An den menschlichen Qualitäten erkennbar sein

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Heute leben Menschen unterschiedliche Lebensstile. Kirchliche Verkündigung bedeutet hier, den anderen nachahmenswerte Haltungen vorzuleben.

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Heute leben Menschen unterschiedliche Lebensstile. Kirchliche Verkündigung bedeutet hier, den anderen nachahmenswerte Haltungen vorzuleben.

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Kirche ist nur Kirche, wenn sie das Evangelium weiterträgt, in jede Zeit und Kultur hinein, oft auch im Widerspruch zu ihr. "Die Frohe Botschaft heute verkündigen" ist demnach ein zentrales Thema der Delegiertenversammlung zum Dialog für Österreich in Salzburg. Das Arbeitsdokument dazu analysiert die oft schwierige Situation der Verkündigung prägnant: "Aber wird die Frohe Botschaft gehört? Nimmt nicht vielmehr die Kirchenbindung ab? Menschen verlassen enttäuscht die Kirche; besuchen nicht mehr die Gottesdienste, weil ,es ihnen nichts mehr gibt'; können mit zentralen christlichen Glaubensinhalten (...) nichts mehr anfangen. Andererseits steht der Verdunstung von Kirchlichkeit nicht (mehr) ein säkulares Gottesfasten gegenüber. Zukunftsforscher sprechen sogar von einem ,Megatrend Religion'. Zweifelsohne gibt es eine religiöse Suche mit neuer Qualität. Was ist zu tun? Papst Johannes Paul II. hat 1986 die Richtung gewiesen: ,Wir brauchen eine Evangelisierung mit neuer Qualität'."

Verkündigung - nicht nur Sprachproblem Das Arbeitsdokument befaßt sich - den Eingaben entsprechend - primär mit der Verkündigung als Sprachproblem. Wie und durch wen die "Weitergabe des Glaubens" oder das Zeugnis erfahrener Gottesbeziehung innerkirchlich geschehen soll, wem welcher Ort dafür zusteht und wie weit dabei dem Sprachempfinden verschiedener Gruppen und Lebenswelten entgegengekommen werden kann, ohne das genuin Christliche zu verwässern, ist kontroversiell. Möglicherweise können einige weiter ausgreifende Beobachtungen quasi aus der "Außenperspektive" derer, denen in ihrer religiösen Sinnsuche die Kirche "nichts mehr gibt", auch für die Innenperspektive der Verkündigung dienlich sein.

Ästhetik der Lebensstile Der Soziologe Michael Ebertz (Ebertz M. N., Kirche im Gegenwind. Zum Umbruch der religiösen Landschaft, Freiburg 1997) hat mit reichlich Material belegt, daß von Schulzes Thesen von der "Erlebnisgesellschaft" auch für kirchliche Verhältnisse zu lernen ist. Er unterscheidet fünf Milieus: * Im "Niveaumilieu" sammeln sich ältere Menschen mit höheren Bildungsabschlüssen und gehobenen kulturellen Ansprüchen.

* Das "Harmoniemilieu" bilden ältere Menschen im unteren Bildungssektor, die auf Tradition, Heimat und Sicherheit setzen und ihre Meinungen weitgehend aus dem Fernsehen und der Boulevardpresse beziehen.

* Das "Integrationsmilieu" umfaßt ältere Menschen mit mittleren Bildungsabschlüssen, die sich am sozial Üblichen und kulturell Durchschnittlichen orientieren und viel Wert auf die Sozialkontakte in Familie, Nachbarschaft und Pfarrgemeinde legen.

Diesen drei älteren Milieus stehen zwei jüngere (mit Menschen unter 40 Jahren) gegenüber: * Die Jüngeren mit niedrigen Bildungsabschlüssen sammeln sich im "Unterhaltungsmilieu", wo es um Fun, Action und Power geht; sie sind hedonistische Materialisten.

* Die Jüngeren mit höherer Bildung bilden das "Selbstverwirklichungsmilieu", das kritische und alternative Aktivitäten bevorzugt und sich am schärfsten von den anderen abgrenzt.

Ebertz konstatiert nun, daß die durchschnittlichen Pfarrgemeinden eher die älteren Milieus ansprechen und zu den jüngeren keinen Zugang finden. Faktisch bilden dabei nicht die Inhalte des Glaubens die zentrale Barriere, sondern die ästhetischen Merkmale seiner Ausgestaltung und Verkündigung.

