Am Veto scheitert oft der Frieden

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Ohne eine grundlegende Neuorganisation des Sicherheitsrates ist der Imageverlust der UNO nicht aufzuhalten.

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Ohne eine grundlegende Neuorganisation des Sicherheitsrates ist der Imageverlust der UNO nicht aufzuhalten.

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Das Anliegen einer Reform der UNO ist beinahe ebenso alt wie die Organisation selbst. Mit dem Wegfall des gemeinsamen Kriegsziels, dem Sieg über Hitler-Deutschland und seinen Verbündeten, kam es schon bald nach Gründung der UNO zum Aufbrechen der ideologischen Gegensätze zwischen Ost und West; die Vorstellung der UN-Gründungsväter, die Staatenwelt unter die gemeinsame Leitung der Großmächte zu stellen und damit den Frieden dauerhaft zu sichern, konnte in der Zeit des Kalten Krieges aufgrund des Ausfalls der UNO nur unzureichend verwirklicht werden.

Wesentlicher Grund dafür war das den Ständigen Sicherheitsrat-Mitgliedern durch die Satzung eingeräumte Vetorecht. Dieses ermöglicht ihnen, die Ergreifung kollektiver Zwangsmaßnahmen gegen einen Friedensbrecher zu verhindern. Die dadurch bedingte Blockade des Sicherheitsrates (SR), brachte es mit sich, daß der SR lange Zeit hindurch nicht als Organ der kollektiven Sicherheit, sondern vielmehr als ein solches der kollektiven Neutralität bezeichnet wurde.

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, daß die Vorschläge zur Reform der Vereinten Nationen seit jeher zu einem Gutteil solche zur Reform des SR sind. Dies bedeutet allerdings keineswegs, daß nicht auch in anderen Bereichen der Organisation Veränderungen und Verbesserungen erforderlich wären.

Der derzeitige UN-Generalsekretär Kofi Annan legte zu diesem Zweck ein Reformpaket vor, das neben der Finanzierung der UNO vor allem die Neugestaltung der Strukturen von Generalversammlung, Wirtschafts-, Sozialrat und Generalsekretariat, die Stärkung der UN-Kompetenzen im Bereich von Konfliktprävention, Friedenserhaltung, die Forcierung der UN-Tätigkeit auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit sowie die Verstärkung des Kampfes der UNO gegen die sogenannte "unzivile Gesellschaft" zum Gegenstand hat.

Als unbestritten gilt aber weiterhin, daß ohne eine grundlegende Neuorganisation des SR der bisweilen konstatierte Imageverlust der UNO über kurz oder lang nicht aufzuhalten ist. Die Leistungskraft der Organisation wird entscheidend danach beurteilt, inwieweit sie in der Lage ist, ihre ureigenste Aufgabe, die Wahrung des Weltfriedens und seine Wiederherstellung im Fall einer Verletzung, zu meistern.

Und in diesem Punkt ist die Organisation bei weitem nicht über jeden Zweifel erhaben. Die Fälle eines unterbliebenen oder objektiv verspäteten Eingreifens des SR in friedensgefährdenden Situationen während der letzten zehn Jahre sind zahlreich. Man denke nur an die jüngsten Beispiele: Ost-Timor und Kosovo. Sie haben die Diskussion um eine Reform des SR neu belebt und dazu beigetragen, daß dieses Thema in der laufenden 54. UN-Generalversammlung ausgiebig behandelt wird. Dabei geht es vor allem um zweierlei: um eine Reform der Zusammensetzung des SR ebenso, wie um eine Reform seiner Verfahren.

Vetorecht limitieren Der SR besteht derzeit aus 15 Mitgliedern, fünf ständigen (China, Frankreich, Großbritannien, Rußland, USA), die in der Satzung selbst benannt sind, und zehn nichtständigen, die von der Generalversammlung mit einer Zweidrittelmehrheit für die Dauer von jeweils zwei Jahren gewählt werden. Eine immer wieder geforderte Erweiterung des SR darf auf keinen Fall zu einer weiteren Beeinträchtigung der Arbeits- und Funktionsfähigkeit dieses Gremiums führen. Darüber hinaus sollte schon jetzt danach getrachtet werden, die Anwendung des Vetorechts zu limitieren. Auch in diesem Zusammenhang mangelt es nicht an Ideen. Da aber für jede Satzungsänderung und etwaige Neugestaltung des Vetorechts die Zustimmung der Ständigen SR-Mitglieder nötig ist, bestehen nur marginale Chancen auf tatsächliche Umsetzung einer Veto-Limitierung binnen absehbarer Zeit.

Als durchaus realistisch bezeichnet werden kann hingegen der vom deutschen Außenminister Joschka Fischer in seiner vor der diesjährigen UN-Generalversammlung gehaltenen Rede unterbreitete Vorschlag. Fischer fordert, die Ausübung des Vetorechts in Hinkunft an eine Begründungspflicht zu koppeln. Ein Veto könnte dann nur mehr kausal, also unter Bedachtnahme auf die Umstände des betreffenden Falles und somit sachadäquat, und nicht mehr, so wie bisher, abstrakt eingelegt werden. Genau das führte nämlich häufig dazu, daß bei einem Veto sachfremde politische Überlegungen im Vordergrund standen, da sich Ständige SR-Mitglieder weniger vom Gemeininteresse, als vielmehr von (ihren oder ihnen nahestehenden Staaten) Partikularinteressen leiten ließen.

Moralischer Druck Die Einführung einer Begründungspflicht würde die Ständigen SR-Mitglieder verstärkt dem moralischen Druck der Öffentlichkeit aussetzen und damit zu einem verantwortlicheren Umgang mit dem Vetorecht führen. Entweder sie bekennen sich offen zur zweckwidrigen und somit mißbräuchlichen Ausübung des Vetorechts oder versuchen, dies mit Scheinbegründungen zu verschleiern. Beides würde von der Staatengemeinschaft mit Sicherheit nicht kritiklos hingenommen. Eine andere Möglichkeit wäre, daß diese Staaten in Zukunft aber von der Einlegung eines Vetos und damit einer Behinderung des SR ganz absehen.

Die Einführung des kausalen Vetos hätte den Vorteil, die führende Stellung der Ständigen SR-Mitglieder im Kern unangetastet zu lassen; gleichzeitig würde sie jedoch einen wichtigen Schritt hin zu einer effektiveren Weltorganisation darstellen. Zweifellos handelt es sich dabei um das Maximum des derzeit realistischerweise an institutioneller Reform im SR überhaupt Erreichbaren.

Die Autorin ist Universitätsassistentin an den Instituten für Völkerrecht und Internationale Beziehungen und für Europarecht der Johannes-Kepler-Universität Linz.

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