AMERIKAS UNGELIEBTE

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WENN HAUTFARBE UND HERKUNFT DAS SCHICKSAL VORSCHREIBEN: LITERARISCHE STIMMEN AUS DEN USA.

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WENN HAUTFARBE UND HERKUNFT DAS SCHICKSAL VORSCHREIBEN: LITERARISCHE STIMMEN AUS DEN USA.

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Die kulturelle Szene hat er nicht auf seiner Seite, von ihr hat Donald Trump in seiner Funktion als Präsident der USA ausschließlich heftige Angriffe zu erdulden. Nun gut, erdulden trifft den Sachverhalt nicht, denn Trump kümmert nicht, was Intellektuelle von ihm halten. Er pfeift auf Kritik, die ja Reflexion, bedächtiges Abwägen verschiedener Standpunkte und Übersicht voraussetzt. Als bekennender "Bücherhasser" besteht der politische Quacksalber darauf, nicht mit all zuviel Informationsmaterial behelligt zu werden.

Im Schriftsteller Philip Roth findet er einen starken Gegner. In seinem Roman "Verschwörung gegen Amerika" hatte dieser durchgespielt, wie die Geschichte verlaufen wäre, wenn bei der Präsidentschaftswahl 1940 nicht Roosevelt, sondern der populäre Flieger Charles Lindbergh gewonnen hätte, der sich tatsächlich mit dem Gedanken trug zu kandidieren. Der Mann, der die Nazis bewunderte, hätte die USA nicht in den Krieg eintreten lassen und für Juden wäre die Lage vollkommen aussichtslos geworden. Autoritäre Strukturen hätten gegriffen, die Spaltung der Gesellschaft hätte sich dramatisch verschärft. So die beklemmende Fiktion. Die Formel "America first" als Propagandamarke soll auf Lindbergh zurückgehen.

Gegenüber Trump sei Lindbergh "immerhin ein Fliegerheld mit Mut gewesen", so Roth, der den heutigen Präsidenten scharf abkanzelt. Der erweise sich nämlich "vollkommen ignorant gegenüber unserer Regierungsform, der Geschichte, Wissenschaft, Philosophie und Kunst", er sei "grobschlächtig in seiner Wortwahl, mit einem Vokabular von 77 Wörtern." Wer sind also jene Literaten, die Donald Trump, würde er sie lesen, mit Verachtung strafen würde?

Schwarz sein in Amerika

Toni Morrison, die afroamerikanische Autorin mit ausgeprägt sozialem Gewissen, das geht gar nicht für einen Mann, der Reiche hofiert und die Armen für ihre Armut bestraft. In ihrem neuen Roman "Gott, hilf dem Kind" geht es um Lula Ann, die nicht nur schwarz, sondern tiefschwarz ist. Für die anderen erschreckend, bezieht die junge Frau daraus ihr Selbstbewusstsein. Sie trägt Weiß, um den Kontrast umso schärfer hervortreten zu lassen. Den Makel - immerhin befinden wir uns in der Zeit des schärfsten Rassismus - wandelt sie um in Stärke. Dazu sind Selbstbewusstsein und Mut notwendig. Das wirkt heute, da im neuen Amerika Frauen abgewertet werden, nahezu revolutionär. Noch dazu wehrt sich eine Schwarze, was das Trump-Ideal vollends auf den Kopf stellt. Wenn er sagt, dass er Amerika wieder groß machen wolle, bedeute das, meinte Morrison einmal, dass das weiße Amerika groß werden müsse. Lula Anns Eltern sind stolz darauf, nahezu als Weiße durchzugehen, deshalb passt ihnen das dunkle Kind gar nicht. Sie sind die Angepassten einer Gesellschaft, in der die Hautfarbe das Schicksal bestimmt.

Der Roman erzählt eine Geschichte des Erfolgs, wie es eine schafft, aus niedrigen Verhältnissen zu Geld zu kommen. So viel amerikanischen Traum gestattet sich Toni Morrison, doch nur, um ihn genauer zu untersuchen. So glamourös der Aufstieg auch immer wirken mag, die Schattenseiten werden nicht vergessen. Lula Ann wurde verletzt, und sie fügt anderen Verletzungen zu, um selbst gut auszusteigen. Sie hat die Spielregeln des Kapitalismus verstanden.