Bekanntlich sind soziologische Einteilungen zu trennscharf, und in der Realität trifft man viele Schattierungen und Zwischenstufen an. Aber ist nicht doch etwas Wahres dran? Werden nicht vielleicht wirklich viele durch den Stil unsrer Verkündigung, durch die Prioritäten unserer Wahrnehmung durch die Symbolik unseres Verhaltens abgeschreckt?

Symbolik überdeckt die Botschaft Drei Beispiele aus dem Blickwinkel des Selbstverwirklichungsmilieus, das sich in der religiösen Sinnsuche gerne der "Esoterik" bedient: * Die Kirche verkündigt einen allmächtigen Gott, der der Herr alles Lebens ist. Faktisch wird aber in den Kirchen meist ein Gott als ohnmächtiger Leichnam am Kreuz verehrt, den menschliche Selbstherrlichkeit zu Tode gebracht hat. Wie kann ein solcher Gott uns retten? Freilich ist das Mißverständnis theologisch leicht aufzuklären. Könnten wir ästhetisch nicht den ostkirchlichen Pantokrator-Christus wiederentdecken?

* Die Kirchen wollen auch während der Woche als Orte des Gebetes das Stadtbild prägen. Der stille Beter findet sich jedoch häufig entweder stehend hinter einer Glaswand oder auf einer unwirtlichen Kirchenbank in einer großen leeren Halle wieder. Kann man sich dem kirchlichen Gott nicht in einem einladenderen Raum nähern? Natürlich gibt es schlechte Erfahrungen mit Vandalismus und Diebstahl. Könnten wir nicht dennoch in die persönliche Gottesbegegnung von kirchlich Fernstehenden mehr Phantasie investieren?

Woran erkennt man einen praktizierenden Katholiken? Nur daran, daß er den institutionellen Vorgaben (Kirchenbeitrag und Sonntagsmesse) entspricht? Oder an seinen menschlichen Qualitäten, weil er/sie auffallend großherzig und geduldig, freundlich und hoffnungsfroh, liebenswürdig und mutig ist? Oder an ihrem/seinem engagierten Eintreten für das Gemeinwohl, für Gerechtigkeit und die Hochachtung vor den Armen, Mißachteten und Ausgegrenzten? Das eine darf sicher das andere nicht ausschließen. Und von Christinnen und Christen darf man nicht erwarten, daß sie Menschen der Extraklasse sind. Aber darf man von uns nicht wenigstens erwarten, daß die Gnade Gottes zumindest dann und wann in den alltäglichen Begegnungen zwischen uns den Himmel aufblitzen lassen kann?

Haltungen zeigen, wie Leben gelingt Unsere kirchliche Verkündigung wird sich nicht auf Dauer auf die eingrenzen lassen dürfen, die wir ohnedies schon immer erreicht haben - es werden immer weniger. Will sie aber die Saat des Wortes Gottes auch anderswo ausbringen, muß sie anfangen, die Böden besser zu kultivieren. Menschen lassen sich heute nicht mehr so einfach "bearbeiten" wie früher. Sie folgen uns aus freien Stücken, wenn sie unsere Haltungen zum Leben, zu den Menschen, zu uns selbst als nachahmenswert empfinden. Erst dann können wir ihnen von unserem Gott erzählen.

Diese christlichen Haltungen gediegener Persönlichkeiten - auch und gerade von den "kleinen" Leuten - sind die eine Basis von Verkündigung heute. Die andere ist das ehrliche, offene und selbstkritische Sich-Einlassen auf die ästhetischen Stile der verschiedenen heutigen Lebenswelten. Wir brauchen dazu die tradierten Glaubensformeln nicht zu ersetzen. Wir müssen nur lernen, die Gottesbegegnungen, die sie ausdrücken, auch in den vielen heutigen Welten zu erhoffen und aufzudecken. Dann können wir sagen: "... und das ist, was die Tradition so und so benannt hat."

Stile und Haltungen - und die großen und kleinen Taten, die aus ihnen alltäglich folgen, sind die Böden, auf denen heute die Verkündigung des Wortes wurzeln kann. Sie sind der Boden für eine "Evangelisierung mit neuer Qualität".

Die Autorin ist Pastoraltheologin in Wien.

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