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Die Latte für den Konvent nicht zu hoch legen!

Die Einsetzung des Konvents zur Zukunft Europas, der erstmals auf breiter Basis die nächste EU-Regierungskonferenz vorbereiten soll, war richtig und demokratiepolitisch notwendig. Allerdings fürchte ich, dass etliche Konventmitglieder dazu neigen werden, ihre Positionen unter Bedacht auf die nationale Stimmungslage ihres jeweiligen Landes einzubringen. Und das vor allem auch angesichts der Tatsache, dass rechtspopulistische Bewegungen mit antieuropäischen Ressentiments agieren und damit auch erfolgreich sind.

Wie die Erfahrungen mit EU-Gipfeltreffen der letzten Jahre oder auch manche Etappe der Erweiterungsverhandlungen gezeigt haben, fühlen sich die meisten Staatenvertreter in EU-Gremien in erster Linie nationalen Interessen - echten oder vorgeblichen - verpflichtet. Die Abschlüsse der letzten beiden Regierungskonferenzen in Amsterdam und in Nizza haben gezeigt, dass Repräsentanten der Mitgliedstaaten allzu oft dann, wenn es ans "Eingemachte" geht, den Europagedanken hintan stellen und mit Blick auf die Innenpolitik ihres Landes agieren. Konvents-Vorsitzender Giscard d'Estaing hat diese Vorgangsweise bei seinem letzten Besuch in Wien auf den Punkt gebracht: Jeder Verhandler will "gewinnen", um nach Hause zurückzukehren und zu verkünden, was er gewonnen hat.

Heikle Balance finden

Der Konvent ist schon aufgrund seiner Zusammensetzung aus nationalen Abgeordneten und Europaparlamentariern, Regierungsvertretern sowie Vertretern verschiedener Institutionen ein gutes Instrument. Viele ausgezeichnete Europapolitiker und dem Einigungswerk verpflichtete Persönlichkeiten wurden in ihn entsandt. Auch die Einbindung der Beitrittskandidaten und die Tatsache, dass die Sitzungen öffentlich sind, ist positiv und richtungsweisend. Aber der Konvent kann das Phänomen unterschiedlichster nationaler Interessen, die aufeinander prallen, nicht von heute auf morgen aus der Welt schaffen.

Die Latte sollte deshalb nicht zu hoch gelegt und die Erwartungen, dass der Konvent alle schwierigen Fragen der Integration lösen kann und zudem ein Allheilmittel für unbestreitbar vorhandene Demokratiedefizite und "Demokratisches Unbehagen" beziehungsweise die Unsicherheit vieler EU-Bürger im Umgang mit Europa ist, sollten nicht zu hoch angesetzt werden.

Leicht wird es für den Konvent auch nicht sein, die heikle Balance zwischen großen und kleinen Mitgliedsstaaten zu wahren, wobei ich aber diesbezüglich beim Konvent größere Chancen für faire Lösungen sehe als bei reinen Regierungschef- beziehungsweise Regierungsvertretergremien.

Ein weiterer Punkt, der mir Sorgen macht, ist das große Aufgabengebiet, mit dem sich der Konvent befasst. Über ein Jahr haben die EU-Regierungschefs für den Beschluss zu Einsetzung des Konvents gebraucht. Kaum mehr Zeit steht der neuen "europäischen Volksvertretung" nun für die Erörterung so komplexer und teils heftig umstrittener Fragen wie der künftigen Kompetenzaufteilung zwischen EU-Institutionen und Mitgliedstaaten, der Vereinfachung der Verträge, der Reform und Demokratisierung der Institutionen oder der rechtlichen Verankerung der Grundrechtscharta zur Verfügung, bevor die Regierungschefs das Heft wieder selbst in die Hand nehmen wollen.

Gerade deshalb sollten wir die Arbeit des Konvents mit aller Kraft unterstützen und alle Chancen nützen, die dazu beitragen, dass aus vielen Ich ein Wir und aus der Vielfalt Europas ein Einigungswerk werden kann.

Der Autor ist Erster Nationalratspräsident.

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