Als Prag Österreich anerkannte

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1945 in Tschechien und in Österreich: ein Vergleich. von jiÇrí gruÇsa

Als man 1905 in Prag auf den soeben unterschriebenen Mährischen Ausgleich herabschaute, anstatt die stockenden Versuche um den böhmischen zu beschleunigen, ahnte noch niemand, dass hiermit ein Jahrhundert begonnen hatte, das letztendlich alle bereuen würden. In dem sich solide Tanzparkette in Arenen verwandelten für Rangordnungsstreit und Brutalität. Auf dem keine öu, eine mögliche Österreichische Union angestrebt wurde, sondern nur manische Selbstvergrößerung mit pride and prejudice, die alle kleiner machte - kleinlich und peinlich. Es musste so etwas wie ein Gesetz der ausgleichenden Ungerechtigkeit existieren, wenn man auf uns heute zurückschaut. Auf die Österreicher und Tschechen. Ein zwar nie formuliertes, aber ein wirkendes Gesetz der Selbstreduktion per Hochmut. Eines, das all das Auf-den-Kopf-Gestellte wieder auf die Füße bringt, weil die Köpfe doch noch zum Einsatz kommen.

Tschechische Talfahrt

Bei den österreichischen Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag des Staatsvertrags fiel mir diese komische Regel ein. Das Datum markiert nämlich nicht nur den Anfang des österreichischen Aufstiegs, sondern auch den Beginn der tschechischen Talfahrt. Einen Wendepunkt, an dem die Tschechen, üppig davon überzeugt, alles gewonnen zu haben, ihre eigene Verluststrecke antreten. Es hat bei aller Tragik komische Züge. Die Hybris in Prag glaubt, all das erreicht zu haben, was einst dem Volke sein nationales Narrativ versprach, und dabei ist Nemesis bereits am Zähneknirschen. Diese Göttin, die man bis dato für unsere verlässlichste Komplizin gehalten hatte, scheint jetzt die Seiten zu wechseln. Am Tage der totalen Genugtuung, als Prag den kleinen Staat der Österreicher in einem Schlussakt anzuerkennen gedenkt, zeigt sich zwar unauffällig und dennoch unübersehbar, dass das Stück eine Fortsetzung hat.

Ich habe sogar eine lustige Erinnerung. In der Russisch-Stunde hat uns das Ereignis unser Lehrer erklärt. Wir nannten ihn Píd'a (Gnom), weil er ein Kleinwuchs und Übermensch war, der uns die Sprache Puschkins in ein Martyrium der Marxzitate zu verwandeln pflegte. Diesmal aber hatte er auf Tschechisch-Pathetisch umgeschaltet und redete über den Sieg der historischen Notwendigkeit: "Der große Palack´y hat einst gesagt: Es gab uns vor Österreich, es wird uns nach Österreich geben!" Was für eine wahrhaftige Sicht der Dinge. Gestern haben wir Österreich anerkannt. Denkt, Schüler, daran, wenn Ihr einst Männer seid!"

Er spielte auf den Sinnstifter unseres neutschechischen Wir-Gefühls an, den des Narrativs, den Historiker Palack´y, der über unsere staatliche Kontinuität so überzeugend zu erzählen wusste, das selbst die Kommunisten ihn nicht ablehnen konnten, obwohl er bourgeois dachte und noch nach 1848 an eine öu der europäischen Mitte glaubte. Er hatte ursprünglich auch einen anderen Wappenspruch formuliert. "Gäbe es Österreich nicht, hätte man's selber erschaffen müssen!" Nicht ohne Ehrgeiz und Liebe in und zu seiner breiteren Heimat. Erst der Dualismus hat ihn vergrätzt. Das K. und K. ohne den Buchstaben für seine Tschechen. Er hielt diese Lösung für eine Hybris pur. Und rief die Nemesis zur Hilfe. Als gebildeter Mann wusste er, dass die beiden Mädel Schwestern sind und eine ohne die andere selten agiert.

Mährischer Ausgleich

Nach dem Mährischen Ausgleich haben die klügeren Ansätze endgültig ausgedient und die Göttinnen des Unheils ihren Opferball begonnen. Es schien wirklich so, dass die zweite von ihnen den Tschechen die Daumen drückt. Sie sind aus dem Ersten Weltkrieg als Tschechoslowaken herausgekommen. Und als man sie noch einmal mit Hilfe der Deutschgermanen reduzieren wollte (und Österreich nicht einmal als Wort vorhanden war), hatte sich das Blatt noch einmal gewendet und alles schien gerecht (gerächt) zu tschechischer Gunst zu sein.

