An der Schwelle des Alls

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Zum Ende des Jahres, in dem mit dem"Sputnik" der erste Satellit aufstieg. Von Reinhold Schneider die furche 21. 12. 1957

Das ausklingende Jahr wird für absehbare Zeit denkwürdig bleiben als Geburtsjahr der ersten Satelliten, einer Sensation, wie es scheint, mit stark politischem Akzent; in Wahrheit geht es um ein politisch-überpolitisches Ereignis, eine Sache der Menschheit, die ernsthafter innerer Verarbeitung bedarf. Was es für die Wissenschaft bedeutet, dass in Bereichen, die bisher nur für wenige Minuten von Raketen gestreift wurden, unter Umständen auf Jahre ausdehnbare Beobachtungen möglich sind, ist wohl noch kaum zu ermessen. Allein für die Radioastronomie, die Erforschung kurzwelliger kosmischer Strahlung, der Sonnenaktivität, welche Forschungen sich atmosphärischen Einflüssen zu entziehen streben, wurden hohe Erwartungen ausgesprochen; auch ernst zu nehmende Forscher scheinen es für möglich zu halten, daß in wenigen Jahrzehnten die Bodenschätze des Mondes erreichbar werden. Spekulationen dieser Art verweisen auf Rechtsprobleme, die bisher wohl kaum durchgedacht wurden und in den Gesetzgebungen der Völker noch keine Stelle gefunden haben. Selbst wenn es sich um Phantasien handeln sollte - aber Forschung ist wohl immer eine Synthese von beobachtender Nüchternheit und Phantasie -, selbst dann müßten neue, die Welt umschließende Rechtskonventionen getroffen werden. Die Freiheit der Staaten, Trabanten aufzuschleudern kann ja nicht unbegrenzt sein; schon wird mit einigen hundert gerechnet, die etwas in fünfzig Jahren die Erde umschwirren werden. Die Klage um das erste, arme, der Weltleere zugeworfene Leben ist wenig überzeugend: wir alle ahnen doch, welche Opfer die Kreatur Tag und Nacht, qualvolle Stunde um Stunde, in Laboratorien und Forschungszentren bringt. Wie im Erleiden der Krankheit und problematischer Heilmethoden, zu einem Teile aber gewiß unabweisbarer Versuche, geht sie uns auch im kosmischen Tode voraus. Denn der Kosmos ist nun als Feld der Geschichte geöffnet, ich möchte sagen: gerade angebrochen worden, ein handschmaler Küstenstreifen des endlichunendlichen Raumes, dessen im höchsten Falle mögliche Erweiterung dem Ganzen gegenüber fast belanglos ist. Geschichtsfeld also ist ein Todesfeld; insofern war der verlassene Passagier des zweiten Satelliten eine prophetische Existenz, sollte er uns ein Zeichen bleiben: eine Todeschance ohnegleichen vielleicht die grausigste aller Möglichkeiten des Verlassenseins und der Angst, ist von der Menschheit aufgenommen worden. Sie sollte sie nicht leugnen: etwas Großes ist in diesem Beginnen, in dem Aufbruch menschlicher Macht in den Raum, die als Unmacht zurücksinken wird; In dem versprühenden Funken; den wir in den Raum werfen wie ein Streichholz in einen Brunnenschacht - oder in die lichtlosen Schluchten, in denen mittelalterliche Burgherren Verbrecher oder Gegner bestraften. Ein Flämmchen meldet, daß es angekommen ist - und dann ist wieder Nacht über Knochen und Staub.

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