Alles über Heilkräuter

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Die "Enzyklopädie der Heilkräuter" von Andrew Chevallier hat das Zeug zum Standardwerk.

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Die "Enzyklopädie der Heilkräuter" von Andrew Chevallier hat das Zeug zum Standardwerk.

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Wenn ein arabischer Arzt einen schwierigen chirurgischen Eingriff vornehmen mußte, prüfte er Körpergewicht und Zustand des Patienten, steckte ihm zwei kleine, in Wasser eingeweichte Stücke eines in verschiedene Pflanzenextrakte getauchten Schwamms in die Nase und forderte ihn auf, tief einzuatmen. Erst nach der Operation erwachte der Verletzte wieder aus der Narkose. Derart effizient wurden Kräuter schon vor einem Jahrtausend eingesetzt. Nach Jahrhunderten der Vergessenheit erfreut sich die Pflanzenheilkunde auch in der westlichen Welt wieder zunehmender Beliebtheit. Andrew Chevallier beschreibt in seiner "Enzyklopädie der Heilpflanzen" über 550 Kräuter, ihre Wirkung und Anwendung.

Sein Buch enthält Anleitungen zur Herstellung verschiedenster Arzneien, von Tinkturen über Sirups und Salben bis zum Ölextrakt. Neben Geschichte und Philosophie der Pflanzenheilkunde in verschiedenen Kulturen wird die Wirkungsweise der wichtigsten pflanzlichen Stoffe auf den Menschen erklärt, ein umfangreiches Register der Erkrankungen ist zu finden, und auch eine kurze Erklärung, worauf man beim Anlegen eines Kräutergartens achten muß, fehlt nicht. Ein umfangreiches Standardwerk also, das von Laien und Pflanzenkundigen gleichermaßen benutzt werden kann. Der Autor ist durch Radio und Fernsehen bekannt, führt eine eigene Naturheilpraxis in London und war an der akademischen Anerkennung der Kräutermedizin beteiligt, die lange geächtet war.

Ihre Geschichte in Europa ist turbulent. Schon im ersten Jahrhundert beschrieb der griechische Arzt Dioskorides 600 Kräuter in seiner "Materia Medica", dem ersten europäischen Heilpflanzenbuch. Eine Abschrift aus dem sechsten Jahrhundert enthält 400 ganzseitige Abbildungen.

Nach dem Ende des römischen Weltreichs geriet auch das alte Wissen der Ägypter, Griechen und Römer in Vergessenheit. Den Arabern ist zu verdanken, daß es nicht verlorenging, sondern weiterentwickelt wurde, ebenso wie die Gründung oder Wiederbelebung alter medizinischer Lehranstalten in Europa, etwa der von Cordoba. Ab dem 17. Jahrhundert geriet die Kräuterheilkunde abermals in Vergessenheit. In Zeiten des aufkommenden rationalistischen Weltbildes war kein Platz für eine ganzheitliche Behandlung, in der Selbstheilungskräfte eine große Rolle spielen. Zwei Jahrhunderte später war die Schulmedizin etabliert und errichtete ihr Monopol. In etlichen Ländern waren pflanzenheilkundliche Behandlungen ohne medizinische Qualifikation lange Zeit verboten.

Die Chinesen waren bei der medizinischen Versorgung der Bevölkerung geschickter. Das erste umfassende Kräuterbuch entstand, wie sein europäisches Pendant, im ersten Jahrhundert. Die Pflanzenheilkunde wurde, wie andere medizinische Künste, ständig weiterentwickelt. In den sechziger Jahren führte China das System der "Barfußärzte" ein, deren Ausbildung Pflanzenheilkunde, Akupunktur und westliche Behandlungsmethoden umfaßte. Zur fruchtbaren Synthese fand man im Westen erst vor kurzem. In England stieg der Absatz von Pflanzenarzneien zwischen 1990 und 1995 um 25 Prozent. In Deutschland ist die Kräuterheilkunde unter Schulmedizinern so angesehen, daß auch sie schon routinemäßig Pflanzenarzneien verordnen. Pharmakonzerne testen so viele pflanzliche Stoffe, daß wir vielleicht sogar auf die Entdeckung bisher unbekannter wertvoller Kräuter hoffen dürfen.

Enzyklopädie der Heilpflanzen Von Andrew Chevallier BLV Verlag, München 1998 336 Seiten, viele Bilder, geb., öS 569,-

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