Andy Warhols Pullover

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Zum 75. Geburtstag des Pop-Künstlers: Eine Kunst-Wallfahrt zu seinen Wurzeln in der Ostslowakei.

D ie Versuchung ist mächtig, ich spüre den Sog, der vom Objekt selbst ausgeht: Vor mir, ordentlich auf einem hölzernen Kleiderbügel, hängt Andy Warhols zartblauer Kaschmirpullover, daneben etliche Sakkos, Hosen, Krawatten. Seit einer Stunde bin ich ganz allein in dem Museum in Medzilaborce, im hintersten Winkel der Slowakei, fast an der Grenze zur Ukraine und zu Polen. Keine weiteren Besucher, keine Aufpasser, niemand. Die Frau, die mir die Eintrittskarte verkaufte, zwei Etagen tiefer, würde nicht das geringste bemerken.

Nimm ihn - now! schoss es imperativ durch meinen Kopf, es ist Kunst. Wie in Trance streichle ich über die Ärmel, die Finger prüfen die Wollqualität: weich wie das Fell einer jungen Katze. Andy liebte Katzen, ich auch, und jetzt liebe ich seinen weichen Pullover, obwohl er für mich viel zu klein ist, marxistisch gesagt: keinen Gebrauchswert hat. Über den Tauschwert ließe sich verhandeln; aber es gibt ja noch andere Werte.

Warhola aus Miková

Eine Pilgerfahrt zu den slowakischen Neffen, Nichten und Tanten des Warhola-Clans zu unternehmen, im Wissen, dass es arme ruthenische Bauern sind, die sich trotz des regelmäßigen Briefwechsels mit den nach Amerika ausgewanderten Eltern Andys bis heute nicht viel unter einem Pop-Künstler vorstellen können, gehört ins Fach Kunstreligion. Das Kalkül hat sich erfüllt, ich bin bewegt, ergriffen. Zwei Tage dauerte die Anreise mit dem Motorrad, 600 km Landstraße ab Bratislava. In jedem Dorf eine "lebendige" Kirche, sonntags stehen die Kirchgänger mangels ausreichender Sitzplätze andächtig vor dem Eingang. Auch viele Romadörfer, schwarze Holzhäuser, Störche, schmutzige Kinder, die dem Vorbeifahrenden so begeistert winken, als hätten sie noch nie einen Fremden gesehen.

Medzilaborce, die Stadt unweit von Mikowá, hat 7.000 Einwohner, wirkt aber wie ein Dorf. Auf der 800 Meter langen Hauptstraße ul. Andy Warhola findet sich ein neues Eurohotel, wo ich an diesem Wochenende der einzige Gast bin. Im Winter kann man hier Skifahren, da soll angeblich mehr los sein. Das Museum ist groß, repräsentativ, davor die vergrößerten und legendären Campbell-Dosen, ein obligater kommunistischer Stern an der einzigen Kreuzung in der Ortschaft, und immerhin drei Kirchen in Sichtweite. Außer dem Museumsdirektor spricht kaum jemand Englisch, Deutsch sowieso nicht. Obwohl auch dieser nordöstliche und abgelegenste Zipfel der Slowakei bis zum Ersten Weltkrieg zur Donaumonarchie gehörte.

Warhol - ein Altösterreicher?

Kulturgenetisch einwandfrei, aber frivol könnte man daher von Andy Warhols "altösterreichischer Herkunft" sprechen, da sein Vater, der Kohlebergarbeiter Andrej Warhola 1909 nach Amerika emigrierte; die Mutter folgte aufgrund der schon damals harschen amerikanischen Einwanderungsbestimmungen und wegen des Ersten Weltkrieges erst 1921.

Andy, der am 5. August seinen 75. Geburtstag feiern könnte, wenn er nicht 1987 auf bizarre Weise, bei einer eher harmlosen Gallenoperation (zu viele Mehlspeisen!) verstorben wäre, hätte sich bestimmt über ein großes Verdienstkreuz vom postmodernen Wiener "kunst bundeskanzleramt" amüsiert. Die Warhol-Forschung gibt uns widersprüchliche Auskünfte über seinen eigenen "Heimatbegriff". Als Andrew Warhola kam er in Pittsburgh zur Welt und scheint sich nicht sonderlich für die Heimat seiner Eltern interessiert zu haben. Im Gegenteil, seine Herkunft war ihm eher peinlich. Schon zu Beginn seiner Karriere amerikanisierte er seinen Namen: Andrew (Andrej) Warhola mutierte zu Andy Warhol. Nach der Herkunft seiner Familie gefragt, antwortete er oft: "Ich habe keine Abstammung." Bruder John Warhola aber berichtet: "Unsere Mutter hat uns oft von Miková erzählt, darüber, wie sie mit dem Wagen nach Medzilaborce fuhren."

Andy wuchs im tschechischen Ghetto in McKeesport in Pennsylvania auf. In seiner autobiografischen Schrift "From A to B and Back again" erzählt er, dass sein Schulweg gesäumt war von "Babuschkas und blauen Arbeitsanzügen an Wäscheleinen". Seinen Vater habe er so gut wie nie gesehen, er verstarb, als Andy 13 war. "Meine Mutter las mir, so gut sie das mit ihrem breiten slowakischen Akzent konn-te, Dick-Tracy-Hefte vor. Wenn sie damit fertig war, sagte ich immer: "Danke, Mama! - auch wenn ich kein Wort verstanden hatte."

