Alternative zu US-Modell

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Plädoyer für eine Europäische Union als selbstbewusste, unabhängige Macht.Ein Beitrag zur von Habermas/Derrida neu angestoßenen transatlantischen Debatte

Jürgen Habermas und Jacques Derrida haben Ende Mai in der renommierten Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu einer "Wiedergeburt Europas" aufgerufen und dazu, dass die EuropäerInnen über ihre "Identität" nachdenken sollten. Sie fordern auch nichts weniger, als dass Europa sein Gewicht auf internationaler Ebene und im Rahmen der UN in die Waagschale werfen müsse, um den hegemonialen Anspruch der Vereinigten Staaten auszubalancieren. Anlass dafür war der Irak-Krieg, der zwar nicht auf europäischem Boden und zwischen Europäern ausgetragen wurde, aber Europa insofern verändert hat, als starke Widersprüche zwischen der EU und der Bush-Administration sowie innerhalb der EU deutlich geworden sind.

"Willige" und "Unwillige"

Positiv zu vermerken ist, dass sich "Kerneuropa" (Deutschland und Frankreich), das Habermas und Derrida als Lokomotive der europäischen Einigung bezeichnen, gegen den Krieg im Irak ohne UN-Segen gewandt und gegen Washington aufgemuckt hat. In der Folge haben am 15. Februar 2003 Hunderttausende EuropäerInnen gegen den Unilateralismus und das völkerrechtswidrige Agieren der Bush-Administration demonstriert und damit einen Hauch "europäischer Identität" kreiert.

Negativ zu vermerken ist, dass sich die Europäische Union im Fall Irak-Krieg von Bush, Rumsfeld & Co. auseinanderdividieren ließ und "Willige" den berüchtigten Brief an US-Präsident Bush schrieben. Damit hatte Washington vorerst einmal erreicht, was es wollte: Das Letzte, was Washington offensichtlich will, ist ein Europa, dessen Einigkeit und Selbstsicherheit dieses befähigt, die US-Hegemonie in Frage zu stellen. Denn der Standpunkt der Bush-Regierung, eine auf Dauer angelegte pax americana, deren Bedingungen allein von den USA diktiert werden, sei die einzige Hoffnung der Welt, schließt natürlich mit ein, dass die USA niemals erlauben dürfen, dass ihrer militärischen Macht die Stirn geboten wird. Deutschland, Frankreich und auch Russland haben das getan. Deshalb soll laut Bush-Beraterin Condoleezza Rice Deutschland ignoriert, Frankreich bestraft und Russland verziehen werden.

Wetteifern um US-Gunst

Beängstigender noch als der arrogante Ton, den die Bush-Beraterin anschlägt, ist allerdings, dass die europäischen Regierungschefs und Außenminister in ihre schlechten alten Gewohnheiten zurückfallen könnten. Einige von ihnen (nicht alle und insbesondere bestimmte Beitrittsländer) wetteifern bereits um die Gunst Washingtons. Das macht es Bush & Co. leicht die EU und die Beitrittsländer gegeneinander auszuspielen und unter dem Titel "Krieg gegen den Terrorismus" die Bürgerrechte in den USA einzuschränken und nach außen Völkerrecht und UN-Charta zu ignorieren.

Umso wichtiger ist es, dass sich die Europäische Union in aller historisch gewachsenen Freundschaft von den USA emanzipiert und zu einer vernünftigen Alternative einer pax americana wird. Europa ist gut beraten, ein alternatives Konzept einer Weltordnung vorzulegen und Vorschläge für die Modernisierung der UN-Charta zur Führungsrolle der UN in einem weltweiten Atomabrüstungs-Programm zu unterbreiten. Europa muss sich der Herausforderung stellen, eine kosmopolitische Ordnung auf der Basis des Völkerrechts gegen einen konkurrierenden Entwurf wie den der Bush-Regierung zu verteidigen und voranzubringen.

Mut zum aufrechten Gang!

