An den Grenzen konventioneller Verkkehrspolitik

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Der Straßenverkehr wächst trotz vieler Warnungen dank seiner Förderung weiter, stößt aber an Grenzen. Ihnen wäre rechtzeitig Rechnung zu tragen.

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Der Straßenverkehr wächst trotz vieler Warnungen dank seiner Förderung weiter, stößt aber an Grenzen. Ihnen wäre rechtzeitig Rechnung zu tragen.

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Mobil, nicht an einen bestimmten Ort gebunden zu sein, entspricht einem Grundbedürfnis des Menschen. Fortbewegung vermittelt das Gefühl der Freiheit. Man empfindet es als wesentliche Einschränkung, ans Bett gefesselt zu sein, in Haft sitzen zu müssen, durch Mauern und Todeszäune daran gehindert zu werden, das eigene Land zu verlassen. Diesem Drang nach Fortbewegung kommt unserer Zeit besonders entgegen. Ein wesentlicher Aspekt des wirtschaftlichen Fortschritts der letzten 150 Jahre ist durch eine gigantische Leistungssteigerung des Verkehrssystems gekennzeichnet und bedingt.

Die letzten Jahrzehnte standen vor allem im Zeichen einer enormen Ausweitung des Straßenverkehrs. Das Auto erfüllt ja diesen Traum von der Freiheit am besten: Man ist frei in der Wahl des Zieles, der Strecke, der Geschwindigkeit, der Mitfahrer ...

Der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur und Rekorde bei den Autoneuzulassungen werden daher als Zeichen der Wohlstandsmehrung verstanden. Mehr Verkehr wird so zum Symbol für ein besseres Leben, den Verkehr zu fördern und in ihn zu investieren, wird quasi zum Naturgesetz des Fortschritts. Und tatsächlich erhöht sich die Zahl der Österreicher, die sich ein Auto leisten, um 100.000. Seit 1981 ist die Zahl der Pkw hierzulande um mehr als 60 Prozent gestiegen, seit 1971 hat sich der Anteil der Autofahrten an den täglichen Wegen zur Arbeit fast verdoppelt.

Ungebremst expandiert auch der Lkw-Verkehr, der längst schon der Bahn den Rang als wichtigstes Transportmittel für Güter abgelaufen hat. Trotz heftigster Proteste der Bevölkerung wächst auch der Lkw-Transit über den Brenner munter weiter (jährlich plus fünf Prozent von 1992 bis 1996). Es entspricht einfach der Logik eines wachsenden Wirtschaftsraumes, daß der Verkehr zunimmt.

Dementsprechend plant die EU den Ausbau weiterer 12.000 Kilometer Autobahn und die Errichtung eines Netzes von Hochgeschwindigkeits-strecken auf der Bahn (siehe Seite 4). Es gibt Bemühungen, das Feiertagsfahrverbot für Lkw abzuschaffen, das Wochenendfahrverbot für die Brummer auf Sonntag zu beschränken. Freie Fahrt auf Europas Straßen!

Nun, bevor der Eindruck entsteht, die weiteren Ausführungen würden zu einer der üblichen Attacke im Glaubenskrieg: Auto - ja oder nein, sei folgendes festgehalten: Das Wirtschaftswunder nach dem Krieg ist nicht zuletzt dem Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, den intensivierten internationalen Handelsbeziehungen zu verdanken. Und ein Teil unserer Lebensqualität ist auf die erhöhte Mobilität, die uns das Auto beschert, zurückzuführen. Verkehrssysteme der Zukunft werden daher entscheidend von den Notwendigkeiten des Autoverkehrs geprägt sein.

Dieser darf aber nicht allein, ja nicht einmal überwiegend den Verkehr von morgen bestimmen. Und zwar aus mehreren Gründen: Die Umweltbelastungen, die vom Verkehr ausgehen, müssen verringert werden. Entsprechende technische Neuerungen im Automobilbau (siehe Seiten 15 und 16) reichen bei anhaltender Zunahme des Kfz-Bestandes dafür nicht aus. Es geht nicht nur um energiesparende, lärmarme, sicherere Autos, sondern vor allem um ein energiesparendes, lärmarmes, sichereres Verkehrssystem.

Weiters geht es um die Erhaltung der Mobilität selbst. Besonders in den Ballungsräumen (siehe Seite 14) ist sie durch die überbordende Motorisierung bedroht. Man versucht zwar den Staus durch den Ausbau des Straßennetzes zu begegnen, stellt aber nach kürzester Zeit fest, daß es der weiteren Intensivierung des Verkehrs nicht gewachsen ist. Der Großraum von Paris ist ein Musterbeispiel für den Fehlschlag dieser Strategie.

Die auf den Straßenverkehr ausgerichtete Verkehrspolitik erleidet das Schicksal jeder erfolgreichen Strategie, die zu lange fortgesetzt wird. Sie verfehlt ihr Ziel und schädigt das Gesamtsystem, das aus dem Gleichgewicht gerät. Im konkreten Fall: Sie verringert die Mobilität (allein in Österreich betragen die Staukosten jährlich 35 Milliarden Schilling) und sie erzeugt eine Unzahl negativer Nebenwirkungen (Umwelt- und Unfallkosten (50 Milliarden), eine Infrastruktur, die den Nicht-Autofahrer stark benachteiligt ...).

So sinnvoll es in den fünfziger Jahren gewesen war, den Verkehr zu subventionieren, so unsinnig ist es, diese Subventionierung in einer übermotorisierten Zeit fortzusetzen. "In einer Hitparade der Subventionsempfänger ... erreichte der Autoverkehr mit 54,7 Milliarden Schilling ungedeckter Kosten jährlich den prominenten zweiten Platz," liest man in "energiewende" (2/98). Diese Subventionierung widerspricht dem Grundpostulat der Marktwirtschaft, daß jede Leistung ihren angemessenen Preis haben soll.

Ein Grund für diese Fixierung ist sicher, daß große Wirtschaftszweige vom Straßenverkehr abhängen: die Autohersteller, die Ölmultis, die Straßenbauunternehmen und deren Zulieferanten. Mächtige Unternehmen sind da tätig. Unter den 25 umsatzstärksten "Multis" findet man: drei Ölkonzerne (Shell, Exxon, Mobil) und fünf Automobilhersteller (General Motors, Ford, Toyota, Daimler-Benz, Nissan, Daten für 1994). Es ist naheliegend, daß diese Riesen alle Mittel einsetzen, um eine weitere Motorisierung zu forcieren.

Und sie werden solange Erfolg haben, als im Bewußtsein der Allgemeinheit das Auto Symbol für Freiheit, Wohlstand und Prestige ist - und solange wir an einem Wirtschaftssystem bauen, das eine Intensivierung der regionalen und internationalen Verflechtung zum Dogma erhebt. Denn damit erzeugt es großräumige Abhängigkeiten, die notwendigerweise immer wieder neuen Verkehr erregen.

Es sind diese Dogmen und Prioritätensetzungen, die uns das heutige Verkehrssystem beschert haben und das von morgen bestimmen werden. An dieser Grundphilosophie - noch einmal sei erwähnt, daß sie sich in der Vergangenheit bewährt hat, heute aber obsolet geworden ist - muß angesetzt werden. Alles andere ist Oberflächenkosmetik. Es wird begrüßenswerte, technische Verbesserungen geben. Sie werden auch den einen oder anderen negativen Effekt vorübergehend verringern oder beseitigen. Aber sie sind kein Ersatz für eine neuausgerichtete Wirtschaftspolitik, die Schluß macht mit der überzogenen Subventionierung des Verkehrs und innerhalb dieses die öffentlichen Verkehrsmittel begünstigt .

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