Alte Wegmarken für die Zukunft

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Mit den "Maimonides Lectures“ wurde ein Forum zum Austausch von Wissenschaft und Religion eröffnet: Zunächst ging es um Glanz und Krise der Geisteswissenschaften.

Es gibt Fragen, die in ihrer existenziellen Tiefe zeitlos aktuell sind. Der preußische Gelehrte Immanuel Kant etwa sah die Aufgabe einer engagierten Philosophie in der Beantwortung von drei Fragen: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Es ist die Rückbesinnung auf existenzielle Fragen, die eingefordert wird, wenn wieder einmal von der Krise der Geisteswissenschaften die Rede ist. Und es ist die Orientierung am Existenziellen, die die Geisteswissenschaften mit der Religion verbinden kann.

"Was die Religionen und die humanistischen Wissenschaften heute miteinander teilen, ist die Sorge um den Tiefengehalt des Humanismus angesichts einer zunehmenden Ökonomisierung und auch Banalisierung aller Lebensbereiche“, betonte FURCHE-Herausgeber Heinz Nußbaumer anlässlich der Auftaktveranstaltung der "Maimonides Lectures“ in Wien. Mit dieser Symposien-Reihe an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) wird den Geisteswissenschaften fortan ein Dialogforum mit den drei großen abrahamitischen Religionen Christentum, Judentum und Islam eingeräumt. "Sowohl die Religionen als auch die Geisteswissenschaften verspüren heute einen kalten Wind“, so Nußbaumer. "Geistige Gegenwehr und vertiefte Gespräche tun also Not.“

Aktuelle Herausforderungen

Das erste Symposium der "Maimonides Lectures“ (19.-20.2.) stand noch ganz im Zeichen der geisteswissenschaftlichen Selbstreflexion über "Tradiertes Erbe und gegenwärtige Herausforderungen“. Der Wiener Demograph Wolfgang Lutz vermerkte im Rahmen seines Vortrags zur aktuellen Lage der Geistes- und Sozialwissenschaften eine um sich greifende Resignation. Denn dass diesen traditionsreichen Wissenschaften tatsächlich ein kalter Wind ins Gesicht bläst, lasse sich anhand der Budgetzahlen des "European Research Council“, der ersten EU-weiten Forschungsförderungsstelle, gut ablesen: Mehr als 80 Prozent der entsprechenden Fördermittel gehen in die Naturwissenschaften. Ebenfalls bezeichnend sei die Tatsache, dass international renommierte Fachzeitschriften wie Science oder Nature fast ausschließlich naturwissenschaftlich geprägt sind.

Einen Ausweg sieht Lutz darin, dass "wir uns nicht im Elfenbeinturm einsperren, sondern selbstbewusst in einen Dialog treten und unsere Stärken darstellen.“ Neue Impulse, die Geisteswissenschaften an aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen anzupassen, kommen bislang vorwiegend aus dem angloamerikanischen Raum - beispielsweise die "Global Humanities“ als Antwort auf die Globalisierung oder die "Digital Humanities“, die dem Einzug der elektronischen Medien in Kultur und Wissenschaft gerecht zu werden versuchen.

Eine ureigene Stärke der Geisteswissenschaften liegt in der Fähigkeit, ein tief gehendes Verständnis des menschlichen Denkens und Fühlens zu entwickeln. "Die Natur erklären wir, die Seele verstehen wir“, hatte Wilhelm Dilthey, einer der Begründer der modernen Geisteswissenschaften, einst verkündet. Und der Philosoph Martin Heidegger hatte das Verstehens überhaupt als existenzielle Gegebenheit, als "Grundbewegtheit des menschlichen Lebens“ bezeichnet.

Identitäten im Wandel

Auch Lutz verwies auf existenzielle Fragen, welche die Kernkompetenz der Geisteswissenschaften untermauern: Wer bin ich? Woher komme ich? Fächer wie Geschichte, Literaturwissenschaft oder Philosophie können maßgeblich dazu beitragen, unsere Herkunft und Identität zu erhellen. Demgegenüber orientieren sich die Sozialwissenschaften verstärkt am "Wohin des Weges“ und an den Möglichkeiten einer besseren Lebensgestaltung.

"Es gibt jedenfalls keinen Grund, dass sich die Geistes- und Sozialwissenschaften in die Defensive drängen lassen“, resümierte Lutz. "Die Auseinandersetzung mit Fragen der Identität wird in einer globalisierten Welt immer wichtiger werden. Und die Frage nach jenen Interventionen, die uns angesichts globaler Herausforderungen in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung bringen können, ist aktueller denn je zuvor.“

2-jähriges Projekt

Ob die "Maimonides Lectures“ nach vier Semestern zu Ende gehen oder an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften eine bleibende Heimat finden, ist davon abhängig, inwieweit künftige Sponsoren gefunden werden können.

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