Nationaler Jubel

Es startete die Ära der Siege. Auch Píd'a prahlte damit, als Obmann des Fortschritts auf unserer Schule. Die Industrie war volkseigen geworden, das Volk slawisch groß. Als "národ" (die Nation) zwang es die Zögernden in die "národní fronta" (Volksfront). Und wählte (1946) sich selbst in Gestalt der Arbeiterklasse. Die Kommunisten (im Böhmisch-Mährischen, dem cz von heute, dem Tschesko) gewannen den Wahlgang mit mehr als 40 Prozent der Stimmen. Sie beeilten sich schnell, diesen zum letzten der freien zu machen und stockten Mitgliederreihen auf stolze 2,269.688 Millionen auf. Eine nirgendwo anders erreichte Zahl. Bei nur 8,6 Millionen Einwohnern konkurrenzlos tüchtig. Dabei musste das Volk Verluste ausgleichen, nachdem es die heimischen Deutschen - 2,170.598 Stück - in demselben Jahr zu verweisen hatte, weil sie so zahlreich und deutschgroß einem Österreicher zugejubelt hatten. Man geriet in Entzücken über unseren Bruder im Osten, mit dem nun endlich der gemeinsame eigene Sozialismus zu bauen war. Und in Warschau einen Pakt zu schließen "für ewige Zeiten", als Parallel-Leistung zum Vertrag in Wien! Auch Verräter haben wir ausfindig gemacht. Sie dienten jetzt der Arbeiterklasse in den Lagern der Arbeit. Oder sie nagten am Hungertuch in der Fremde. Der Zweijahresplan machte uns nämlich zu einer Macht des Friedens und die Fünfjahrespläne nach ihm zum irdischen Eden. "Vorwärts, kein Schritt zurück!", rief Píd'a uns zu.

Und wir staunten und schwiegen, denn in unserem Alter, bereits nach sieben Jahren des Glücks, wussten wir manches anders. Auch das Fehlen der eigenen Leute war spürbar. In Familien, Ämtern und Schulen. Selbst unser Lehrkörper wies manche Lücken auf. Eine Million Tschechen (im Gulag, im Exil) vermissten wir schon. Und der Generalplan des Aufbaus, noch immer gefeiert, ähnelte langsam dem schwarzen Loch.

Herrschaft ewiger Zeiten

Es wird sich rein statistisch zeigen, dass wir in der vierzigjährigen Herrschaft der ewigen Zeiten alljährlich einen Platz auf der Skala der Effizienz eingebüßt haben. Vorher lagen wir unter den ersten Zehn der Industrienationen, nachher am Rande der Dritten Welt. Natürlich haben das einige erschrocken bemerkt. Selbst viele Kommunisten. Sie wollten das - typisch tschechisch - zusammenflicken. Eigentlich reformieren. Das Ausmaß dieses edlen Wollens führten uns Armeen vor, die zu uns einmarschiert sind, um das Votum von 1946 wieder präsenter zu machen. Erst jetzt haben wir Österreich beneidet und als Asylland genutzt. Manchmal mit Reue.

Was haben diese rakuÇsani, wie wir die Österreicher nennen, weil sie da unten hinter der Ragusa Burg, (lies Raabs) kampieren, besser gemacht? Nun, nachdem sie unter einem Regime des ewigen Ausnahmezustandes selbst gelebt haben, erkannten sie dessen weitere Variante schneller. Und haben anders gewählt. Auch anderes gewollt. Ihr Präsident, kein BeneÇs, biederte sich nicht an und übte keine zusätzlichen Kapitulationen. Auch die Sozialdemokraten in Österreich waren der Volksfrontfalle gewachsen, geläutert genug - unter den Russen-Lustern. Besser im Rennen mit Renner, der den Stalin schon aus Wien kannte und ihn nicht wie unser B. Boss erziehen wollte.

Abgekommen im Weltdorf

So oder so, es hat wiederum 40 Jahre lang gedauert, bis auch die Tschechen, auf Tschesko verkleinert, wieder bei Österreich waren, diesmal in seinem eu-Format. Es glichen sich nicht nur die Staatsgrößen einander an, sondern auch unsere Geschichtslektionen. Ich weiß, Ingeborg Bachmann soll einst sehr österreichisch bemerkt haben, die Geschichte sei Lehrerin in einer leeren Klasse. Das letzte Dezennium der erneuerten Nähe zeigte schon passable Benehmensnoten. Letztendlich sitzen wir allesamt in einer Dorfschule dieses noch frischen Weltdorfs. Hier kann man nicht mogeln wie früher.

Das lässt mich hoffen, dass unser Raum, der sich per ausgleichender Ungerechtigkeit das schenken ließ, was ihm Justitia (eine wesentlich angenehmere Göttin) längst gegeben hätte, endlich mal richtig freut. Schon deswegen, da Hybris und Nemesis immer noch munter sind. Die Hybris trägt jetzt mehr lokale Trachten (wie eben in Frankreich gezeigt). Und gibt sich nationalistisch sozial. Gekränkt und selbstbewusst. In der Zwischenzeit jedoch sucht ihre Schwester die Robe für den finalen Opernball.

Der Autor ist Direktor der Diplomatischen Akademie.

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