Als Kirche am Ort Lebensfähig Sein

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Veronika Prüller-Jagenteufel, Leiterin des Pastoralamtes der Erzdiözese Wien und Hannes Mahler, Pfarrgemeinderat im niederösterreichischen Hinterbrühl, über die Aufgaben und Probleme einer lebendigen Pfarrgemeinde heute.

Diözesanleitung trifft Pfarrgemeinderats-Profi - zu solchem "Spitzengespräch“ lud die FURCHE: Veronika Prüller-Jagenteufel, als Leiterin des Pastoralamtes der Erzdiözese Wien die oberste Beauftragte des Bischofs, über die pastorale Zukunft nachzudenken, trifft Hannes Mahler, stellvertretender Pfarrgemeinderatsvorsitzender in Hinterbrühl bei Wien.

Die Furche: Herr Mahler, Sie waren 1977 erstmals Pfarrgemeinderat. Und Sie kandidieren 2012 immer noch. Zahlt es sich überhaupt aus, Pfarrgemeinderat zu werden?

Hannes Mahler: Für mich hat es sich ausgezahlt. Ich habe unglaublich viele Erfahrungen gesammelt, viele Kontakte geknüpft.

Die Furche: Was macht heute den Unterschied zu damals aus?

Mahler: Die Aufgabenstellung ist komplett anders. 1977 haben wir unsere Hauptaufgabe darin gesehen, den Pfarrer dabei zu unterstützen, den nachkonziliaren Aufwind in die Pfarre zu bringen und es herrschte Aufbruchsstimmung. Im Übrigen sieht genau das auch die Pfarrgemeinderatsordnung vor: den Pfarrer zu unterstützen und zu beraten. Heute ist aber die Grundaufgabenstellung, Gemeinschaft vor Ort zu bilden und zu stärken, das Interesse die pfarrlichen Gemeinschaften zu stärken, weil wir Angst haben, in den aktuellen Entwicklungen unterzugehen.

Veronika Prüller-Jagenteufel: Wenn wir als Kirche weiterkommen wollen, ist das große Lernfeld, das - theologisch gesprochen - Bewusstsein für das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen zu wecken, das Wissen: Wir sind ein berufenes Volk - jede und jeder, und das leben wir gemeinsam. Dies zu fördern, ist eine der wesentlichen Aufgaben des Pfarrgemeinderates.

Mahler: Das ist für uns eindeutig der Schwerpunkt. Es geht weniger als früher um organisatorische Maßnahmen, um Unterstützungsarbeiten für den Pfarrer, wir diskutieren mit unserem Pfarrer viel mehr auf Augenhöhe als vor 35 Jahren. Und wir verstehen uns als Gremium, das das Überleben als Kirche vor Ort ermöglichen hilft.

Die Furche: Ist aus Sicht der Diözesanleitung so eine Neuorientierung, weniger auf den Pfarrer zu setzen, sinnvoll?

Prüller-Jagenteufel: Die Veränderung von der Hilfstruppe des Pfarrers in die Richtung, dass der Pfarrgemeinderat Verantwortung für die Gemeinde als seine eigene Angelegenheit übernimmt, ist zweifelsohne sinnvoll. Es ist ja die ureigene Angelegenheit der Getauften und Gefirmten, sich nicht selbst zu genügen, sondern ihrer Sendung in der Welt bewusst zu sein. Das führt natürlich weg davon, auf die Kirche als Versorgungsinstitution zu setzen. Die religiöse Dienstleistungsfunktion wird weiter wichtig sein - wir haben da einen Dienst zu tun an der Gesellschaft und stellen unseren Schatz zur Verfügung! Wirklich fruchtbar gelingt das aber nur dort, wo es aus der Glaubensgemeinschaft kommt.

Mahler: Unter diesen Bedingungen wird er Pfarrgemeinderat auch mehr Verantwortung übernehmen müssen - auch für die Weiterentwicklung der Pfarre. Wobei ich da schon anmerken möchte, dass hier meiner Meinung nach die Amtskirche oder konkret die Bischöfe überfordert sind. Es liegt da an den Pfarrgemeinderäten, der Kirche zu melden, was unsere Bedürfnisse sind. Wir wollen nicht mehr Hilfsdienste leisten, sondern uns überlegen, was die Probleme sind, für die man uns da wählt. Man muss natürlich sagen, laut Pfarrgemeinderatsordnung gibt es ja nicht viel Verantwortung für uns.

Prüller-Jagenteufel: Es steht wohl drinnen, er soll entscheidend mitgestalten …

Mahler: … aber wir sollten ehrlich sehen: Wenn es ein gutes Verhältnis gibt zwischen Pfarrgemeinderat und Pfarrer, dann funktioniert es, aber wenn der Pfarrer nicht will, dann hat man wenig Möglichkeiten.

Prüller-Jagenteufel: In vielen, wenn auch nicht in allen Pfarren funktioniert es insgesamt gut. Aber es prägt viel, welche Stimmung im Pfarrgemeinderat herrscht, was dort an gedanklichem Raum eröffnet wird.