Imbolo Mbue, 1982 geboren, ist in Kamerun aufgewachsen und lebt seit über zehn Jahren in den USA. Sie ist nicht nur eine Einwanderin, sie schreibt auch noch einen Roman darüber, der die USA nicht gut aussehen lässt. Die Jongas haben nicht das große Los gezogen. Sie kommen aus Kamerun in die USA und leben unter kargen Bedingungen ohne Aussicht auf wirkliche Besserung. Immerhin hat es Jende geschafft, als Chauffeur eines Bankers zu arbeiten. Dann kommt das fatale Jahr 2008, die Finanzkrise bricht über das Land herein, und selbst die Großen stürzen. Für die Kleinen wird es nur noch unwahrscheinlicher, einen Fuß auf den Boden zu bekommen. Plötzlich hat sich die Atmosphäre verändert, Einwanderer werden in Zeiten des Umbruchs skeptisch beobachtet. Das wirkt sich unmittelbar auf die Jongas selbst aus. Jetzt, da das Leben noch um einiges unsicherer geworden ist, wächst die Spannung zwischen ihnen. Imbolo Mbue wehrt sich dagegen, Schuldzuweisungen vorzunehmen. Die Umstände richten die Menschen zurecht.

Das Besondere an diesem Buch, ist wie Mbue das Schicksal zweier Familien miteinander verknüpft. Den Banker und seinen Chauffeur aus Kamerun verbindet eine gegenseitige Abhängigkeit. Alle leben in der Erwartung, dass das Leben noch etwas bereithält für sie, weil die Wirkkraft des amerikanischen Traums so mächtig ist. Keiner will einsehen, dass er zu den Verlierern gehören könnte, immerhin vermag die Zukunft ja noch immer alles Unheil ins Glückliche wenden. Imbolo Mbue besticht durch ihre Erzählwucht, die einem sofort klar macht, dass es ihr um etwas Wichtiges geht. Sie geht nicht analytisch vor, sie zielt direkt ins offene Herz ihrer Leser. Dass die Filmrechte schon vergeben sind, erstaunt keineswegs.

Ein finsterer Ort

Mit J. D. Vance, geboren 1984 in Middletown, Ohio, wird Donald Trump auch keine Freude haben. Er hat keine Absicht, Amerika schön zu reden und seine außerordentliche Größe hervorzustreichen. Amerika ist für ihn ein finsterer Ort, was er aus eigener Anschauung weiß. Als Jugendlicher bekam er mit, wie seine Heimatstadt wirtschaftlich in den Abgrund versank und die Menschen in einer kollektiven Depression erstarrten.

Dass seine eigene Familie den Belastungen nicht standhielt, war nur eine Begleiterscheinung des Niedergangs rundum. Diese Leute, die einmal einen Platz in der Gesellschaft hatten und für die die Fabrik alles bedeutete, sahen sich vor dem Nichts. Sie sind das Potenzial, das Trump so stark gemacht hat. "Hillbilly-Elegie", die Geschichte seiner Familie, vermag also zu erklären, wie sich all jene, die sich von der Zukunft ausgeschlossen fühlen, weil die klassische Industrie wegbricht, von Heilsversprechen ködern lassen.

Vance identifiziert sich nicht mit den Weißen schlechthin, sondern mit den "weißen Arbeitern ulsterschottischer Herkunft, für die ein Studium nie in Frage kam. Für diese Menschen ist Armut Familientradition." Sie sind die Hillbillys, um die sich niemand scherte. Sein Buch ist das Soziogramm einer Gesellschaft, aus der ein Entkommen kaum möglich war. Das autobiografische Buch ist erzählt aus einer Perspektive von einem, der das Elend hinter sich lassen konnte, nachdem er kapiert hatte, dass solch ein Leben kein Schicksal sein muss. Vance studierte an der Yale-Universität und ist heute als Investor tätig. Literarischen Anspruch erhebt er keinen, aber er nimmt den Auftrag ernst, möglichst nahe an den Menschen zu bleiben, deren Lage ihm nicht gleichgültig ist. Er verdammt sie nicht als Unwissende, er liebt sie und sieht sich immer noch als Teil von ihnen.

Gott, hilf dem Kind

Roman von Toni Morrison

Übersetzt von Thomas Piltz

Rowohlt 2017

203 S., geb., € 20,60

Das geträumte Land

Roman von Imbolo Mbue

Übersetzt von Maria Hummitzsch

Kiepenheuer & Witsch 2017

432 S., geb., € 22,70

Hillbilly-Elegie

Die Geschichte meiner Familie und einer Gesellschaft in der Krise Von J. D. Vance

Übersetzt von Gregor Hens. Ullstein 2017

304 S., geb., € 22,70

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