Alles ist möglich, alles ist tot

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Olga Neuwirth, eine der faszinierendsten Künstlerpersönlichkeiten der Gegenwart, hat ein neues Musiktheater komponiert.

"Lost Highway" wird am 31. Oktober beim "steirischen herbst" uraufgeführt.

Als freischaffende Künstlerin einer zuversichtslosen Generation muss man sich als Mensch und Künstler jeden Tag neu hinterfragen. Was kann man aufoktroyiertem, leerem Flimmern von Bildschirmen, auf denen komplexe Gedankengänge nicht zugelassen werden, entgegensetzen? Ich bin zwar ein Kind unserer Zeit, aber zu alt für die Snowboard-Jugendkultur. Meine taumelnde Generation kommt immer zu spät, denn die Tabus wurden bereits von den vorangegangenen Generationen gebrochen. Alles ist möglich und tout est mort!

Künstlerin in einer Männerdomäne...

Meiner Meinung nach hat sich im Verhalten Künstlerinnen gegenüber noch nicht viel geändert, speziell in Österreich. In unserem Bereich herrscht weiterhin der unausrottbare Glaube, Genie sei männlich.

Engagiert für Neue Musik an der Außengrenze etablierten Kulturbetriebs, belässt es Olga Neuwirth jedoch nicht bei Kritik.

Vielleicht sind wir die erste Generation, die in der Lage ist, ohne Ausrichtung auf eine ideologische Schule zu arbeiten. Nehmt euer Leben selbst in die Hand, ist die Devise. Niemand kann heute noch einen globalen Sinn formulieren. Genau diese Krise des Nicht-Wissens-Wohin - die ja in allen künstlerischen Disziplinen aufscheint - steht im Mittelpunkt meines Interesses. Vielleicht kann man aus dieser Krise eine Ur-Kraft oder besser ein Un-Kraft, etwas Neues, Anderes ziehen. Unsere Generation steht für Suche, für Orientierungslosigkeit in Kunst, Gesellschaft und Privatleben. Ist das unsere Chance? Wir nehmen einen bestimmten Ort ein, können aber auch die Orte wechseln und daher beweglich sein. Ich glaube, dass der Wohnsitz des Künstlers mitten in der Welt sein und dass das Ich zwischen Weltflucht und Weltbindung hin- und herwandern muss.

In Neuwirths umfangreichem Werkkatalog finden sich zahlreiche spartenübergreifende Arbeiten, auch Theater- und Filmmusik. Das Musiktheater ist von besonderer Bedeutung. Vielbeachtet war die Uraufführung von "Bählamms Fest" (Libretto von Elfriede Jelinek) vor vier Jahren.

Das Einbeziehen der verschiedenen Künste heute bedeutet für mich nicht eine Synthese der Künste, eine Vereinheitlichung, ein Gesamtkunstwerk, sondern Raum schaffen für die schöpferische Phantasie, um meiner Sprachlosigkeit über die Irrationalität des menschlichen Daseins zu entkommen, damit ich diese Irrationalität in gewisser Weise für mich enthüllen kann, gegen sie einschlagen kann.

Die Zusammenarbeit mit Jelinek, die auch das Libretto für "Lost Highway" - nach dem Film des für seine abstrusen Stories bekannten amerikanischen Regisseurs David Lynch - verfasst hat: ein Idealfall kreativer Synthese?

Was mich an den Texten von Elfriede Jelinek interessiert, ist der distanzierte Blick auf die Dinge - ohne Mitleid -, die Schärfe der Sprache, der Einsatz von sprachlichen Zitaten aus der Alltagswelt, um zu enthüllen. Da Musiktheater nun wirklich nicht natürlich ist, sind mir Elfriede Jelineks Kunstgriffe und ihre Arbeit an der Sprache sehr nahe, und so versuche ich auch mit verstärkter Künstlichkeit und Überhöhung der Klangmittel zu arbeiten. Aber gleichzeitig ist es mir wichtig, dass auch das Scheitern bzw. mein eigenes Scheitern, miteingeschrieben ist, welches zeigt, dass die Lebensentwürfe schon im Ansatz stecken bleiben.

"Lost Highway" thematisiert Identitätsverlust als äußerste Grenzerfahrung. Zwei zuerst völlig beziehungslos erscheinende Geschichten sind komplex miteinander verzahnt: Der Jazz-Musiker Fred Madison begegnet einem mysteriös omnipräsenten Fremden, der sich als brutaler Mörder entpuppt. Verhaftet wird Fred selbst. Die Gegenfigur Pete Dayton, ein biederer Automechaniker, unerklärlich plötzlich statt Fred in der Gefängniszelle, wird schließlich ebenfalls von der Bedrohung durch den Fremden eingeholt. In der Verschmelzung von Fiktion, Realität und Alptraum eine für Olga Neuwirth bezeichnende Sujet-Wahl?

Irritieren zu dürfen, um ein Nachdenken anzuregen, ist für mich notwendig. Es kann doch für einen Zeitgenossen nicht darum gehen, sich der Herrschaft des Ewig-Gestrigen im Kleide des Neo-Klassizismus zu unterwerfen. Widersprüchliches und Zweideutiges muss man zu Tage fördern, damit man unsere Hirne zum Bersten bringt, statt sie petrifizieren zu lassen.

Lost Highway

Musiktheater von Olga Neuwirth

Uraufführung am 31. 10. in der Helmut-List-Halle, Graz

Weitere Aufführungen: 1., 6., 7. und 8. November 2003

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