Mahler: Das sehe ich auch so. Wenn sich der Pfarrgemeinderat überlegt, was er will …

Prüller-Jagenteufel: … und sich vor allem konkret vornimmt: Was wollen wir in den nächsten fünf Jahren erreichen? Da gibt es in der Umbruchsituation, in der wir sind, viel zu tun. Zum Beispiel, "Pfarre“ nicht zu eng zu denken, nicht nur die Katholiken im Pfarrgebiet zu sehen, sondern alle Menschen, die da leben.

Mahler: Sie rennen da bei mir offene Türen ein. Unsere Pfarrzeitung heißt Offene Gemeinde - und das ist unser Programm!

Die Furche: Wenn der Pfarrgemeinderat mehr Verantwortung übernehmen soll: Was heißt das, wenn die Kirchenleitung diesem formal ganz wenig Kompetenzen zugesteht? Was ist die Rolle des Priesters in Zukunft?

Mahler: Die Rolle des Priester ist aus meiner Sicht die eines Primus inter Pares, nicht mehr das Stehen auf dem Podest, sondern auf Augenhöhe mit der Pfarrgemeinde, wissend, dass er aufgrund seiner Weihen mit der Pfarrgemeinde Dinge macht, die andere nicht können. Aber ansonsten bewegen wir uns auf Augenhöhe. Dann kann man auch Verantwortung übernehmen. Ein Beispiel: Wir versuchen, zu garantieren, dass in der Gemeinde eine Eucharistiefeier stattfindet. Da übernimmt der Pfarrgemeinderat auch Verantwortung und sagt nicht nur: Die Diözese soll uns einen Priester schicken. Es geht also darum, vorzudenken, was wir tun können, wenn unser Priester nicht da ist.

Prüller-Jagenteufel: In Pfarren in einem Pfarrverband oder Seelsorgeraum wird auf den Pfarrgemeinderat die Verantwortung ganz stark zukommen: Wie gestaltet sich das Gemeindeleben, wer trägt das vor Ort? Es wird nicht immer funktionieren, dass alle Gemeinden auch einen Aushilfspriester finden - das ist die realistische Situation. Und dann ist es zum Beispiel auch Sache des Pfarrgemeinderats, dass Menschen da sind, die einen Wortgottesdienst leiten können.

Die Furche: Aber wie soll das funktionieren, solange die Kirchenleitung dem Pfarrgemeinderat weiter die Entscheidungskompetenz vorenthält? Er soll mehr Verantwortung übernehmen, aber er bekommt keine Kompetenz dazu!

Prüller-Jagenteufel: Verantwortung meint mehr als das, was in der Pfarrgemeinderatsordnung steht; das Leben geht ja darüber weit hinaus. Und Fragen wie jene der Sonntagsgottesdienste sind in Rahmenordnungen für Pfarrverbände zu regeln.

Mahler: Eigentlich ist es mir egal, was in der Pfarrgemeinderatsordnung steht. Wenn die Bedürfnisse vor Ort da sind, dann lasse ich mich nicht hemmen, wenn ich eine Kompetenz überschreite. Ich bin absolut kein Freund von Pfarrverbänden. Ich glaube, die Zukunft liegt in der kleinen Gemeinschaft einer Gemeinde, dass die ihre Identität hat. Und habe ich meine Zweifel, dass die in den Pfarrverbänden aufrechtzuerhalten ist. Ich illustriere das einem Beispiel: Wenn es in der Stadt Wien plötzlich eine steigende Zahl von Obdachlosen gibt, dann könnte die Gemeinde Wien in zweierlei Weise darauf reagieren: Sie könnte den vielen Obdachlosen Notschlafstellen und Ausspeisungen anbieten oder sie könnte sich überlegen, was zu tun ist, damit die Obdachloskeit nicht zunimmt. So ähnlich sehe ich es in der Kirche: Es geht nicht darum, zu sagen: Schaut’s wo ein Gottesdienst ist und fahrt dann dorthin! Sondern es geht darum, das Ganze an der Wurzel anzupacken.

Prüller-Jagenteufel: Ich sehe das ein wenig anders. Um bei Ihrem Beispiel zu bleiben: Man muss beides tun. Man braucht Notschlafstellen und man muss schauen, woher die Obdachlosigkeit kommt. In der Kirche müssen wir einerseits die Gemeinden unterstützen, auch wenn es nicht in jeder einen Priester am Ort gibt. Und wir müssen andererseits weiter darüber nachdenken, wie Amt und Leitung heute sinnvoll zu gestalten sind. Zudem halte ich es für wichtig, dass eine Gemeinde die Gelegenheit hat, sich am Sonntag in ihrer Kirche zum Gottesdienst zu versammeln. Möglicherweise wird das nicht jeden Sonntag eine Eucharistiefeier sein. Vielleicht ist bei uns das Bewusstsein, gemeinsam Gemeinde zu sein, noch zu wenig ausgeprägt. Vielleicht ist es ja eine List des Heiligen Geistes, uns nicht so viele Priester zu geben, damit wir dieses Bewusstsein mehr entwickeln.

Mahler: Das glaube ich aber doch nicht! Aber wenn wir das Bewusstsein stärken, wir sind Gemeinde, wir sind Kirche vor Ort, dann wird die Kirche leben. Das ist eine zentrale Aufgabe für die Pfarrgemeinderäte.

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