An der Realität vorbei

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Im März finden Parlamentswahlen im Iran statt. Das Regime hat bei der Modernisierung des Landes versagt - was sich vor allem an Teheran und anderen Großstädten zeigt.

Iran zählt zu jenen Ländern, in denen Wahlen mittlerweile Unruhen bedeuten. Was bei den Präsidentschaftswahlen 2009 geschah, kann sich rund um die Parlamentswahlen Ende März jederzeit wiederholen. Eine zunehmend mündigere Gesellschaft erträgt es scheinbar immer weniger, dass die religiösen Machthaber mit ihrem politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Diktat jede Facette des iranischen Alltags bestimmen. Gleichzeitig versagt das Mullah-Regime seit geraumer Zeit bei der Modernisierung und Entwicklung Irans, wovon nicht zuletzt die Städte des Landes ein beredtes Zeichen geben - allen voran die Metropole Teheran.

Innerhalb ihrer administrativen Grenzen entwickelte sich die Hauptstadt mit ihren acht Millionen Einwohnern in den letzten Jahrzehnten - verglichen mit anderen Megacitys - relativ geordnet. Faktisch erstreckt sich Teheran heute jedoch bis an die Grenzen der gleichnamigen Provinz und zählt an die 14 Millionen Menschen. Und dieser Siedlungsbrei bietet wenig außer leistbaren Wohnraum auf relativ billigem Grund und Boden: Es fehlt hier an Arbeitsstätten, entsprechenden Bildungsangeboten, sozialen Einrichtungen und sonstiger Infrastruktur. Wie viele Menschen daher täglich in die Kernstadt von Teheran pendeln müssen, weiß niemand so genau. Hunderttausende kommen allein aus dem dreißig Kilometer entfernten Karadsch - noch vor zwanzig Jahren eine Kleinstadt, heute eine Agglomeration mit drei Millionen Einwohnern, die als "größte Schlafstadt der Welt“ gilt.

Heillose Verkehrsüberlastung

Im Unterschied zur demografischen Entwicklung ist die Zunahme der Motorisierung Teherans exakt dokumentiert: Rund 230.000 zusätzliche Pkw pro Jahr verschärfen die Situation in der von vier Millionen Autos und ebenso vielen Motorrädern ohnehin schon verkehrsüberlasteten Stadt noch weiter. Dabei ist das politische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum der islamischen Republik ein durch und durch modernes Gebilde, das nicht von verwinkelten Altstadtgassen, sondern einem großzügigen Straßenraster durchzogen ist. Trotzdem sind selbst am späten Abend noch fünfspurige Einbahnstraßen heillos verstopft.

Die Automassen verdrängen jegliches Leben aus dem öffentlichen Raum: Vielerorts bilden hohe Fußgängerbrücken die einzige Möglichkeit für Passanten, die Fahrbahn sicher zu überqueren - allerdings nicht für Alte, Behinderte oder Mütter mit Kleinkindern. Noch schwerer wiegen die Folgen für Umwelt und Gesundheit. Die vorherrschende Wetterlage in Teheran heißt seit Jahren schon Smog.

25 Cent pro Liter Sprit

So gilt der erste morgendliche Blick vieler Bürger den über 5000 Meter hohen Gipfeln des Alborsgebirges, über dessen Abhänge sich die iranische Hauptstadt erstreckt. In den südlichen, auf 1100 Meter Seehöhe liegenden Stadtteilen nimmt man die schneebedeckten Bergspitzen ohnehin meist nur schemenhaft wahr. Ist die nahe Gebirgskette aber auch in den nördlichen, reicheren Wohnvierteln auf bis zu 1800 Höhenmetern kaum sichtbar, empfiehlt es sich, zumindest die Kinder im Haus zu lassen. Selbst von offizieller Seite ist von jährlich 10.000 Todesfällen infolge der Luftverschmutzung die Rede. Die Gegenmaßnahmen der Stadtregierung beschränken sich im Wesentlichen auf eine Prämie für jene, die ihr altes Auto durch ein neues ersetzen. Dass die zahllosen Rußschleudern Marke Paykan oder Peugeot 405 deshalb von den Straßen verschwinden, ist allerdings eine Illusion. Bei subventionierten Spritpreisen von 25 Cent je Liter ist ein fahrbarer Untersatz auch für weniger begüterte Teheraner erschwinglich - ja für Zigtausende, die sich als illegale Taxifahrer ihr Geld verdienen, sogar lebenswichtig.

