Alles ist anders, als es ist

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Retrospektiven zum 75. Geburtstag von Franz Gertsch in der Albertina und im Museum moderner Kunst.

Im Jahr 1969 bestieg Franz Gertsch nach beinahe zwanzigjähriger Arbeit als Künstler einen Gipfel im Tessin, und der Panoramablick, der sich ihm dort bot, schenkte dem Maler Klarheit über seinen zukünftigen Weg. Sein Ausspruch von damals reiht sich in die Entstehungsgeschichten von Künstlermythen: "An einem Tag habe ich mich frei gemacht und den Monte Lema erstiegen. Und auf diesem Berg habe ich gesagt: ,Jetzt hab ich's.' Ich stand auf dem Gipfel und dachte, die ganze Welt liegt vor mir. Ich kann alles machen." Einen Einblick in das, was er tatsächlich daraus gemacht hat, bieten zwei Ausstellungen in Wien.

Gertsch entledigte sich all seiner vorangegangenen künstlerischen Versuche, die mehrere damals aktuelle Strömungen umfassten, und verordnete seiner Malerei fürderhin einen fotografischen Blick. Er arbeitete nach Diapositiven, was ihm einerseits zu einer gewollten Neutralität verhalf, andererseits konnte er mittels des Zooms seine riesigen Formate bequem testen.

Seine romantische Veranlagung und die allzu starke Emotionalität, die er nun beide als Hinderungsgrund für seine künstlerische Arbeit einschätzte, konnte er damit an den Rand drängen und sich dabei dennoch den Motiven seiner Werke voll ausliefern. "Es geht nicht mehr um mich: Ich bin nur noch das Werkzeug, das diese Bilder macht. Als ob ich vom Mars käme und einfach das und dieses sähe und alles malen könnte, wie es ist. Ich sagte mir, es ist doch ganz einfach, du musst nur das Abstrakte weglassen und einfach die Vorlagen so nehmen wie sie sind." Liest man dieses programmatische Selbstzeugnis, kann man nur froh sein, dass Gertsch dessen Einlösung in seinen Bildern nicht geschafft hat. Denn gerade seine Bilder zeigen, wenngleich nicht ganz offensichtlich, dass alles ganz anders ist, als es ist.

Die Arbeiten von Gertsch, die ob ihrer gewaltigen Ausmaße - 250 x 390 cm sind keine Seltenheit, 400 x 600 cm sind auch noch locker machbar - den "normalen" Blick der Augen vollständig aufsprengen, nehmen die Vorlagen gerade nicht so, wie sind. Wie bei jeder Fotografie auch, isoliert bereits der gewählte Ausschnitt das Motiv aus seiner "natürlichen" Umgebung, akzentuiert, was sonst vielleicht nur ein bescheidenes Element unter vielen ist und spricht ihm durch dieses Herausheben besondere Wichtigkeit zu. Unmittelbar zu sehen ist dies bei den riesigen Grasstücken von Gertsch, vor denen man wie vor einem Urwald steht, den man als kleiner Mensch durchaus betreten könnte. Wobei Gertsch hier auch noch zusätzlich seinen klassischen Bezugspunkt, den Holzschneiderahnherrn Albrecht Dürer, der sein Gras allerdings aquarelliert hatte, überwindet und nicht mehr die fotografisch getreue Wiedergabe als Aufgabe ansieht, sondern in den vielfachen Überschneidungen dem Moment der Bewegung in einem statischen Medium nachspürt.

Eine ähnliche Verschiebung der Vorlagen zeigen auch die Porträts aus dem Kreis der Familie und von Freunden. Auch hier versucht Gertsch, das Charakteristische herauszuschälen und packt in scheinbar einfache Szenerien weit über diese hinausgehende Botschaften hinein. Würde dies nicht so sein, würde nach der Bewunderung der grandiosen malerischen Bewältigung von Riesenformaten und der neu entwickelten Holzschnitttechnik, um Ähnliches auch in dieser Technik bewerkstelligen zu können, wahrscheinlich nur langweilig bleiben.

Franz Gertsch, Natur-Portraits

Holzschnitte und Gemälde 1986-2006

Albertina, Albertinapl. 1, 1010 Wien

Bis 7.1.2007 tägl. 10-18, Mi 10-21 h

Katalog hg. v. Klaus A. Schröder, e 21,-

Franz Gertsch, Retrospektive

Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Museumsplatz 1, 1070 Wien

Bis 11.2.2007 Di-So 10-18, Do 10-21 h

Katalog hg. v. Reinhard Spieler. e 49,80

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