Allzumenschliches im Elfenbeinturm

Werbung
Werbung
Werbung

Mit einer Portion Ironie beschreibt David Lodge die ehrwürdige Institution Universität. Und er zeigt, wie Wissenschafter sind: Sehr menschlich.

Unsere gängigen Begriffsmünzen dokumentieren es: Zwischen dem Mann auf der Straße und denen im Elfenbeinturm, zwischen der Welt der Wissenschaft und dem gesellschaftlichen Alltagsleben scheint es eine tiefe Kluft zu geben, zumal Wissenschaft um ihrer Unabhängigkeit willen und wegen ihrer Fachdiskurse oft und wohl legitimerweise zu einer gewissen Abschottung neigt. Andererseits gibt es ein ebenso legitimes Interesse der Geld gebenden Gesellschaft an dem, was Wissenschaftler eigentlich tun. Damit dieses Interesse befriedigt werden kann, damit beide Welten in Beziehung zueinander treten können, bedarf es der Brücken.

Heute traut man - manchmal blind - dem Wirtschaftsdiskurs zu, eine solche Brücke zu sein, insbesondere zu den Universitäten als den hohen Orten der Wissenschaft: Wenn diese ähnlich wie der Supermarkt an der Ecke geführt und beschrieben werden, scheinen sie und das, was in ihr geschieht, verständlich zu werden. Eine andere, vielleicht tragfähigere Brücke stellt die Literatur bereit. Seit langem hat sie sich vor allem der Figur des Wissenschaftlers angenommen, und das in verschiedenen Tonlagen: zuweilen in einer ernsten, wo dieser als unheimliches, verrücktes, gefährliches oder verantwortungsloses Wesen dargestellt wurde (etwa als Frankenstein), und dann wieder in einer komischen Tonlage, wie sie in der seit dem 19. Jahrhundert etablierte Erzählgattung des Universitätsromans vorherrscht.

Schauplatz Universität

Der Universitätsroman ist auch in der deutschsprachigen Literatur bekannt. Dietrich Schwanitz' bissige Satire auf eine Gremienuniversität, die vom Mittelbau, von aus dem Haus beförderten Professoren und von Frauenbeauftragten beherrscht wird, Der Campus (1995), hat hierzu wesentlich beigetragen (wobei trotz der amüsanten Verzerrung der ursprünglich anvisierten Hamburger Verhältnisse durchaus Ähnlichkeiten mit Universitäten andernorts bestehen). Freilich ist heute innerhalb der Gattung, die inzwischen auch bei uns unter dem Namen "campus novel" bekannt ist, der unbestrittene Meister-Pontifex ein Brite: der 1935 geborene David Lodge - ehemaliger Literaturprofessor wie der 2004 verstorbene Schwanitz. Mehrere von Lodges Werken sind aufgrund ihres hauptsächlichen Schauplatzes und ihrer Thematik in der Tat "Campusromane": Hierzu zählt etwa Changing Places (1975), ein Roman, in dem der konservative, von neueren Theorien unbeleckte Anglistikprofessor Philip Swallow aus dem englischen Rummidge und sein progressiv theoriebewusster amerikanischer Kollegen Morris Zapp aus der (ebenso fiktiven) kalifornischen Euphoria State University für ein halbes Jahr Posten - wie auch Ehefrauen - tauschen und dabei mit den jeweils anderen Gegebenheiten (amerikanischen Studentenunruhen, englischem Wetter etc.) in Kontakt kommen.

Auch in dem als Folge konzipierten Roman Small World (1984) treten die beiden Professoren wieder auf, neben vielen anderen, die alle verschiedene (literatur)wissenschaftliche Richtungen vertreten und karikieren. In Thinks (2001) liegt der Schwerpunkt auf der "kognitiven Wende" in den Wissenschaften. Der Roman schildert die weltanschaulichen, ethischen, aber auch persönlichen Spannungen zwischen einem führenden Kognitionswissenschaftler und einer Romanautorin, die an derselben Universität einen Kurs in "creative writing" abhalten soll.

Besonders interessant für einen literarisch vermittelten Brückenschlag zwischen den zwei Welten der Wissenschaft und einer wirtschaftsdominierten Lebenswelt ist Nice Work (1988). In diesem Werk stoßen Repräsentanten beider Welten aufgrund eines Kontaktprogrammes zwischen Wirtschaft und Universität aufeinander, demzufolge ein Trimester lang ein Wirtschaftsvertreter (der Manager Wilcox) einmal wöchentlich in einer Universität und ein Universitätsdozent (die attraktive Feministin Robyn Penrose) in einem Wirtschaftsbetrieb hospitieren sollen.

