Als wär's von Rosamunde Pilcher

19451960198020002020

Auch bei Andrea Wolfmayer ist noch im größten Schmerz das Makeup der Heldin perfekt.

19451960198020002020

Auch bei Andrea Wolfmayer ist noch im größten Schmerz das Makeup der Heldin perfekt.

Werbung
Werbung
Werbung

Digitalis Purpurea, der Rote Fingerhut, ist je nach Dosierung Herzmedizin oder Herzgift. Im neuen Roman von Autorin Andrea Wolfmayr wächst Digitalis Purpurea im Garten der Hausfrau Melanie, mit vielen anderen Ziersträuchern, Blumen und Heilkräutern, denn sie ist leidenschaftliche Gärtnerin. Und Köchin. Und Hausfrau. Und Mutter. Und unglücklich, denn die fünf Kinder wachsen heran und gehen - undankbar, versteht sich - aus dem Haus, der Ehemann ist Techniker und kein Freund von großen Gefühlen, und die Wechseljahre kündigen sich an. Die Schwiegermutter lebt im Haus, tyrannisiert alle und will nicht sterben.

Ein Klischee jagt das andere. Die übergefühlvolle, rundlich gewordene Frau fühlt sich unverstanden, niemand schätzt mehr ihre aufwendigen Menüs (die zum Teil originellen Rezepte bereichern den Roman als Fußnoten), die liebevoll gebrauten Tees, die selbst eingekochte Marmelade, die Zurückhaltung angesichts der Überlastung des Göttergatten. Die heile Welt des einstigen Hippie-Girls und katholischen Jungscharmädels, das auf medizinische Hausmittel und gewaltfreie Erziehung schwört, löst sich auf, es stellt sich heraus, daß der Schwiegervater als Arzt tödliche Medikamentenversuche an Juden vorgenommen hat, unter Gartensträuchern findet sich ein Heroinbesteck, die Tochter verdient als Hosteß ihr Geld. Das erste Enkelkind kriegt schon als Baby Klapse der ungeduldigen Mutter. Der Ehemann trifft eine alte Jugendliebe und entflammt sofort. Die frustrierte Melanie flüchtet in Martinis, Country-Club-Abende und Gartenarbeit. Dabei versucht sie noch immer heldenmütig, die Familie zusammenzuhalten. Selbst als der älteste Sohn als Dealer in Untersuchungshaft sitzt, besteht sie auf den gemeinsamen Sonntagsessen der zerbröselnden Familie. Die Ehe zerbricht durch ein Mißverständnis, ausgelöst vom Sohn des jüdischen Versuchsopfers. Das ist dann fast zuviel der Klischees, aber auch das Ende des Romans.

Er liest sich wie eine Herz-Schmerz-Geschichte von Rosamunde Pilcher, in der noch im größten Schmerz das Make-up der Heldin, das Kostümchen der Tochter und Omas Kaschmirweste perfekt sitzt. Alle sind Akademiker und leben in großen Häusern mit wuchernden Gärten. Die heile Welt wird erschüttert, aber nicht tiefgehend. Opas Nazivergangenheit ist "zum Glück" nicht mehr dokumentierbar, die flüchtende Ehefrau wird "großzügig ausbezahlt", der Ehemann heiratet endlich seine Jugendliebe (die natürlich vorher auch ein schweres Schicksal mit einem korrupten Botschafter teilen mußte) und die Kinder gehen ihren Weg. So ist das Leben, oder?

Digitalis Purpurea Von Andrea Wolfmayr Styria Verlag 1998 240 Seiten, geb., öS 298,

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung