Angebote, um zur Ruhe zu kommen

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Die Öffnung der Klöster ist gelungen: Immer mehr Menschen tauschen für einige Tage ihren Alltag gegen das Leben im Ordenshaus, machen Exerzitien oder leben als „Mönch auf Zeit“ mit der Gemeinschaft mit. Manche wollen ihren Glauben vertiefen, andere Zeit für sich selbst finden. Verstärkt suchen auch Manager bei Psalmen und Chorälen eine Auszeit.

Wenn Bernd Scherer in einer Reihe mit den Mönchen in Habit von der barocken Kirche des Benediktinerstifts Göttweig die langen Gänge zum Refektorium entlangschreitet, unterscheidet ihn nicht viel von den Mitbrüdern. Einzig seine Hose und das blaue Hemd verraten ihn als Gast im Kloster. Ansonsten lebt Scherer für eine Woche das tägliche Leben der Gemeinschaft mit: Beim Essen sitzt er unter den Mönchen, an den Gebeten nimmt er stets teil und selbst die lateinischen Choräle singt er flüssig mit. „Manchmal ertappe ich mich dabei, bei den Gebeten abzuschweifen“, erzählt Scherer auf der Terrasse des Klosters, die einen weiten Blick auf die Wachau und den Dunkelsteiner Wald freigibt. „Aber dann denke ich, alleine hier mitzuleben, bringt mich schon ein großes Stück weiter.“ Beruflich brütet der Meeresbiologe aus Schleswig-Holstein über Fragen des internationalen Meeresschutzes, seine Auszeit vom Beruf gönnt er sich heuer zum zwölften Mal in Stift Göttweig. Unlängst, so erzählt er, musste sich seine Frau vergewissern, dass er auch wirklich nicht vorhabe, dem Orden dauerhaft beizutreten, so entspannt komme er jedes Mal nachhause.

Der Rhythmus der Ruhe

Immer mehr Menschen lassen den Alltag hinter sich, um für einige Tage ins Kloster einzukehren. Die meisten Orden haben sich schon länger Urlaubsgästen geöffnet. Viele Besucher drängt es aber, dem geistlichen Leben der Mönche und Nonnen nicht nur zuzuschauen, sondern es auch mitzuleben. Diese ziehen sich zu Exerzitien und Tagen der Stille zurück oder leben als „Mönch auf Zeit“ mit der Gemeinschaft mit. In Göttweig tanken jährlich etwa 1400 Besucher bei Exerzitien neue Kräfte. Für das Mitleben im Kloster auf Zeit entscheiden sich hier etwa 25 pro Jahr, in Stift Rein bei Graz sind es gar 100 und in Stift Heiligenkreuz musste die Schar der Interessierten auf maximal 150 eingeschränkt werden. „Die Nachfrage der Menschen, zum geistigen Auftanken ins Kloster zu gehen, ist steigend“, meint Pater Erhard Rauch, Generalsekretär der Superiorenkonferenz.

Wer im Klosteralltag zu Gott oder sich selbst finden will, muss zuerst vor allem früh aufstehen. Um 6 Uhr hallen in Göttweig die Psalmen von Vigil und Laudes durch die Klosterkapelle, eine Dreiviertelstunde feiern die Mönche die Konventmesse in der Krypta. Nach dem Mittagsgebet isst man gemeinsam. Dazwischen bleibt Zeit für kleinere Arbeiten, lesen oder Gespräche mit den Patres, bevor um 18 Uhr Vesper und Komplet auf dem Programm stehen. „Manche halten den strukturierten Tagesrhythmus nicht aus, für andere bedeutet er Freiheit“, meint Pater Justus. Freiheit bedeutet es für die meisten Klostergäste auch, endlich einmal nicht erreichbar sein zu müssen, erzählt man im Stift Rein. Der Internetanschluss werde von den Besuchern im ältesten bestehenden Zisterzienserkloster der Welt nur selten gebraucht, viele lassen bereitwillig ihr Handy zuhause. Das ruhige Leben spiegelt sich oft auch in der Abgeschiedenheit und Anhöhe vieler Ordenshäuser wider, für manche Gäste wirken die Sorgen des Alltags schnell wie aus einer anderen Welt, meint Pater Justus und erzählt von einem Manager, der die erste Nacht im Kloster seit Langem wieder durchschlief, da ihm keine Börsenkurse mehr durch den Kopf liefen.

Die Motivationen der „Mönche auf Zeit“ sind verschieden: viele kommen, um ihren Glauben zu vertiefen, andere um eine Lebenskrise zu meistern, wieder andere suchen nach Erholung und Zeit für sich selbst.

Psalmen gegen Burnout

Waren es früher viele junge Menschen, die zur Orientierungssuche ins Kloster einkehrten, kommen heute vorwiegend die 30- bis 40-Jährigen, die mitten im Beruf stehen, berichtet Priorin Maria Stella von der Zisterzienserinnen-abtei Mariastern in Vorarlberg. Diese haben verschiedenste Berufe, vom Zahntechniker, über Ärzte, Lehrer bis hin zum Lkw-Fahrer reicht die Gästeliste so manchen Klosters. Ein Trend weist indes immer mehr zu Managern, die sich in der Einkehr mit Psalmen und Chorälen vor dem Burnout bewahren. In Altenburg studieren Führungspersonen etwa in eigenen Kursen begeistert Regeln zum Umgang mit Mitarbeitern nach dem heiligen Benedikt.

„Wellness für den Geist“

Klösterliche Einkehr als Antwort auf die zunehmende Beschleunigung und Belastung der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts? So sieht es jedenfalls Pater Erhard Rauch: „Viele wollen einfach einmal auf die Bremse steigen, aber der anhaltende Wellness-Boom war lange nur darauf ausgerichtet, es sich körperlich gutgehen zu lassen. Nun wollen viele dieses Bedürfnis auch mit geistigem Wohlbefinden verbinden. Diese Leute sind oft nicht unbedingt auf der Suche nach Gott, aber jedenfalls nach sich selbst.“

Nicht nur regelmäßige Kirchenbesucher zieht es daher ins Kloster. So finden in Göttweig eigene Exerzitienkurse für Ausgetretene und Geschiedene statt und bei den Zisterzienserinnen von Mariastern treffen sich monatlich Suchtkranke zur Gebetsgruppe. Religiöse Bekehrung brauchen Besucher bei all dem Angebot nicht fürchten, wie auch Schwester Maria Luise von den Missionsschwestern in Wernberg betont: „Bei uns wird den Gästen sicher kein theologisches Gespräch aufgezwungen.“

Oft sind es kleine Impulse, die zurück im gewohnten Alltag große Wirkungen zeigen, wie etwa bei einem Motorradfahrer, der seit der Segnung seiner Maschine durch einen Pater täglich einen Teil des Stundengebets rezitiert. Viele Stammgäste planen ihre nächste Einkehr lange im Voraus. Dennoch ist meist Platz für Menschen, deren Bedürfnis nach Ruhe und Sinn besonders dringend ist: Kürzlich fragte ein Fahrschullehrer in Stift Rein nach einem freien Zimmer an, Auf die Frage, wann er anreisen möchte, meinte dieser, er säße bereits im Zug.

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