Ihre Dienstleistung kompensiert das unzureichende Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln in Teheran. Autobusse stecken noch länger im Stau als private Fahrzeuge, da sie nicht spontan auf weniger überfüllte Routen ausweichen können. Das Metro-Netz der Megacity wiederum beschränkt sich auf drei in den letzten Jahren fertiggestellte Linien und eine noch in Bau befindliche - sowie auf die Regionalbahn nach Karadsch. "Eine seriöse Verkehrspolitik für den Großraum Teheran gibt es ebenso wenig wie eine brauchbare Siedlungspolitik für die Agglomeration“, urteilt Firuz Tofigh, vor der Machtübernahme Khomeinis 1979 Minister für Stadtentwicklung. Seit 2002 leitet er das neu gegründete Center of Planning and Studies, das für Teheran eine strategische Stadtentwicklungs-, Verkehrs- und Umweltpolitik erarbeiten soll. "Eine solche Einrichtung bestand schon vor der Revolution, als die Planungsbehörde noch sachlicher arbeiten konnte. Seit 1979 wird die Stadtentwicklung aber von der Politik dominiert - und deren Ad-hoc-Lösungen, die an den realen Problemen der Stadt vorbeigehen.“

Die langfristig größte Gefahr sieht der Planer im Bodenverbrauch durch das rasante Wachstum der Agglomeration. "Nur 15 bis 20 Prozent des Staatsgebiets sind überhaupt fruchtbar - insbesondere das Umland der gewachsenen Zentren, die natürlich dort entstanden sind, wo es ausreichend Ackerland gab“, erklärt Tofigh. "Damit frisst die Ausdehnung unserer Stadtregionen die kostbarsten Böden auf.“ Teheran und Karadsch sind beinahe schon zusammengewachsen. Gemeinsame Planungen gestalten sich deshalb aber nicht leichter, zumal die iranische Hauptstadt keinerlei Einfluss auf die umgebenden Städte und Provinzen hat.

Ausverkauf an Spekulanten

Wirkliche Verbesserungen sind für Jahanshah Pakzad, Professor für Stadtgestaltung, allerdings nur durch eine Demokratisierung der Stadtplanung möglich: "Vor einigen Jahren wurde den Stadtbezirken bis hinunter zu den einzelnen Neighbourhoods mehr Selbstbestimmung eingeräumt - allerdings nur auf dem Papier. Denn die direkten Wahlen der lokalen Ratsversammlungen fanden bis heute nicht statt.“ Der Sieg der Konservativen bei den Kommunalwahlen 2003, die den heutigen Staatspräsidenten Ahmadinedschad zum Bürgermeister machten, ließ auch in der Stadtentwicklung jene Aufbruchstimmung, die unter Präsident Khatami anfänglich herrschte, abklingen - und die urbanistischen Missstände weiter bestehen. "Das grundlegende Übel ist der Ausverkauf Teherans an Investoren und Spekulanten, der 1987 unter Bürgermeister Karbastshi begann und bis heute andauert“, kritisiert Pakzad. "Dadurch verliert die Stadt mehr und mehr ihren Charakter.“ In Karbastshis Amtszeit fielen unter anderem der Bau monströser Stadtautobahnen, dem etwa ein ganzer Bezirk südlich des Bazars geopfert wurde, sowie der Bau zahlreicher, oft spekulativ errichteter Hochhäuser, die in völligem Wildwuchs traditionelle Strukturen zerstörten.

"Andererseits“, relativiert der aus Teheran stammende und heute in Wien lebende Architekt Nariman Mansouri vom Verein X-CHANGE, "sorgte Karbastshi für die Errichtung von Kulturzentren und öffentlichen Parks, wodurch auch ärmere Bezirke aufgewertet wurden.“ Kennzeichnend sei in jedem Fall seine "pragmatische“ Vorgehensweise gewesen, oft informell und an den Mühlen der Bürokratie vorbei. Dies erlaubte ihm, die im Iran übliche Vorlaufzeit von Großprojekten von durchschnittlich 14 Jahren merklich zu verkürzen, brachte aber schließlich den allmächtigen Staatsapparat gegen ihn auf: 1998 wurde der eigenwillige Kommunalpolitiker wegen "Missbrauchs öffentlicher Mittel“ und "schlechter Amtsführung“ zu fünf Jahren Haft, sechzig Peitschenhieben sowie einer hohen Geldstrafe verurteilt - und mit einem zwanzigjährigen Betätigungsverbot in öffentlichen Ämtern bestraft.

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