Am Anfang war nicht die Couch …

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Zu Beginn des neuen Jahres gibt es am Wiener Schauspielhaus wieder eine Theater-Serie: Nach der erfolgreichen "Strudlhofstiege" ist nun Sigmund Freud Soap-Mittelpunkt.

Freuds Ordination war in der Berggasse 19, das Schauspielhaus befindet sich um die Ecke in der Porzellangasse 19 - kann das ein Zufall sein? Für Andreas Beck, den Leiter der Bühne, gewiss nicht - so ist dieser stets auf der Suche nach neuen ästhetischen Formen, die in weiterer Folge auch den Standort des Theaters betonen. Und immerhin: Freud ist - wie auch Heimito von Doderer - Weltfigur und zugleich eine Alsergrund'sche Lokalgröße, die das Schauspielhaus hier unter ihr szenisches Vergrößerungsglas nimmt.

Wieder hat Daniela Kranz die Projektleitung übernommen und zeichnet auch für die Regie des ersten Abends (mit dem Thema "Kokain") verantwortlich. Ihr Ziel wird eindeutig deklariert: nämlich szenisch in Freuds Grundthesen einzuführen.

Die theatrale Sendung unterstreicht der Auftritt des vierköpfigen Ensembles, das schon (bis auf Veronika Glatzner, die Angela Ascher ersetzt) in Doderers "Strudlhofstiege" erfolgreich zu Werke ging: Akustisch von der "Raumschiff Enterprise"-Intro unterstützt, tritt die Crew Marion Reiser, Veronika Glatzner, Christian Dolezal und Johannes Zeiler auf und wird bis Ende März wöchentlich einen inneren Konflikt lösen: Nach der "Hysterie" folgen "Traum", "Witz", "Sex", "Tabu", "Es", "Komplex", "Penis" und "Verdrängung", chronologisch von 1873 bis zu Freuds Tod 1939 sortiert.

50 Minuten therapeutische Sitzung

Exakt 50 Minuten dauert jeweils eine Folge, entsprechend dem psychoanalytischen Setting. Der Titel der Serie "Diesseits des Lustprinzips: Freud und die Folgen" verweist auf Freuds 1920 erschienene Studie "Jenseits des Lustprinzips", die unter anderem auf den Begriff des Wiederholungszwanges eingeht, und kündigt augenzwinkernd die zehnteilige szenische Forschungsreise in biografische Tiefen, in die Entwicklung der Psychoanalyse und ihre historischen Zusammenhänge an.

Abstrakte Begrifflichkeiten begreift Daniela Kranz über den Raum: So führt etwa zu Beginn Marion Reiser als Moderatorin in Freuds Geheimzimmer, wo sie seine (historisch belegte) Antikensammlung als Kuriositätenkammer präsentiert.

Freud ist damit auch Kunstfigur und Mittelpunkt einer selbstreflexiven Persiflage durch mehr als hundert Jahre Psychoanalyse. Intermediale Verweise bis hin zu Woody Allen, abstruse Annahmen über die ideale therapeutische Sitz- oder Liegeposition verdeutlichen die gerne unfreiwillig komischen Erfahrungen mit dem Selbst. Und hier liegt die Stärke dieses Projektes, nämlich dass es das Theater als Ort zur satirischen Selbstreflexion nutzt. Freuds Aufzeichnungen bezüglich seiner Selbstversuche über die Wirkung von Kokain werden durch die szenische Lösung entkoppelt: Die vier Darsteller wälzen sich in weißem Pulver, reißen die Tapeten von den Wänden und konterkarieren turbosprechend ihre Textvorlage.

Selbstreflexion mit Volksbildungsanspruch

Dass Freuds Start als Mediziner mit der Suche nach den Hoden des Aals als erster Ansatz für viele weitere Überlegungen zu verstehen ist, dechiffriert Kranz mit einem überzeugenden Einfall: Die Idee eines Stummfilmausschnittes - die real existierenden Darsteller zittern als historische Figuren über die imaginierte Leinwand - kontextuiert die Situation in zeitliche Ferne und deutet dennoch Vieles an, was heute zum Allgemeinwissen gehört: Ödipus-Komplex, Penis-Neid und die Rettung der inneren Konflikte über den Humor werden das Schauspielhaus ab nun thematisch bestimmen.

Dass der erste Abend mit der Publikation von Freuds erstem Buch "Über Coca" (1887) und der darauffolgenden Verlobung mit Martha Bernays endet, unterstreicht freilich die Motivik der Trivialliteratur - und führt sie zugleich vor. Die Sendungsbereitschaft spannt sich damit zwischen schmerzloser Selbstreflexion, lokaler Identitätsstiftung, Volksbildungsanspruch und Kaderschmiede. Denn immerhin probieren sich in den kommenden Wochen neun Jungregisseure aus und bieten die einmalige Chance zur Leistungsschau. Die Bedingungen lauten: schnell, witzig, ungewöhnlich und einfallsreich. Dass dieses Unternehmen damit auf allen Ebenen auf der äußersten Oberfläche bleibt, versteht sich von selbst. Und wer dazwischen etwa Freuds Auseinandersetzung mit der bildenden Kunst und der Literatur vermisst, der hat die Botschaft nicht verstanden.

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