Werbung
Werbung
Werbung

Österliche Aufhellungen - fern jeder Religiosität - in Sabine Grubers neuestem Roman über Tod und Lebensmut.

Die Stimme, die da erzählt, verhandelt mit dem Tod: "Er ist überall, pfuscht ins Handwerk, hämmert, mißt. Ich bin eine seiner Baustellen. Um ihn zu beruhigen, gebe ich ihm Einblick in sein vollendetes Werk. Ich erzähle ihm von meinem Tod und überlebe ein wenig." Das Ich dieses Romans malt sich aus, wie denn das sein wird, auf seinem Begräbnis, mit den trauernden Hinterbliebenen, den Eltern, Frauen, Männern, ja auch Männern, denn die Erzählerin mag traurig sein, ein Kind der Traurigkeit ist sie nicht.

Die Schilderung des eigenen Leichenbegängnisses tritt nicht als Vision oder Alptraum auf, sondern als Bericht, in nüchternem Imperfekt, als gäbe es eine Warte, von der dieser Blick aus dem Sarg, dieses ungerührte Durchschauen der Trauergäste möglich wäre, als könne eine Autobiographie einfach über die letzte Wegmarke hinausgehen. Das Beerdigungsbulletin beginnt mit einem Wetterbericht, und die Frage nach dem Wetter, nach dem Spiel von Wolken und Sonne, ist es immer wieder, die die Kranke dazu bringt, sich ihres Lebendigseins zu vergewissern, auch zum Schluss, als sie in ein neues Stadium der Krankheit eintritt, das so etwas wie Normalität unwiderruflich ausschließt.

Zumutung Tod

Ganze sieben Jahre hat Sabine Gruber nach ihrem vielversprechenden Erstling "Aushäusige" auf ihren zweiten Roman warten lassen: Es ist ein wichtiges, ein gewichtiges, aber ohne Konduktschritt und Trauermusik daherkommendes Buch geworden. Es handelt davon, wie man angesichts der Zumutung, über den eigenen Tod Bescheid zu wissen - oder: Bescheid zu wissen zu glauben - den Lebensmut nicht verliert oder doch verliert und immer aufs neue wiederfindet. Die Enddreißigerin Marianne, Kunstjournalistin und Photographin in Wien, ist als chronisch Nierenkranke der Stachel im Fleisch einer notorisch oberflächlichen Szene-Gesellschaft. Sie spielt mit, so lange es geht: "Man sieht mir nichts an. Ich kann mit Schminke umgehen, und ich blühe täglich."

Sarkasmus als Schutz

Da ist der Literat Leo, Mariannes Ex, mit dem zusammen sie früh die ersten Anzeichen der Krankheit erlebt hat. Da ist Paul, der in Rom die Geschichte der italienischen Juden erforscht, die Fern-Liebe per Telephon und SMS. Und da ist der dicke Beppe, Dekorationsmaler und Rosenkavalier, den sie über ein bizarres Partymissgeschick näher kennenlernt. Die kleinen Tode, die Marianne zwischen sich und den Tod stellt, sind Lebenszeichen, doch die Distanz zu den anderen wächst. Dabei bewähren sich die Nahestehenden durchaus, sogar die egozentrische, männersüchtige Erna, sogar der parasitäre Schriftsteller Holztaler - die Kranke fährt ihnen dennoch mit dem Stellwagen ins Gesicht, pflegt Sarkasmus und Galgenhumor als Schutz gegen die äußerste Bedrohung, vor der jede Solidarität versagt. Das komplizierte Verhältnis zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung, den veränderten Umgang mit der Zeit, dem "angelebten Leben", beschreibt Gruber äußerst präzise.

Die Anspielungen auf personelle und faktische Realitäten des Kulturbetriebs verleihen der Geschichte eine gewisse Handfestigkeit. Vor allem aber ist es die scharfsichtige, gar nicht selbstmitleidige Haltung der Erzählerin, die dem Kammer- und Jammerton der Krankengeschichte keine Chance gibt.

Auch Freiheit

Die Unterjochung, das Gebrandmarktsein durch die Krankheit, etwa durch den Diätzwang, hat auch einen Aspekt der Freiheit. Die Frau, die da literweise Wasser trinkt, die schon als kleines Mädchen immer Durst hatte, sie leidet unter dem Mangel nicht nur, sie liebt das Element auch seit jeher. Dass Ikarus in Breughels Bild im Wasser versinkt, während rundum das Landleben seinen Gang geht, empfindet die Kunstkennerin freilich als bedrohlich. Die Alten Meister, heißt es im Motto des Buches aus einem Gedicht W. H. Audens, kannten sich beim Leiden aus: "how well they understood / Its human position; how it takes place / While someone else is eating or opening a window or just walking dully along". "Die Zumutung" ist Karwochenlektüre mit österlichen Aufhellungen - fern jeder Religiosität.

Postskriptum, weil ich mich zu gut an einen Vortrag erinnere, in dem die Südtirolerin Sabine Gruber den auf ein nördliches Zentrum fixierten deutschen Sprachgebrauch beklagt und die Peripherie zu mehr Widerborstigkeit ermuntert hat: "Januar" und "Aprikosenmarmelade" und eine langsam laufende (statt: gehende) Heldin nehme ich ihr übel.

Die Zumutung.

Roman von Sabine Gruber.

C. H. Beck Verlag, München 2003.

221 Seiten, geb., e 19,50.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung