"Alles, was Atem hat, lobe den Herrn"

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Die Heiligenkreuzer Zisterziensermönche stürmen mit "Chant - music for paradise" die Charts. Ein Annäherungsversuch - von Peter Paul Kaspar.

Eine CD mit mittelalterlicher Musik gelangt vom Start weg unter die Top ten der britischen Pop-Charts - gleich nach Madonna. Dieses Zusammentreffen ist bemerkenswert: Bei Madonna handelt es sich jedoch um kein himmlisches, sondern ein durchaus irdisches Wesen. Die Popikone gleichen, jedoch selbstgewählten Namens ist in Gefahr, von den singenden Mönchen eingeholt zu werden. Die Mönche allerdings sind echt: junge Zisterzienser des Stiftes Heiligenkreuz. Und sie singen in gregorianischem Choral die Gesänge des Requiems und des Completoriums: "Chant - music for paradise" - der warme und weiche Klang der Stimmen und der ruhige Atem der Gesänge wird manchem stressgeplagten Zeitgenossen gut tun. Die Melancholie eines Begräbnisgottesdienstes und die anklingende Nachtruhe des klösterlichen Abendgebetes könnte auch einen aktionsmüden Manager zum abendlichen Whisky angenehm entspannen.

Verschüttete Sehnsüchte

Das ist es wohl, was die Gesänge der Mönche aus dem Wienerwald mit einem Schlag ähnlich berühmt macht, wie schon 1994 die singenden spanischen Mönche von Silos. Im Vergleich wird allerdings klar: Die Spanier sangen damals sozusagen ihren Alltagschoral - kräftig, stämmig, ein wenig ungelenk und nicht immer ganz sauber. Wie es im Kloster eben so geht. Den Sängern von Heiligenkreuz hört man an, dass sie gut geschult sind, dass es die besten Sänger sind, die das Stift aufzubieten hat. Und natürlich ist die Aufnahmetechnik diesmal ganz professionell. Das meditative Klangbild suggeriert eine harmonische und beschaulich lebende Klostergemeinschaft, die sicherlich in manchem gehetzten und gestressten Zeitgenossen verschüttete Sehnsüchte wachruft.

In diesem Zusammenhang sollte aber auch bewusst werden, was die mittelalterliche Kunst der Gregorianik eigentlich ist: Sie ist geistliche Klangrede, in der die - vorwiegend biblischen - Texte ihren musikalischen Ausdruck finden. Sie ist musikalische Rhetorik, geistliche Rede in vokaler Klangsprache. Daher kann man gregorianische Gesänge auch nicht in andere Sprachen übersetzen. Die Sänger wurden im Mittelalter durch Jahre geschult - nicht nur in Gesangstechnik, sondern auch in lateinischer Sprache und biblischem Wissen. Die Gesänge in gregorianischem Choral - von gregorianischen Chorälen sprechen nur Unwissende - sind daher kein melancholisch einförmiger Singsang, sondern kraftvolle Verkündigung und nachdenkliche Meditation, jubelnder Lobgesang oder schmerzliche Klage. Gregorianik ist keine langweilig-primitive Einstimmigkeit, weil die Harmonie noch nicht erfunden wäre, sondern sinnerfüllter Gesang, der keiner "Begleitung" bedarf.

Die Notation mittelalterlicher Musik ist noch immer nicht vollständig erschlossen. Deshalb hat die Musikwissenschaft in den letzten Jahrzehnten neue und bessere Editionen hervorgebracht und auch die Aufführungspraxis verändert. Mit diesem Wissen hat in Österreich die Grazer Choralschola unter der Leitung des an der Musikuniversität Graz lehrenden Spezialisten Franz Karl Praßl eine CD-Reihe im ORF produziert, deren jeweils passende Gesänge an Sonntagen um 7.05 Uhr in der Sendung "Erfüllte Zeit" erklingen. Hier kann man wöchentlich - zusammen mit biblischen, spirituellen, kirchlichen und diversen musikalischen Beiträgen - nicht beliebige, sondern dem jeweilig Sonntag zugeordnete Gesänge hören. Und das auf dem neuesten Stand der semiologischen Forschung nach ältesten Handschriften aus dem 10. Jahrhundert.

Weder konservativ …

Der Formenreichtum des Chorals spannt sich vom schlichten Rezitationston der Psalmen über die knappe Strophenform der Cantica und Hymnen, von einfachen Gesängen für die ganze Mönchsgemeinschaft bis zum hochartifiziellen Gesang der Melismen, in denen wie in Koloraturen viele Töne über nur wenige Vokale gesungen werden. Hier hatten wahrscheinlich auch besonders sangesbegabte Solisten entsprechend kunstvoll-virtuose Ausdrucksmöglichkeiten - und waren wohl die musikalischen Stars im Klosteralltag. Gregorianik ist also ein Kosmos aus vielgestaltigen Kirchengesängen des Mittelalters. Wen die in ihrer Beschränkung dennoch höchst ausdrucksreiche Einstimmigkeit befremden mag, der sei an die Gesänge der Ostkirchen erinnert, die zwar mehrstimmig sind, jedoch auf kunstvollen Kontrapunkt ebenso wie auf Instrumente verzichten.

Dass die weibliche Gregorianik heute wenig beachtet wird, ist schade. Denn im Klosterleben des Mittelalters wurde von Schwestern ebenso gesungen wie von Brüdern. (Und Priester - also Patres im heutigen Sprachgebrauch - waren in beiden Klöstern selten.) Ähnlich der rein vokalen Kirchenmusik des Ostens war es die Grundidee, dass der Mensch allein mit seiner Stimme - also ohne Instrumente - das Lob Gottes hervorbringt. Der Mensch ist selbst das Instrument, sein Atem ist beseelt von Gott, von dem die Bibel erzählt, dass er dem Adam im Paradies den Lebensatem in die Nase blies. Deshalb schließt der letzte Psalm - der Psalm 150 als "Psalmenpsalm" - mit jenen Worten, die wie ein Motto die Gregorianik beschreiben: "Alles, was Atem hat, lobe den Herrn!"

Wenn man all das bedenkt, mag man vielleicht die Vermarktung eines hochwertigen Kulturgutes wie der Gregorianik skeptisch sehen. Immerhin kann man bereits zu Barmusik verpoppte Gregorianik ebenso hören wie elektronisch aggressiv verfremdeten Choral in Horrorfilmen. Und man darf wohl annehmen, dass die meisten Käufer die Gesänge aus Heiligenkreuz nicht zum stillen Gebet auflegen, ihren Text mitverfolgen und den Sinn meditieren. Es wird halt auch mittelalterliche Kirchenmusik dazu dienen, zur Entspannung, zum Small Talk oder in erotischer Stunde zu erklingen. Es ist ein Zeichen unserer musiküberschwemmten Konsumkultur, dass sie auch wertvolles Kulturgut zur Dekoration, als Werbemittel oder Pausenfüller verramscht. Also auch Gregorianik als Klangtapete im Endlossound.

… noch progressiv

Aber natürlich soll man sich nicht beschweren, wenn religiöse Musik Menschen anspricht. Wenn auch nicht immer klar ist, was diese "Ansprache" sagen will und kann. Die CD-Produktion der Heiligenkreuzer Mönche signalisiert in Aufmachung und Sound mehr eine beruhigende Bürgerreligion als ein Zeichen des Widerspruchs. Das passt auch zur eher konservativen Kommunität des Stiftes mit seinem reichen Nachwuchs aus dem deutschen Sprachraum und darüber hinaus. Doch darüber sollte man sich in katholischer Offenheit nicht ärgern. Katholische Klöster waren immer auch Oasen der Spiritualität in einer wenig spirituellen Welt. Dass das auch in ihrer Musik anklingt, ist erfreulich. Und gregorianischer Choral ist weder das Gotteslob der Konservativen, noch der Progressiven. Es ist die geistliche Klangrede des Mittelalters an den Wurzeln dessen, was in Europas Christentum immer noch lebendig ist. Gottlob.

Der Autor ist Akademiker- und Künstlerseelsorger in Linz und lehrt an der Anton Bruckner Universität (sein neues Buch "Die Klangrede - Musik als Sprache" erscheint im Herbst im Verlag Styria).

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