An der Grenze der Wut

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Warum Internetforen und Bloggergemeinschaften politisch kaum reüssieren können, und wie Diktaturen jahrelang mit den Möglichkeiten des Cyberspace ihre Absetzung verhindern.

Die Besetzer von der Wall Street sind äußerst kommunikative Bürger - und so sind auch ihre Angriffsstrategien gegen den superreichen Feind in den Vorstandsetagen der börsennotierten Banken und Versicherungen. Unter dem Titel: "The 1% have Adresses. The 99% have Messages“, werden die geneigten Mitmanifestanten aufgefordert, sich einen Brieffreund unter den Superreichen zu suchen und ihn mit Fakten zu konfrontieren, die einen "Working Poor“ so täglich beschäftigen: Schulden, Hunger, Jobmisere. Ob das eine Prozent der Vermögenden die E-Mails auch liest, ist eigentlich zweitrangig. Denn wenn auch nur 10.000 Menschen sich angesprochen fühlen, ein Mail an eine Adresse zu senden, bricht der Server des Benachrichtigten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zusammen. Der einschlägige Erfolg der Aktion wird übrigens demnächst unter OccupyWallSt.org veröffentlicht werden.

Von Alaska (Occupy the Tundra!) bis nach London, Paris und Wien reicht der Arm der nach einer besseren Finanzwelt Strebenden bereits. Darunter gibt es freilich auch Unterstützung von zweifelhafter Seite. US-Neonazis wünschten dem Unternehmen Glück, ebenso das Regime in Teheran, das 2009 selbst noch eine Revolte blutig niederschlagen ließ. Für "Occupy“ gab es in Teheran dagegen Unterstützungs-Demos.

Doch während man sich gegen ungebetene Unterstützer mit Stellungnahmen wehren kann, ist es um die Erreichung der politischen Ziele nicht so einfach bestellt. "Occupy Wall Street“ scheint wie viele aktuelle Protestbewegungen an der politischen Organisation zu kranken, an der Beantwortung der Frage: "Was kommt nach der Demo?“ Obwohl sich die US-Demokraten in Solidaritätsbekundungen mit den arbeitenden Bürgern ergehen - Konsequenzen hat das noch nicht.

Dieses Mitleid ohne Folgen macht deutlich, dass "Occupy“ viel weniger schlagkräftig ist als die "Teaparty“-Bewegung, jene radikale Ansammlung enttäuschter Mittelstandrepublikaner die, das Herz der Konservativen in den USA darstellen, von den gleichen Sponsoren gefüttert werden und schließlich auch republikanische Politiker als ihre Proponenten vorweisen können. Mit einschlägigem Erfolg, wie der Streit um die Schuldenobergrenze zuletzt sehr deutlich zeigte.

Generelle Schwächen

Solche "Großtaten“ dürften für "Occupy“ schwierig sein - aus mehreren Gründen: Generell haben die Solidarisierungsbemühungen der Bürger in den Industriestaaten eine ähnliche Schwäche wie jene der tunesischen und ägyptischen Blogger. Eine ihrer maßgeblichen Eigenschaften ist es, dezentral und anonym organisiert zu sein. Um einen Flash-Mob zu veranstalten, reicht im Wesentlichen ein Knopfdruck. Die Bildung einer Partei erfordert dagegen zentrale Strukturen und klar erkennbare Führungspersönlichkeiten - um nur das Wichtigste zu nennen. Dazu ist die lose Datengemeinschaft von Bloggern und Facebook-Aktivisten nicht geeignet.

Der deutsche Unternehmer und Web-Analyst Christoph Kappes bezweifelt lautstark, dass es jemals politische Revolutionen durch das Internet geben könne. Bei der ägyptischen Revolution sieht er die Rolle von Telefon, SMS und TV-Sendern - und hier vor allem von Al Jazeera als wesentlich entscheidender für den erfolgreichen Verlauf des Aufstandes. Mehr noch, so Kappes: "Die Benutzung von Online-Diensten kann für Bürgerrechtler kontraproduktiv sein, vor allem in autoritären Regimen, die den Internetverkehr überwachen und sich geheimdienstlich in Online-Diensten bewegen.“

Mit entsprechenden Eingriffen ins Netz, Infiltration der Opposition und Enttarnung von Sympathisanten scheint das syrische Regime derzeit vorzugehen. Dabei kann es auf logistische Unterstützung aus Teheran zurückgreifen, wo man seit 2009 eine Revolte mit allen Mitteln, vom Cyberagenten bis zu Folter und Hinrichtung, unterdrückt. Mit makabrem Erfolg.

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