Anerkennung der Zeugen Jehovas: Das Ende einer Sekte?

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Die Zeugen Jehovas werden in den nächsten Tagen vom Kultusamt als Religionsgemeinschaft anerkannt. Ein Erfolg auf einem jahrzehntelangen Weg in die Gesellschaft; das Image ist aber längst nicht makellos.

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Die Zeugen Jehovas werden in den nächsten Tagen vom Kultusamt als Religionsgemeinschaft anerkannt. Ein Erfolg auf einem jahrzehntelangen Weg in die Gesellschaft; das Image ist aber längst nicht makellos.

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Zusammen mit Scientology sind sie wohl für die meisten Menschen in Österreich die erste Assoziation mit dem Begriff Sekte: Jehovas Zeugen. Umso absurder scheint es, dass eben diese Gruppe in den nächsten Tagen vom Kultusamt zur offiziell anerkannten "Religionsgesellschaft", wie der offizielle Begriff heißt, erklärt werden wird. Im Prinzip ist es aber ganz einfach: Vor dem Gesetz existiert der landläufige Sektenbegriff nicht. Der Staat hat Religionsfreiheit zu garantieren und behandelt Jehovas Zeugen dementsprechend genauso, wie er jede andere religiöse oder weltanschauliche Gruppe zu behandeln hat. Sofern diese nicht selbst mit dem Gesetz im Konflikt stehen, versteht sich.

Dennoch, das Image der Sekte will sich offenbar nicht so ganz von den Zeugen lösen. Sind sie das, als was sie gesehen werden? Oder sind sie - ein Opfer der Medien, wie sie selbst sagen - eine weitere christliche Gruppierung?

"Der Sektenbegriff ist von vornherein problematisch und daher auch sehr umstritten", hält auch Johann Zimmermann, Pressesprecher der Zeugen Jehovas in Österreich, fest. Warum die Zeugen die unrühmliche Bezeichnung dennoch nicht loswerden, darüber kann Zimmermann nur spekulieren. "Vielleicht hängt es damit zusammen, dass wir in der Öffentlichkeit doch sehr präsent sind, durch das Verbreiten des Wachtturms und unsere Hausbesuche."

Folgen für Aussteiger

Ein großer Kritikpunkt, der immer wieder gegen die Zeugen Jehovas vorgebracht wird, ist der Umgang mit Aussteigern. "In der Bibel steht, dass man mit ehemaligen Brüdern keinen Umgang haben soll", begründet Zimmermann dieses Verhalten. "Aber in der Realität ist das natürlich von Fall zu Fall verschieden, weil mehrere biblische Leitprinzipien eine Rolle spielen." Nachdem die Anhänger religiöser Kleingruppen aber oft nur wenige Kontakte außerhalb der Gruppe pflegen, kommt der Ausschluss aus diesem Gefüge unter Umständen einer totalen sozialen Isolation gleich.

Dieser strenge Umgang mit Aussteigern und Kritikern gilt in vielen Sekten-Definitionen als ein charakteristisches Merkmal. Ähnliches gilt für die Exklusivität der Heilsvorstellungen dieser Gruppen. Jehovas Zeugen glauben, dass der Weltuntergang Harmagedon unmittelbar bevorsteht. Genaue Berechnungen werden heute nicht mehr durchgeführt, da sich die letzten Versuche - zuletzt 1975 - als falsch herausgestellt haben. Wenn es dann aber doch so weit ist, werden nur Zeugen Jehovas gerettet, alle anderen Menschen werden vernichtet. Zwar wird immer wieder betont, dass auch Nicht-Zeugen, die richtig leben, gerettet werden können, gewiss ist die Rettung aber nur den Zeugen selbst. 144.000 von ihnen würden demnach zusammen mit Jesus eine himmlische Regierung bilden, während eine unbestimmte Zahl weiterer Gläubiger auf der Erde im Paradies leben dürfe.

Organisiert sind Jehovas Zeugen weltweit in der sogenannten Wachtturm-Gesellschaft, wobei die "Watch Tower Bible and Tract Society of Pennsylvania" eine Art Muttergesellschaft darstellt. Sie ist auch die Herausgeberin der beiden Zeitschriften Wachtturm und Erwachet!, die in Auflagen von 37 und 35 Millionen Stück halbmonatlich und monatlich erscheinen und auf der ganzen Welt gratis verteilt werden.

37 Millionen "Wachttürme"

Allein diese Zahlen sind ein eindrucksvoller Beleg für die ausgeprägten Missionierungsbemühungen der Zeugen Jehovas, die eigenen Mitgliederzahlen belaufen sich nämlich nur auf etwa sieben Millionen Menschen. Diesen Bemühungen ist der andauernde Konnex zum Sektenbegriff natürlich nicht gerade zuträglich.

Die Anerkennungsbestrebungen der Zeugen in Österreich werden vor allem von der Hoffnung auf eine Verbesserung des eigenen Images begleitet. "Einerseits in der öffentlichen Diskussion und andererseits auch bei unseren Besuchen an der Haustüre", so Zimmermann. Die zusätzlichen Rechte, die sie durch die Anerkennung zugesprochen bekämen, sind eher als nebensächlich zu verstehen. So haben die Zeugen nach derzeitigem Stand beispielsweise keinerlei Ambitionen, Religionsunterricht an öffentlichen Schulen durchzuführen. "Das wollen wir uns aber bewusst offenlassen." Der mögliche Imagegewinn dürfte also wirklich hauptsächlicher Anreiz gewesen sein, diesen Schritt so vehement zu verfolgen. Schließlich waren Jehovas Zeugen sogar bereit, vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gegen das geltende Gesetz in Österreich zu protestieren.

Das Kultusamt muss anerkennen

Dass Straßburg Jehovas Zeugen dabei recht gab, ist für ihre eigene Anerkennung mittlerweile hinfällig. In dem Verfahren wurde die Zehn-Jahres-Frist, die eine Gruppe als eingetragene Bekenntnisgemeinschaft zubringen muss, bevor sie als Religion oder Kirche anerkannt werden kann, als ein Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren interpretiert. Nachdem diese Frist für Jehovas Zeugen aber mit dem Jahr 2008 verstrichen ist, kommt das Kultusamt ohnehin nicht mehr daran vorbei, die Anerkennung zu gewähren, zumal die Zeugen mit etwa 23.000 Mitgliedern auch das zweite Kriterium, mindestens 16.000, erfüllen.

Ob sich durch die Anerkennung am Bild von Jehovas Zeugen in der Gesellschaft etwas ändern wird? "Wir erhoffen uns durch die Anerkennung eine sachlichere Diskussion über und mit uns", hofft Zimmermann. Ob es reicht, das Image der Sekte - ob berechtigt oder nicht - abzulegen, ist fraglich. Schließlich haben etwa auch die Mormonen einen ähnlichen Ruf, obwohl diese in Österreich seit 1955 als Kirche anerkannt sind.

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