Alois Hotschnig: "Sie sollen offen sein für jede Aufführung"

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Seit seinem Debüt 1989 prägt Alois Hotschnig die österreichische Literatur. Ein Gespräch über die Suche nach einem Schuldigen, die Kunst, Verschweigen in Sprache zu bringen, und Erzählungen ohne Erzähler.

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Seit seinem Debüt 1989 prägt Alois Hotschnig die österreichische Literatur. Ein Gespräch über die Suche nach einem Schuldigen, die Kunst, Verschweigen in Sprache zu bringen, und Erzählungen ohne Erzähler.

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Seine Texte lassen neu über Sätze nachdenken: Was ist ein Satz? Wie baue ich ihn? Was passiert, wenn ich darin nur ein wenig verschiebe? Wer spricht ihn? Was passiert, wenn ein anderer ihn spricht? Seine Texte zeigen, dass Erzählhaltung auch etwas mit ethischer Haltung zu tun haben kann. Brigitte Schwens-Harrant sprach im Rahmen ihrer Reihe WERG.GÄNGE Anfang Juni in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur mit dem Schriftsteller Alois Hotschnig. Im Folgenden eine gekürzte und leicht redigierte Fassung des Gesprächs.

DIE FURCHE: Sie haben ursprünglich Medizin studiert. Prägt diese zumindest begonnene Ausbildung Sie auch als Schriftsteller?

Alois Hotschnig: Begonnen, das ist wichtig. Denn was ich bisher durchgehalten habe, ist die Schriftstellerei. Die Medizin habe ich im Lauf der Zeit schriftstellernd weitergeführt. Ein Buch ist ein Satz, und ein ganzes Leben ist ein Satz, und jeder Satz hat ein Vorleben, so wie jedes Buch ein Vorleben hat und wie jede Schriftstellerei auch ihr Vorleben hat, und das ist bei mir auch dieses medizinische Interesse, der Versuch einer Analyse. Es ist immer nur ein Versuch. Man glaubt, man hat es - und hat doch immer nur die Pustel einer nächsten sozialen, nicht unbedingt Krankheit aber doch Schwierigkeit im Gesellschaftskörper. Das kommt vom medizinischen Interesse her.

DIE FURCHE: Der Titel Ihres ersten, 1989 erschienenen Buches lässt aufhorchen: "Aus". Was ist mit diesem Werk beendet und was fängt damit an?

Hotschnig: Das Wort "aus" ist das Wort, das in dieser Erzählung am häufigsten vorkommt. Zumindest in Sätzen, die wichtiger sind als andere. Ich brauche immer lange, bis ein Text als beendet abgegeben wird. Aber er ist in Wahrheit nie beendet, ist nur Fragment, es geht auf diesem Weg für diesen Text nicht weiter und er kommt zu einer Art Ende. Aber er setzt sich fort und wird korrigiert durch den nächsten Text, der geschrieben wird. Natürlich ist nichts zu Ende mit "Aus", es ist eine Art Anfang gewesen. Aber es wird gespielt damit. Die Menschen, die in diesem Buch dargestellt sind, versuchen ununterbrochen, eine Ursache zu finden für die Symptome, die sie umtreiben. Die Ursache versuchen sie immer durch die Suche nach Schuldigen zu finden. Und das ist eine Suche, für die es kein Ende gibt. Das aber wird in diesem Text von den verschiedenen Protagonisten ununterbrochen suggeriert. Jeder glaubt, er habe ein Problem mit einer Person oder mit der ganzen Welt und finde einen Weg, diese Schwierigkeit zu überwinden und dieser Weg sei final - aber das ist er natürlich nicht.

DIE FURCHE: Im ersten Satz entwerfen Sie mit Gitter und Gatter eine Welt als Sperrgebiet, eine Welt des Einschließens und Ausschließens. Der Satz klingt wie eine Ouvertüre.

