Als Prag Österreich anerkannte

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1945 in Tschechien und Österreich: ein Vergleich. Von Jirí Grusa die furche 23. 6. 2005

Es musste so etwas wie ein Gesetz der ausgleichenden Ungerechtigkeit existieren, wenn man auf uns heute zurückschaut. Auf die Österreicher und Tschechen. Ein zwar nie formuliertes, aber ein wirkendes Gesetz der Selbstreduktion per Hochmut. Eines, das all das Auf-den-Kopf-Gestellte wieder auf die Füße bringt, weil die Köpfe doch noch zum Einsatz kommen.

Bei den österreichischen Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag des Staatsvertrags fiel mir diese komische Regel ein. Das Datum markiert nämlich nicht nur den Anfang des österreichischen Aufstiegs, sondern auch den Beginn der tschechischen Talfahrt. Einen Wendepunkt, an dem die Tschechen, üppig davon überzeugt, alles gewonnen zu haben, ihre eigene Verluststrecke antreten. Es hat bei aller Tragik komische Züge. Die Hybris in Prag glaubt, all das erreicht zu haben, was einst dem Volke sein nationales Narrativ versprach, und dabei ist Nemesis bereits am Zähneknirschen. Diese Göttin, die man bis dato für unsere verlässlichste Komplizin gehalten hatte, scheint jetzt die Seiten zu wechseln. Am Tage der totalen Genugtuung, als Prag den kleinen Staat der Österreicher in einem Schlussakt anzuerkennen gedenkt, zeigt sich zwar unauffällig und dennoch unübersehbar, dass das Stück eine Fortsetzung hat. [...]

Was haben diese rakusÇani, wie wir die Österreicher nennen, weil sie da unten hinter der Ragusa Burg (lies Raabs) kampieren, besser gemacht? Nun, nachdem sie unter einem Regime des ewigen Ausnahmezustandes selbst gelebt haben, erkannten sie dessen weitere Variante schneller. Und haben anders gewählt. Auch anderes gewollt. Ihr Präsident, kein BenesÇ, biederte sich nicht an und übte keine zusätzlichen Kapitulationen. Auch die Sozialdemokraten in Österreich waren der Volksfrontfalle gewachsen, geläutert genug - unter den Russen-Lustern. Besser im Rennen mit Renner, der den Stalin schon aus Wien kannte und ihn nicht wie unser B. Boss erziehen wollte.

So oder so, es hat wiederum 40 Jahre lang gedauert, bis auch die Tschechen, auf Tschesko verkleinert, wieder bei Österreich waren, diesmal in seinem eu-Format. Es glichen sich nicht nur die Staatsgrößen einander an, sondern auch unsere Geschichtslektionen. Ich weiß, Ingeborg Bachmann soll einst sehr österreichisch bemerkt haben, die Geschichte sei Lehrerin in einer leeren Klasse. Das letzte Dezennium der erneuerten Nähe zeigte schon passable Benehmensnoten. Letztendlich sitzen wir allesamt in einer Dorfschule dieses noch frischen Weltdorfs. Hier kann man nicht mogeln wie früher.

Das lässt mich hoffen, dass unser Raum, der sich per ausgleichender Ungerechtigkeit das schenken ließ, was ihm Justitia (eine wesentlich angenehmere Göttin) längst gegeben hätte, endlich mal richtig freut. Schon deswegen, da Hybris und Nemesis immer noch munter sind. Die Hybris trägt jetzt mehr lokale Trachten (wie eben in Frankreich gezeigt). Und gibt sich nationalistisch sozial. Gekränkt und selbstbewusst. In der Zwischenzeit jedoch sucht ihre Schwester die Robe für den finalen Opernball.

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