Amerika: fiktiv und real

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Ausgeleierte Avantgarde und fesselndes narratives Theater. Zwei Premieren in Salzburg.

Was einst den Duft des Aufbruchs verströmte, kann sehr schnell den Mief des Altbackenen verbreiten. Und umgekehrt: Verworfene Formen können plötzlich erneuert und aufgefrischt wieder an der Spitze der Entwicklung stehen. Dass dies auch auf das Theater zutrifft, illustrieren die diesjährigen Salzburger Festspiele aufs Vortrefflichste: Schwach und vorgestrig ist Peter Turrinis Groteske "Da Ponte in Santa Fé" am Landestheater, die mit dem falschen Gestus der Avantgarde eine Biografie und eine Kultur dekonstruiert, erfrischend und heutig hingegen ist Neil LaButes Stück "Das Maß der Dinge" im Stadtkino, das ganz traditionell eine Geschichte mit Schlusspointe erzählt.

Turrinis misslungenem Zweiakter liegt die abenteuerliche Lebensgeschichte Lorenzo da Pontes (1749 bis 1838) zu Grunde. Der Priester, Librettist dreier Mozart-Opern ("Don Giovanni", "Le nozze di Figaro", "Così fan tutte") und Hofdichter des Kaisers Joseph II. emigrierte 1805 nach Nordamerika, wo er sich als Feinkosthändler, Spirituosenhersteller, Erfinder und Apotheker durchs Leben schlug. Mehrmals machte er bankrott, unter anderem mit der Gründung eines Opernhauses in New York, wo er fast 90-jährig verarmt starb. Der an sich große Dramatiker Turrini schafft es jedoch nicht, aus diesem grandiosen Stoff etwas Brauchbares zu formen. Das vergebliche Ringen eines Künstlers um Anerkennung oder allgemeiner: das Scheitern eines Menschen reicht zu nicht mehr als einer über weite Strecken belanglosen Farce.

In Santa Fé, dort wo der "Wilde Westen" beginnt, lässt der Produzent James N. Brodnik (Heribert Sasse) in einem Saloon "Don Giovanni" spielen. "Music by Mr. Mozart", keine Spur von "Mr. da Ponte". Doch der alte Dichter (Jörg Gudzuhn) ist angereist, als Branntweinverkäufer, wie zu jeder Aufführung "seines" "Don Giovanni" in den USA, um die ihm gebührende Würdigung zu erfahren. Dass die Cowboys dafür keinen Sinn haben, liegt auf der Hand.

Textpassagen wie "Denk ich mir, Antisemit und Katholik bin ich schon, werd ich Österreicher" - gesprochen von einem jüdischen Gangster, der sich als Wolfgang Amadeus Mozart ausgibt (Tobias Moretti) - mögen dem Autor und seinem gewissenhaften Regisseur Claus Peymann kindliche Freude bereitet haben, sind freilich eine allzu billige Provokation (aber manche fallen immer noch drauf rein ...). Erst am Ende hat das schwache Stück starke Momente: Wenn da Ponte mit Manuel Rodriguez García, genannt "El Magnífico" (Bariton Christoph Homberger), die Schlussszene aus "Don Giovanni" singt und den eitlen Sänger als Inbegriff des american way of life zur Hölle schickt. Und wenn die jugendliche Saloonsängerin Dorka DuÇskova alias Dolly Delors (Annika Kuhl), gleichsam in die Zukunft blickend, ihr Leben Revue passieren lässt.

Nicht in einem fiktiven, sondern im realen Amerika spielt LaButes "Das Maß der Dinge" (The shape of things"). In einer kleinen Universitätsstadt lernen sich die Kunststudentin Evelyn (Johanna Wokalek) und der Englischstudent Adam (Daniel Jesch) in einem Museum kennen. Er jobbt dort als Wärter, sie will eine klassizistische Skulptur mit der Sprühdose bearbeiten. Als die beiden ein Paar werden, beginnt Evelyn Adam nach ihren Vorstellungen zu formen: er muss abspecken, wird neu eingekleidet, lässt sich ihre vermeintlichen Initialen ("EAT") auf eine delikate Stelle seines Körpers tätowieren, unterzieht sich sogar einer kosmetischen Operation. Zugleich wird aus dem anfangs verklemmten und schüchternen Jüngling ein selbstbewusster, charmanter und plötzlich begehrter Mann, ein "cooler Typ". Das geht schließlich so weit, dass er seine beiden einzigen Freunde fallen lässt: den unglaublich eingebildeten Stefan Raab-Verschnitt Phillip (Raphael von Bargen) und dessen einfach gestrickte Verlobte Jenny (Dorothee Hartinger).

Was als Sozialstudie studentischen Paarungsverhaltens in den USA beginnt, endet als Panoptikum großer Fragen der Gegenwart, freilich ohne Antworten frei Haus mitzuliefern: die Macht der Manipulation, die Konstituierung von Identität, die Freiheit der Kunst. Der Sündenfall von Adam und Evelyn beginnt mit dem Dogma des Relativismus und endet mit einem höchst fragwürdigen Experiment, an dessen Ende Adam immerhin einen Zipfel der Weisheit erwischt, auch wenn er die Wahrheit im Schlussbild am eindeutig falschen Ort sucht.

Regisseur Igor Bauersima agiert sehr zurückhaltend, das aus vier verschiebbaren Wänden bestehende Bühnenbild des ausgebildeten Architekten hingegen verdient die Bezeichnung "genial". Ausnahmsweise sind auch die geschickt und innovativ eingesetzten Videoprojektionen nicht modischer Schnickschnack, sondern tragen zum Gelingen bei. Hinter dem geheimnisvollen Realisateur "wr jur455!c m3d!4" verbirgt sich übrigens auch Igor Bauersima.

Sicher, Weltliteratur von zeitloser Gültigkeit ist "Das Maß der Dinge" nicht. Doch ein vom ersten Moment an fesselndes Stück jungen, narrativen Theaters, das sich auf verständliche Weise, aber ohne platt zu werden, mit aktuellen Fragestellungen auseinandersetzt, wird auf deutschsprachigen Bühnen nicht allzu häufig geboten. Nur zertrümmern und dekonstruieren ist auf die Dauer auch nicht das Alleinseligmachende. Die Aufführung ist übrigens eine Koproduktion mit dem Wiener Burgtheater und ab 6. September im Akademietheater zu sehen.

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