Die europäischen Regierungen und Regierungschefs können bei diesem Unterfangen mit einer breiten öffentlichen Unterstützung rechnen - und das nicht nur in Europa, sondern weltweit, wie die Demonstrationen am 15. Februar gezeigt haben. Mit anderen Worten: Gegen die Arroganz der Bush-Regierung aufzutreten, heißt nicht, antiamerikanisch zu handeln, sondern auch im Interesse der US-Bürger zu agieren, auch wenn diese noch immer mit großer Mehrheit das nicht so sehen wollen. Sowohl in Europa als auch in Amerika gibt es viele Millionen Menschen, die heute klar erkennen, dass der Anspruch der USA auf permanente Hegemonie trotz allem, was die USA für die Sache der Freiheit und Demokratie geleistet haben, ein schrecklicher Fehler ist. Die Festigung der Europäischen Union zu einer starken unabhängigen Macht in der Weltpolitik und ein aufrechter Gang Europas vis à vis Washington könnten dazu führen, dass Präsident Bush, Rumsfeld, Wolfowitz & Co. aus ihren Allmacht-Träumen aufwachen und wieder auf den Boden einer vernünftigen, realistischen Außenpolitik zurückkehren.

Ökonomischer Riese ...

Anzeichen dafür gibt es bereits, weil die USA von der irakischen Bevölkerung nicht als Befreier, sondern als Besatzer gesehen werden und der Irak offensichtlich nur befriedet werden kann, wenn potente Länder administrativ, logistisch und militärisch aushelfen und auch die UN wieder ins Spiel kommen.

Ist Europa bereits eine vernünftige Alternative zu Bush & Co., ein anerkannter, leistungsstarker Spieler weltweit? Europa - und im engeren Sinn die EU - ist noch immer und vor allem ökonomisch definiert. Maastricht-Kriterien und eine monetaristisch ausgerichtete Zentralbank (EZB) geben den Ton an. Dagegen gibt es bereits Widerstand. Deutschland, Frankreich und andere wollen nicht akzeptieren, dass Drei gleich Drei sein muss, will man sich nicht kaputt sparen. Die europäischen BürgerInnen haben die Big Bosse in Brüssel bei verschiedenen Gelegenheiten und Abstimmungen immer wieder auf den Boden der Realität zurückgeholt, weil nicht zusammenwachsen kann, was zusammengehört, wenn die BürgerInnen Europas nicht von einer Idee mitgenommen bzw. mitgerissen werden.

Nach zwei verheerenden Weltkriegen, die von europäischem Boden ausgegangen sind, war die Idee seiner Einheit der Friede, also die Einbettung Deutschlands. Das gelang durch politische Verträge (Vertrag von Rom), Reisefreiheit und Handel, insbesondere aber durch den Willen, vor und keinesfalls hinter dem Eisernen Vorhang leben zu wollen. Später dann, als der innereuropäische Friede für den Westen kein erstrangiges Problem mehr war, kamen geringe Inflationsraten und immer mehr Administration auf europarechtlicher Grundlage dazu. Es entstand ein Gebilde fast ohne Idee oder "Visionen". Europa wurde zum ökonomischen Riesen, blieb aber ein politischer Zwerg.

... politischer Zwerg

Eine politische Union gibt es nur in Spurenelementen und Festreden. Erst der Widerstand insbesondere "Kerneuropas" gegen die gefährliche Mischung aus christlichem Fundamentalismus und Militarismus in den Vereinigten Staaten hat den Menschen im "alten Europa" eine Vorstellung davon gegeben, was entstehen könnte: Eine Union sui generis, die es noch nie gab, wo man sich noch zusammenraufen muss und wo es zwei Identitäten gibt - eine europäische und auch eine nationale im positiven Sinn. In der es mehrere Quellen einer europäischen Identität gibt: Dass der Mensch vor dem Markt kommt und der Markt nicht alles regelt (auch nicht die Energieversorgung!); dass es eine relative Skepsis gegenüber dem technischen Fortschritt und damit einen sorgfältigen Umgang mit der Umwelt gibt; dass Religion Privatsache und der europäische Sozialstaat ein Kulturgut ist, das gepflegt und nicht zerstört werden darf; dass das Völkerrecht eingehalten, weiterentwickelt und die UN-Charta respektiert werden sollte; und dass es noch immer um die "Zähmung des Kapitalismus" geht.

Ein Europa mit diesen Wesensmerkmalen kann weltweit wirksam werden und die Konkurrenz mit den Vereinigten Staaten - und vor allem der Bush-Administration - leicht bestehen.

Der Autor ist Sekretär des Zweiten Nationalratspräsidenten Heinz Fischer.

Zu diesem Thema

bereits erschienene Beiträge:

Clemens Sedmak: "Vorrang für alte' Werte" (Nr. 25/19. Juni);

Heinrich Neisser: "Was will Europa sein?" (Nr. 28/10. Juli);

Peter Strasser: "Die Erfindung Europas" (Nr. 33/14. August).

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