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Mit seinem vierten Roman ist dem 28-jährigen Daniel Kehlmann eine intelligente Satire auf den Kulturbetrieb gelungen.

Der Journalist Sebastian Zöllner ist ein Ekel: inkompetent, aber umso mehr von sich überzeugt und zu jedem Opportunismus bereit. Und wenn er kann, macht er jemanden nieder: Mitreisende, Kellner oder wer ihm halt in die Quere kommt. Ihn lesend zu begleiten, ist eine Schule des angewandten Zynismus. Und auf jeden Fall ist es amüsant, denn Daniel Kehlmann hat einen ganz leichtfüßigen Roman geschrieben, spannend und unterhaltsam.

Das Ekel Sebastian Zöllner überlegt, wie er bekannt werden und einen guten Job als Kulturjournalist bekommen könnte. So wählt er sich den Maler Manuel Kaminski als Objekt einer Biografie. Das Kalkül: Kaminski war berühmt, ist mittlerweile vergessen und wird vorhersehbar bald sterben. Wenn das Buch rechtzeitig zum Tod erscheint, wird es ein Knüller - Vorabdrucke in Illustrierten und Fernsehauftritte sind gesichert.

Indiskret

Zöllner scheut vor keiner Indiskretion zurück, schleicht sich ins Haus ein, durchwühlt Dokumente und Atelier und ignoriert alle Versuche, den kranken, erblindeten Maler abzuschirmen. Denn er hat die große Jugendliebe des Meisters gefunden und will eine Begegnung der beiden nach Jahrzehnten arrangieren. Doch was wie eine Entführung Kaminskis beginnt, wird zu einer Reise an die Nordsee, bei der der alte Mann immer mehr die Regie übernimmt. Nicht nur in finanzieller Hinsicht gelingt es Kaminski, seinen unbedarften Biografen immer mehr über den Tisch zu ziehen. Und die Begegnung mit der Jugendfreundin wird zu einer trivialen Farce: Sie verwechselt Kaminskis Vornamen und lädt ihn ein, die Millionenshow im Fernsehen anzuschauen; dazwischen brabbelt ihr Lebensgefährte nervenden Unsinn - Zöllner lässt sein Tonband umsonst mitlaufen, nichts ist verwertbar.

Gewitzter Schelm

Kaminski, der Aufsicht von Tochter und Arzt entkommen, ist ein gewitzter Schelm, der seine Blindheit wahrscheinlich nur markiert und sich einen Spaß daraus macht, die Umwelt an der Nase herumzuführen. Und Zöllner, der trendige Siegertyp, steht am Ende ohne alles da: Er hat kein Geld mehr, aus der Biografie wird nichts, und die Freundin hat ihn auch vor die Tür gesetzt.

Mit dieser einfachen Geschichte ist Daniel Kehlmann eine intelligente Satire auf den Kulturbetrieb gelungen, die großen Unterhaltungswert besitzt. Gleichzeitig wird auch ein Menschentyp, der gegenwärtig Konjunktur hat, aufs Korn genommen: der flott auftretende und immer gewandte Konversation pflegende Karrieremensch, der in jeder Situation weiß, wer und was ihm nützt.

Eine Schwachstelle ist der Schluss des Buches: Es ist nicht ganz glaubwürdig, wie leicht sich Zöllner von seinem Projekt verabschiedet, die Manuskriptfetzen ins Meer wirft und keine Koffer zurücklässt. Aber in diesem hochironischen Roman ist ja vielleicht auch diese überraschende Wandlung eine raffiniert inszenierte Ironie.

Die Figur Kaminski wird jedenfalls so suggestiv imaginiert, dass man sich, wenn das Buch zu Ende ist, kaum mehr vorstellen kann, dass es ihn nie gab. Allerdings hat er ein reales Vorbild: den französischen Maler Balthus, der eigentlich Balthasar Klossowski hieß. "Ich und Kaminski" ist kein Gipfelpunkt deutschsprachiger Gegenwartsliteratur, von dem man noch nach Jahren sprechen wird. Daniel Kehlmann, der erst 28-jährige in München geborene und in Wien lebende Autor, hat sich in seinem nunmehr schon vierten Roman auch kein Jahrhundertthema vorgenommen und will kein Panorama einer Weltdeutung entwerfen. Gelungen ist ihm eine ebenso witzige wie packende Story, die in schneller Szenenfolge die Zudringlichkeit der allerorts wachen und medial geschürten biografischen Neugierde ad absurdum führt und auch die Widersprüche der Kunst- und Literaturkritik offenbar werden lässt.

Ad absurdum

Wer selbst in dieser Branche arbeitet, ist nach der Lektüre um einiges nachdenklicher. Und kann gleichzeitig - im Vergleich mit vielen anderen Autorinnen und Autoren - die faszinierende Sicherheit Kehlmanns sowohl in der Gesamtkonstruktion des Romans wie im Mikrobereich, vor allem in den knappen und oft verblüffenden Dialogen, würdigen.

ICH UND KAMINSKI

Roman von Daniel Kehlmann.

Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2003.

173 Seiten, geb., e 19,50

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