Hotschnig: Ja, damit ist der Rahmen gegeben, der Boxring. Es ist in Summe alles schon drinnen, was ich heute aber so nicht mehr schreiben würde. Ich habe versucht, Dinge noch beim Namen zu nennen, indem ich sie ausgesprochen habe. Später ist es mir zur Lust geworden, über Dinge zu sprechen, ohne sie auszusprechen. Man spürt, dass ein zweiter, ein dritter Boden da sein kann, je nach Leserin. Man kann sich auf diese verschiedenen Ebenen einlassen, muss es aber nicht. Das ist kein Rätsel, sondern eine Möglichkeit, die ich bieten möchte. Die Dinge sind zwar wörtlich benannt, aber es steht auch etwas dahinter, mit Konnotationen wird hier gearbeitet. Wer draußen ist, will drinnen sein und wer drinnen ist, will draußen sein. Man rüttelt an einem Gitter, das zwischen uns ist, und will in den anderen hinein und aus sich heraus, und die Frage wäre vielleicht, ob es einmal gut wäre, durch die Stäbe einander wahrzunehmen und dann gemeinsam um das Gitter herumzugehen. Eventuell. Oder auch nicht. Das interessiert mich hier. Die Figuren haben diese scheuklappenartige Hassrhetorik, Gegner sind nicht Gegner, sondern Feinde, Schwierigkeiten sind nicht Schwierigkeiten, an denen man wachsen kann, sondern an Schwierigkeiten ist jemand schuld.

DIE FURCHE: Das klingt sehr aktuell. In "Aus" sind wir als Leser selbst in die Perspektive, hinter Gittern eingesperrt. Das Monologische wird sich aber in Ihren Werken immer mehr in Vielstimmigkeit auflösen, bis dann gar kein Erzähler mehr vorkommt. Um ein Beispiel auf diesem Weg zu nennen, "Ludwigs Zimmer", 2000 erschienen: Da gibt es zwar einen Ich-Erzähler, aber seine Perspektive wird durch die Stimmen anderer erweitert.

Hotschnig: Beim ersten Buch "Aus" wollte ich in den Kopf eines Menschen hineingehen und noch dazu in ein Problem eines Menschen - eine besondere Engführung. Der Leser sitzt mit in dieser Zelle und soll auch herauskommen wollen, aus dem Gefängnis dieser Sprache, dieser Befindlichkeiten. Er soll sich auch wehren gegen den Text und dadurch in sich Möglichkeiten entwickeln, die ihn weiterbringen in der eigenen Denkweise. Ich dachte mir, wenn ich mich so konzentriere auf einen Menschen und auf seine Sprache, dann kann ich als der Schreibende, der ich zu werden versuchte, auch eine Sprache finden, nämlich meine Sprache. Das hat aber dazu geführt, dass ich es nicht mehr ausgehalten habe, mich nur auf einen zu konzentrieren. Es war immer die Lust da, schon im zweiten Satz jemand anderen sprechen lassen zu wollen. Dann habe ich einen Roman geschrieben, der zu "Ludwigs Zimmer" geführt hat, "Leonardos Hände". Da gibt es auch Hauptprotagonisten, aber es kommen auch 100 Personen oder Stimmen vor, und man ist immer wieder kurzfristig in den Köpfen dieser anderen Personen drin. Es ist wie ein Feuerwerk, das ununterbrochen neben, über oder unter diesen Protagonisten sprachlich abgefeuert wird. "Ludwigs Zimmer" ist in gewisser Weise eine Fortsetzung davon. Es geht um Wahrheitsfindung. Es geht um das Aufdecken oder um das Hörbarmachen jahrzehntelangen Schweigens. Das war die lustvolle Schwierigkeit: Wie kriege ich das Verschweigen zur Sprache, ohne zu sagen "er schwieg sich aus"? Ohne es zu definieren. Sondern dass bemerkbar wird: Hier wird geredet und geredet und geredet, aber um etwas zuzureden, auch Vergangenheiten. Auch in diesem Text gibt es nicht die eine Ursache für die Schwierigkeiten, die da sind, sondern es gibt so viele Ursachen, wie es Menschen gibt, die daran beteiligt sind, mindestens. Ich habe versucht, jedem eine Art Stimme zu geben.

DIE FURCHE: "Ludwigs Zimmer" ist ein sehr politisches Buch.

Hotschnig: Der Text führt zu einem Lager, das damals völlig unbekannt war, am Loiblpass. Da wurde 1943/44 ein Tunnel gegraben durch Ausnützung von KZ-Häftlingen aus Mauthausen, die man dorthin deportierte. Es war ein grauenhaftes KZ, von Haider immer nur als Arbeitslager bezeichnet. Da gab es Gedenkfeierlichkeiten und niemand von der österreichischen Seite kam. Es finden sich Anklänge im Text auf den damaligen diffusen Diskurs, besonders etwa auf Kärntner Seite. Aber nicht deutlich und klar, denn sonst würde man etwa Haiders Rede in Krumpendorf erkennen. Mit dieser Eindeutigkeit macht man es zu eng. Dann könnte man sagen: Das ist damals und dort. Der Haider ist tot, das Problem ist weg. Ich wollte aber diese Wunde noch einmal sichtbar machen und die Subsprache des latenten alltäglichen Faschismus zeigen, es spielt bewusst in Kärnten. Der Text ist voller Anklänge auch an die Zeitungen der damaligen Zeit. Die Hauptfigur dieses Romans ist ein Allerweltsmensch, der in nichts hervorragt, auch nicht will, der nicht politisch einzuordnen wäre. Er ist einfach uninteressiert. Er erbt ein Haus und erbt in Zusammenhang mit diesem Haus Verwandtschaft, von der er bisher nichts wusste, und in diesem Haus, in dieser Verwandtschaft hat es alles gegeben: Häftlinge, Mitläufer und Denunzianten, wie im wirklichen Leben. Ich wollte bewusst einen Allerweltsmenschen, bei dem man nicht wissen konnte: Wäre er nun ein Mitläufer gewesen oder nicht?

Ganz schwammig, ein Nichts an Projektionsfläche. Das bildet aber auch ein Viel an Projektionsfläche für Angst oder Furcht, wenn ich jemanden so gar nicht einordnen kann. Durch viele Widerstände rutscht er in diese Geschichte hinein und sie wird für ihn doch interessanter, weil sie nicht mehr theoretisch ist -nicht mehr schwarz oder weiß, braun oder grün, all diese Antagonismen -, sondern es sind reale Menschen, mit denen er es zu tun hat und zu tun gehabt hätte, hätte er sie früher kennengelernt.

DIE FURCHE: Erzähler beurteilen. In Ihrem jüngsten Erzählband "Im Sitzen läuft es sich besser davon" gibt es keinen Erzähler mehr. Hotschnig: Hier habe ich tatsächlich nicht mehr beschrieben, wer spricht. Jeder von uns ist aber auch hier Spezialist. Jeder von uns sitzt in der U-Bahn, in der S-Bahn, im Bad, im Café, im Zug. Menschen gehen vorbei, man schnappt etwas auf, manche telefonieren miteinander und man bekommt eine Geschichte erzählt. Von solchen Erfahrungen sind die Geschichten auch ausgegangen. Alles, was man sagt, hat immer mehrere Varianten, mehrere Interpretationsfelder, und je nachdem, wie du aufgelegt bist, hörst du etwas Bestimmtes heraus. Einmal regt es dich auf, einmal schmunzelst du, weil du selber anders gestimmt warst. Wenn etwa jemand übermorgen heiratet und Sie hören Glocken, freuen Sie sich, denken an Hochzeitsglocken und werden nicht deprimiert sein. Dieselben Glocken, wenn Ihr Vater gestern gestorben ist, haben zwar denselben Ton, aber eine andere Geschichte. Deswegen wollte ich keinen Erzähler haben, der diese Geschichten definiert, der die Stimmungen benennt und festlegt, sondern sie sollen offen sein für jede Aufführung.

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