Eigentlich waren die gesellschaftlichen Umbrüche der 60er-Jahre die den Western als Stilform kippten. Werte und Pflichten wurden in Frage gestellt - und mit ihnen auch moralische Werte. Europas Filmschaffende wählten sich den Western als Ziel - und landeten damit unter der Führung italienischer Regisseure einen Welterfolg. Sie versenkten die reinen männlichen Helden der Prärie und verhalfen den miesen Halunken zu ihrem Auftritt - so rissen sie auch die Fassaden des guten alten Western ein.
Wenn man Kinoexperten nach dem Unterschied zwischen Italowestern und Western fragt, so antworten sie gerne mit einer Erzählung, ähnlich der folgenden: "Und wieder ist es zwölf Uhr Mittags. Ein Mann reitet in eine Stadt. Er sieht, dass ein Mann auf ein Kind einschlägt, ein anderer dazu lacht und eine verzweifelte Frau weint. Er steigt von seinem Ross, verprügelt die Übeltäter, danach ihren Auftraggeber. Dann heiratet er die Frau.“ Das ist der Western. Nun der Italowestern: "Ein vollkommen verdreckter Mann reitet auf einem müden Muli in eine Stadt. Es ist zwölf Uhr mittags. Eine Frau weint, ein Kind wird geschlagen. Männer grinsen. Der Mann spuckt aus, zündet sich eine Zigarre an und reitet weiter.“
Der Halunke als Held
Als sich Italien über den Western hermachte, verloren die Helden ihre Güte und die Welt des Wilden Westen ihren moralischen Kompass. Plötzlich schossen nicht mehr die Guten am besten, sondern die Bösen erschossen die Guten und am Ende blieb der Intelligenteste unter den Bösen übrig. Zum Helden wurde er nur, weil er zum Morden auch noch ein paar lockere Witze reißen konnte. Oder gar nicht sprach - wie Charles Bronson im erfolgreichsten Film dieser Art - Sergio Leones "Once upon a Time in the West“/"Spiel mir das Lied vom Tod“. Da ist noch der unglückliche Rächer der Held. Später spielen Clint Eastwood und Eli Wallach in "The Good, the Bad and the Ugly“ überhaupt ein Duett über den Erfolg der Habgier. Das Gute kommt nur noch durch Zufall zum Zug - wenn es überhaupt erwähnt wird.
Doch schon Mitte der 70er-Jahren hatte der Italowestern seinen Erfolgs-Zenit überschritten. Als Rod Steiger in "Todesmelodie“ von Sergio Leone in Nahaufnahme sein Geschäft gegen einen Baum verrichtet, konnte er damit niemanden mehr schockieren.
Ab dem Jahr 2000 wurden in Europa nur noch neun Western gedreht, von denen nur noch die vollkommene Persiflage Karl Mays an den Kinokassen erfolgreich war: "Der Schuh des Manitou“.