kostbaren Schnitzaltar.

Am Niederrhein, fast in Holland. Die Wegweiser melden schon Nijmegen und Geldern: das alte Herzogtum Kleve. Xanten, Goch, Zons, Rees - endlich Kalkar, ein Städtchen, das Anfang 1945 bei den Kämpfen rings um Arnheim noch Zerstörungen erlitt. Später erregte es Aufsehen und Protest durch einen nahen "Schnellen Brüter". Der Brüter wurde zur Ruine wie Zwentendorf. Die alte Kirche St. Nicolai mitten im Städtchen, schräg gegenüber vom alten Rathaus ist die Touristen-Attraktion. Erst recht nachdem sie nach dreijähriger Restaurierung wieder geöffnet wurde. 1230 gründete der Graf von Kleve die Stadt, im frühen 15. Jahrhundert begann der Kirchenbau, schon 1418 wurde der Nicolaus-Altar geweiht. Am Hochaltar, der hundert Jahre später fertig wurde, ist auf einer Darstellung der Auferweckung des Lazarus der Marktplatz und das Rathaus von Kalkar zu sehen. Und etliche (vermutlich porträtgetreu wiedergegebene) Bürger, die sich gegen den Verwesungsgeruch die Nase zuhalten.

Was ist das Einzigartige dieser Kirche? Woher stammen die Altäre, die man jetzt wieder bewundern kann? Die Bürgerstadt hatte zwar auch Klöster, aber in St. Nicolai waren die Bürger tonangebend: Gilden, Zünfte, Bruderschaften. Jede stiftete ihren eigenen Altar. In den Niederlanden gab es genug hervorragende Künstler. Aber man bestellte nicht nach dem Versandkatalog, sondern holte die Maler, Schnitzer, Tischler in die Stadt. Sie mussten sich mit dem hier üblichen Eichenholz auseinander setzen, das dem Schnitzmesser mehr Widerstand leistet, als das weiche Lindenholz. Die mittlerweile zu Herzögen aufgestiegenen Herrscher von Kleve widerstanden den politischen Auseinandersetzungen der Niederländer mit den Spaniern ebenso wie den Bilderstürmern der konfessionellen Kämpfe. Man lebte um 1500 überwiegend friedlich und im Wohlstand. Da konnte man sich auch teure Kunst leisten. Ja, sie wollten sogar in der Bürgerkirche ein Chorgestühl, das nicht nur mit frommen Zitaten und Heiligen, sondern auch übermütig bis drastisch verziert wurde: Die Katze langt in den Milchtopf, der Esel spielt Dudelsack, der Affe verrichtet ungeniert seine Notdurft. Die ganze bunte Vielfalt des Lebens hat hier Platz. Auch auf den Bildern des Hochaltars, Stationen der Passion Christi, angeordnet um den Mittelschrein mit über 200 geschnitzten Figuren.

Sieben Schmerzen

Womöglich noch eindrucksvoller ist der Sieben-Schmerzen-Altar, wo sich aus der Predella mit dem schlafenden Jesse und den Königen David und Salomon ein Geflecht der Wurzel Jesse über alle Stationen des Lebens Christi emporrankt zur Muttergottes zwischen singenden und Weihrauchfass schwingenden Engeln. Was soll man mehr bewundern: die ausdrucksvollen Gesichter oder das filigrane Wurzelgeflecht, das in der Predella rund um die drei Könige zum wohlorganisierten Gesträuch wird - alles in Eiche!

Etliche Künstlernamen sind überliefert, fast alle niederländisch. Mit der Ausnahme des Hessen Ludwig Jupan, der für das Schnitzwerk des Hochaltars verantwortlich ist. Die Kalkarer Bürger sahen offenbar nur auf die künstlerische Qualität und haben wohl auch manchem Flüchtling Arbeit gegeben. Oder jenem Henrik Douverman, der 1515 wegen seines anscheinend etwas unbürgerlichen Lebenswandels aus Kleve vertrieben worden war. Und gerade er hat den ergreifend schönen Sieben-Schmerzen-Altar geschaffen. Es gab aber auch politische Flüchtlinge in den Wirren der Reformationszeit. So kam 1578 der letzte katholische Bürgermeister von Amsterdam nach Kalkar, ein Jahr später der katholische Bürgermeister von Nijmegen, Gerardt Kanis (ein Bruder des Jesuiten-Heiligen Petrus Canisius). Es waren keine armen Leute, die hier Zuflucht fanden. Sie haben auch die Ausstattung der Kirche bereichert.

Im 19. Jahrhundert kam vieles in Bewegung: Franzosenzeit, Auflösung vieler Klöster, damit verbunden auch drastische Veränderungen des Kirchen-Inventars. St. Nicolai musste vieles verkaufen, um Reparaturen zu finanzieren. Von 15 Altären blieben sieben. Schon 1833 kam der preußische Kronprinz (der spätere König Friedrich Wilhelm IV.), angeregt wohl von dem bekannten Kölner Kunstkenner Sulpiz Boisserée, später reiste auch der Düsseldorfer Akademiedirektor Friedrich Wilhelm von Schadow an. Es erschienen zahlreiche Schriften. Sicher wurde auch manches nach neugotischem Geschmack verdorben. So konnte die jüngste Restaurierung vieles zurechtrücken, die Altäre sinnvoller in der Kirche verteilen. Die im Krieg zerstörten Fenster sollen demnächst durch ganz neue ersetzt werden. Ein typisches Detail aus den jüngsten Verbesserungen ist die lebensgroße Plastik "Christus auf dem Kalten Stein". Er liegt auf dem Boden und wartet auf die Kreuznagelung. Eine verzweifelt verkrampfte Hand fand man um 1900 zu realistisch und ersetzte sie durch eine "normale". Das nahm dem Bildwerk viel Ausdruckskraft. Jetzt wurde der Schaden behoben.

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