Angst vor der Ausweichroute

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Auf den Fernsehkanälen immer das gleiche Bild: K olonnen von Militärlastern bewegen sich dröhnen über die Autobahn. Gesichter von Soldaten ziehen vorbei. Man setzt die Helme auf, stellt die Schilder vor die Brust und rückt zusammen. Alles steht in Reih und Glied. Seit Wochen proben Bulgariens Polizei und Streitkräfte an der bulgarisch-mazedonischen Grenze die "Migranten-Abwehr". Das TV ist immer mit dabei.

Sehr oft, viel häufiger als früher, gibt der Verteidigungsminister Nikolaj Nentschev Statements vor den Medien ab -mal zu Bauplänen eines Nato-Drahts an der griechischen Grenze, mal zu dem neuen Militärflughafen Bezmer im Südosten Bulgariens. "Was die Flüchtlingskrise angeht, sollten wir auf alles gefasst sein. Ich persönlich bin sehr besorgt über das, was in Griechenland geschieht. Doch unsere Armee steht in voller Bereitschaft zur Verfügung der Grenzpolizei", sagt er.

Die Regierung in Sofia schürt Ängste, dass Migranten wegen der Schließung der Westbalkanroute nun massenweise nach Bulgarien ausweichen könnten, sagen Kritiker. Dabei ist sie nicht allein. Es gebe nun ein Potenzial von 1,1 Millionen Menschen, die sich auf den Weg Richtung Bulgarien machen könnten, erklärte auch die eben ausgewechselte österreichische Innenministerin Mikl-Leitner und warnte, dass hier ein "neuer Korridor" nach Mitteleuropa entstehen könnte.

"Ostbalkan-Route" unwahrscheinlich

Doch wie ist es wirklich?"Die Lage an den Grenzen hat sich nach dem EU-Türkei Deal entspannt", hält die Migrationsexpertin Iliana Savova vom Helsinki-Komitee in Sofia dagegen. "Vielleicht haben die Politiker in Österreich bessere Fernrohre als wir hier", scherzt sie. Wie sich die Flüchtlingssituation in Südosteuropa entwickelt, darüber kann man jedenfalls nur spekulieren. Doch bislang gibt es wenige illegale Grenzübertritte nach Bulgarien.

3160 Migranten -vor allem Iraker und Afghanen -suchten im Jänner und Februar Schutz, Tendenz rückläufig. Als Folge des Deals der EU mit der Türkei erfolgen auch Rückführungen von Bulgarien in die Türkei. "Vorerst greift die Vereinbarung", stellt auch der Sicherheitsexperte vom Zentrum für Demokratieforschung Tihomir Bezlov fest. "Seit dem Beginn der Flüchtlingskrise haben wir jetzt auch einen merklichen Rückgang der Schlepperfälle - vorige Woche waren es nur 68."

Selbst im Fall, dass ein Teil der über 50.000 in Griechenland festsitzenden Migranten den Weg nach Bulgarien suchen sollten, würde nur ein gesamteuropäischer Plan zur Umverteilung helfen, sagt Iliana Savova. Bulgarien selbst hätte nicht einmal für ein Zehntel dieser Menschen wirtschaftliche Kapazitäten.

Allerdings wäre der bulgarischen Regierung auch die geringste Zahl unerwünscht und das, obwohl nur 15 Prozent der Plätze in den Flüchtlingsheimen besetzt sind. Und sie ist damit nicht alleine. Schon die hypothetischen Pläne über Aufnahme von Flüchtlingen bringen sofort tausend Protestierer auf die Straße. Die Angst vor der angeblichen Millionenzahl ist längst in Bulgarien angekommen, sie ist auch ein wichtiger Baustein in der Politik.

Die Regierung plant eine Änderung des Ausländergesetzes, das unter anderem verschärfte Aufenthaltsbedingungen in Hot-Spots vorsieht. Die Idee, die Wehrpflicht wiedereinzuführen wurde in den Raum gestellt, auch wenn sie aus ökonomischen Gründen vorerst nicht realisierbar ist. Das Verteidigungsgesetz dagegen wurde geändert. Bei einem erhöhten Migrationsdruck können nun bewaffnete Streitkräfte die Grenzpolizei stärken.

"Mit der spektakulären Demonstration seines militärischen Potentials verfolgt Bulgarien zweierlei", erklärt Sicherheitsexperte Bezlov. Zum einen würde damit Griechenland die gelbe Karte gezeigt. Athens "mazedonisches Szenario" vom Sommer 2015, als tausende Migranten mit Bussen von den Inseln auf die grüne Grenze zu Mazedonien gebracht wurden, hätte mit Sofia keine Chancen, so Bezlov.

Während der Gipfel EU-Türkei in die entscheidende Runde ging, zogen sich starke Einheiten der Sicherheitskräfte Bulgariens und Mazedoniens in der Grenzortschaft Zlatarevo zu einer gemeinsamen Übung zusammen. "Nach der Flüchtlingswelle 2013 hat Sofia schon eine gewisse Erfahrung im Management solcher Krisen. Es würde, wenn es in Griechenland ernst wird, sofort Nato-Draht-Sperren errichten und die Migranten zurückführen, wie das EU-Recht in solchen Fällen vorsieht."

Ein paar Hindert aus Idomeni könnten kommen, doch sie abzuwehren, wäre für die bulgarischen Sicherheitsdienste ein Leichtes. Zum anderen sollte die Mobilmachung der Regierung den rechten Parteien in Bulgarien die Luft aus den Segeln nehmen, sagt Bezlov.

"Jene Politiker, die Angst schüren, machen das nur aus Parteiinteresse", kritisiert dagegen die Menschenrechtsexpertin Savova. "Sie versuchen, die Aufmerksamkeit davon abzulenken, dass sie an ihren Aufgaben gescheitert sind, nämlich den europäischen Bürgern das zu geben, was sie erwarten: Wohlstand und Sicherheit. Durch den militanten und xenophoben Kurs schafft die bulgarische, so wie die österreichische Politik, nur einen Nährboden für Faschismus."

Messerdraht und Polizistenfrust

Alles andere, nur nicht sicher, fühlen sich die Bulgaren, auch wenn von politischer Seite ständig getrommelt wird, die Landessicherheit habe Priorität. Im Vorjahr sind über 70 Millionen Euro in die Verschärfung der Grenzkontrollen geflossen und das Budget des Verteidigungsministeriums wird immer wieder aufgestockt.

Und trotzdem: Chaos, Missmanagement und Korruption prägen immer noch den Grenzschutz. Der berüchtigte Messerdraht zur Türkei ist noch nicht über die ganze Länge der grünen Grenze gespannt, weil das Geld fehlt. Deshalb und weil auch viele optische und elektronische Systeme an der fertigen Strecke nicht funktionieren, braucht Bulgarien verstärkte personelle Überwachung. Aus diesem Grund müssen viele Polizisten aushelfen.

Ihre Arbeitsbedingungen sind aber miserabel. Mehrmals gab es deshalb bereits Demonstrationen in Sofia. Das Problem: Aktive Bürger, die um die Sicherheit Bulgariens besorgt sind, nehmen immer häufiger den Schutz des Vaterlands als eigene Sache hin. Es entstehen die so genannten "Bürgerwehren", die gegen die Migranten gerichtet sind.

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