Heute ärgert sich die ostslowakische Verwandtschaft, dass nicht alle Briefe, die Julia Warhola in ihre Heimat sandte, aufbewahrt wurden. Immer wieder habe sie auch seltsame Bildchen, Zeichnungen und Skizzen beigelegt, mit denen die slowakischen Warholas aber nichts anfangen konnten. Sie benutzten sie als Papiertüten, handbemalte Stöckelschuhe wurden getragen, bis sie kaputt waren und danach weggeworfen. Auch Andys Mutter war künstlerisch aktiv: Als ihr Mann in der Weltwirtschaftskrise seinen Job verlor, verdiente sie zeitweise ihr Geld mit selbst- gebastelten Engeln, Papierblumen und Ostereiern, die sie in der Tradition ihrer slowakischen Heimat bemalte.

Naive Malereien der Mutter

Die Kunst-Forschung geht davon aus, dass diese "Serienproduktionen", die Andy als Kind miterlebte, seine Kunstauffassung stark beeinflusst haben. Auch Julia Warholas Federzeichnung "Mariä Verkündigung", die einen Engel zeigt, weist starke Ähnlichkeit mit den Erstlingswerken von Andy Warhol auf. Überhaupt habe seine Mutter ihn stets für das Malen belohnt, erzählt er in seiner Autobiografie: "Jedesmal, wenn ich eine Seite in meinem Malbuch fertig gemalt hatte, gab sie mir einen Hershey-Schokoriegel."

Nicht nur blieben Schokolade und Süßigkeiten Zeit seines Lebens sein Lieblingsessen, er behielt darüber hinaus immer ein sehr inniges Verhältnis zu seiner Mutter, manche bezeichnen die Mutter-Sohn-Beziehung sogar als neurotisch. Andy liebte die Naivität der Bildsprache seiner Mutter. Fleißig übertrug sie nach den Vorstellungen ihres Sohnes Zeichnungen und Skizzen. Obwohl sie nur mangelhafte Englischkenntnisse besaß, war sie zuständig für alles Geschriebene auf Warhols Bildern, bis hin zur Signatur.

"Ich bin stolz, dass Andys Augen ruthenische Augen sind, in denen sich die Melancholie spiegelt, die Augen eines Bauern, der aus Verzweiflung trinkt, der weiß, dass sein Leben kurz ist und die Armen nichts zu verlieren haben... Dies ist mein Andy, ein Mann mit dem Gesicht eines entlassenen Knastvogels, ein Mann mit einer Perücke wie ein Pferd", sagte Julia Warhola einmal in einem Interview.

Die Slowaken tun sich schwer mit ihrem weltberühmten Erbe. Den Altkommunisten ist Warhol als kapitalistischer Künstler suspekt. Die ostslowakischen Verwandten haben Mühe mit der Homosexualität des Künstlers. Als strenggläubige Katholiken nehmen sie das Wort nicht einmal auf, die 93jährige Tante Eva sagt: "Andy ist keiner von denen, bei uns war noch nie so einer".

Vieles vom realen Leben (nicht von seiner Kunst) bleibt rätselhaft. Zum Beispiel sein Geburtsdatum (6. oder 8. August 1928) ist umstritten, da die Geburtsurkunde eines Tages verschollen war. Das später ausgestellte Dokument bezeichnete er in seiner autobiografischen Schrift "From A to B and Back again" als Fälschung.

Medienwirksames Attentat

Im Juni 1968 betritt Andy gemeinsam mit der Radikalfeministin Valerie Solanas die Factory. Sie ist Begründerin und einziges Mitglied von SCUM, Society for Cutting up Men, Gesellschaft zur Vernichtung der Männer. Ihm fällt auf, dass sie Lippenstift und Eyeliner aufgetragen hat. Akribisch genau notiert er dies später in seinen Memoiren; auch dass Solanas eine Papiertüte bei sich trägt, die sie "unruhig in den Händen dreht". Diese Papiertüte beinhaltet die 32er-Baretta-Automatik, mit der Solanas einige Male auf ihn schießt. Er wird dabei schwer verletzt. Solanas hat durch ihr Attentat das wahrgemacht, was der Pop-Art-Künstler immer proklamiert hatte: Jeder könne für 15 Minuten ein Star sein. Nachdem sie auf Warhol geschossen hatte, kam Solanas auf die Titelseiten der Zeitungen.

Zwischen diesem Attentat auf die Ikone der amerikanischen Kunstszene und dem World Trade Center lässt sich durchaus ein medientheoretischer Vergleich anstellen: Beides waren medial kalkulierte und inszenierte Verbrechen von pathologischen Tätern. Solanas bei ihrer Verhaftung: "Er hatte zuviel Kontrolle über mein Leben." Ähnliches hätte Osama bin Laden über den Amerikanismus in islamischen Staaten sagen können. Andy überlebte den Anschlag, musste aber fortan ein Hüftkorsett tragen. Seine reale Todesursache, die Überfunktion der Galle aufgrund von Süßigkeiten, die eine Operation erforderte, entspricht dem American Way of Life. Möglicherweise und in dieser Symbolsprache gesagt, ist vielleicht nicht die Al Kaida der größte Feind der USA, sondern der hausgemachte und durch das System verursachte CO2-Ausstoß.

Epikur sagte: Genieße mit Maß, damit du lange genießen kannst. Deshalb habe ich auch den zartblauen Kaschmirpullover an seinem Platz im Museum in Medzilaborce hängen lassen.

Der Autor ist freischaffender Schauspieler und Dokumentarfilmer.

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