Aus Fleisch und Blut

Alle diese Campusromane erfüllen mehrere Funktionen: Sie sind unter anderem Demonstrationen, wie heutzutage gemäß Lodges eigener und für manche wohl recht britisch anmutender Kompromissästhetik selbstreflexives, postmodernes Experimentieren mit Realismus zu verbinden ist (meist mit Hilfe eines ironischen Recycling älterer Gattungen wie der Romanze oder des Industrieromans); sie regen zur Auseinandersetzung mit ethischen und religiösen Fragen, aber auch mit wissenschaftlichen Theorien und Richtungen an; und sie zeigen alle - das ist Lodges Brückenschlag zwischen Lebenswelt und Wissenschaft -, dass im vermeintlichen Elfenbeinturm der Universität Menschen aus Fleisch und Blut leben und manchmal allzumenschlich handeln.

Das bedeutet zunächst einmal Sex - Lodge ist hier durchaus Pragmatiker in eigener Sache, denn Sex verkauft sich bekanntlich gut. So zeigt er etwa in Small World eine italienische Professorin für Renaissanceliteratur, die im Luxus lebende Kommunistin Fulvia Morgana, in Sado-Maso-Spielen mit dem aus Changing Places bekannten Morris Zapp (was diesen angesichts seiner nicht den Gerüchten entsprechenden Männlichkeit zum pikanten Eingeständnis "ars longa, in life shorter" veranlasst); und in Nice Work bekommt der Leser Einblicke in die non-penetrativen und, wie man liest, von Feministinnen gutgeheißenen sexuellen Praktiken von Robyn Penrose und ihrem Geliebten Charles.

Wissenschaftler sind bei Lodge aber nicht nur sexuelle Wesen, sondern auch solche, die nach Macht und Ansehen streben, manchmal ohne bei den Mitteln allzu zimperlich zu sein. Und es sind Menschen, die nach Möglichkeit versuchen, das System für sich auszunutzen, etwa mit Hilfe eines Konferenztourismus, der in Small World ironisch als Nachfahre der mittelalterlichen Pilgerreisen angesprochen wird. Mitunter passieren auf diesen Reisen Peinlichkeiten wie dem australischen Gelehrten Rodney Wainwright, der sein Referat für eine Jerusalemer Konferenz nicht fertig schreiben konnte und vor versammelter Gelehrtenschaft schwitzend aus seinem Torso gebliebenen Manuskript über die Zukunft der Literaturkritik liest, bis eine Gesundheitswarnung vor einem Ausbruch der Legionärskrankheit den Saal just in dem Augenblick leert, als sein Manuskript abbricht.

Auffallend an diesem Blick in den Elfenbeinturm, der auch die Angst vor Krankheit, die Probleme des Unterrichtens uninteressierter Studenten, den Ärger um Rezensionen, die Verwerfungen universitärer Stellenpolitik und den Kampf um die eigene berufliche Zukunft erfasst, ist fast durchweg der unernste Ton (Selbstmordfälle wie in Thinks sind die große Ausnahme). Dabei gibt es zwar mitunter schneidend satirische Elemente wie bei Schwanitz, aber die Regel ist das bei Lodge nicht. In seiner Darstellung des Wissenschafts-und Universitätsbetriebs herrscht vielmehr eine besondere Spielart der Ironie vor, die man defensiv nennen könnte: Es geht hier nicht so sehr um Angriff und Desavouierung, als um Markierung einer von der Leserschaft wohl schon erwarteten Distanz zu einer leicht exotisch wirkenden Institution und Gruppe von Menschen, wobei aber diese Distanz dazu verwendet wird, die Universität und die in ihr wirkenden Wissenschaftler dem Leser auf eine durchaus sympathieheischende Art näherzubringen.

Fiktiv und doch sehr real

Lodge, der als (ehemaliger) Professor selbst einer Minderheit angehört, versteht es dabei meisterhaft, diese Minderheit seinen Lesern mit Witz und Menschlichkeit näher zu bringen. Insbesondere macht er klar, dass auch im wissenschaftlichen Milieu Menschen leben, die so verschieden vom Mann (und der Frau) auf der Straße dann doch nicht sind. Für die deutschsprachigen Leser erweist sich ferner, dass in Lodges englischen Romanen Figuren mit Problemen kämpfen, die - leider - keineswegs nur englische geblieben sind. Die "cuts" unter Premierministerin Margaret Thatcher haben - zynisch verbrämt als universitäre Autonomie und Appell an die Managementkompetenzen der Universitätsleitungen, wie sie von einer Ministerin einmal gefordert wurden - auch Österreich erreicht, und die Klage von Robyn Penrose, dass die Regierung "tenure" (Lebenszeitstellen für Professoren) abschaffen wolle, obwohl dies die einzige echte Garantie akademischer Freiheit sei, hat auch in unserem Land der Entbeamtung von Professuren inzwischen einige Relevanz. Das Menschliche und Allzumenschliche an den universitären Wissenschaftlern in Lodges Romanen ist somit nicht nur unterhaltsam, sondern auch Mittel für die Beleuchtung einer Institution und ihrer Probleme, die letztlich die Gesellschaft insgesamt betreffen. Über die Brücken, die seine Romane schlagen, verlaufen also Wege, die mitten in unsere Realität führen.

Der Autor ist Professor für Anglistik an der Universität Graz.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung