Angst vor der Größe ist eine jener chronischen Erkrankungen, an denen wir Österreicher und die Wiener im Besonderen leiden. Große Plätze werden verhüttelt, letzte unbebaute Flächen für fantasielose Hochhäuser verscherbelt, historische Gärten will man mit Bierinseln auflockern und große Vorhaben schon im Konzept verkleinern. Auch mit großen Häusern unserer großen Vergangenheit hat man seine Mühe. So soll etwa eine denkmalgeschützte Kassenhalle einer traditionsreichen Bank in einen Supermarkt umgewandelt werden. Und da wäre noch das Volkstheater mit 1900 Sitzplätzen, das man schon seit Jahren nicht mehr so richtig in den Griff bekommt. Jetzt ist wenigstens die dringend nötige Restaurierung gesichert, sonst ist vieles noch ungewiss. Da werden die Möglichkeiten eines Gastspielbetriebes und allerlei Formen von Verkleinerung in Erwägung gezogen. Gefragt wären attraktive, sinnliche Produktionen mit prominenter Besetzung und keine Scheu vor der Größe des Hauses. Warum aber zweifeln wir an diesem schönen Land? Wahrscheinlich, weil wir es lieben und darunter leiden, dass seine wahre Größe unterschätzt wird. Im kleinen Österreich scheint man sich dieser Größe zu wenig bewusst zu sein. Unser Staat hat sich nicht nur zu einem demokratischen, wirtschaftlichen Erfolgsmodell gemausert. Österreich ist viel mehr. Es ist eine Idee, ein Lebensgefühl, eine Haltung. "Es schafft sich", wie Hans Weigel erkannt hat, "aus der Negation, lebt in ihr und von ihr." Aus der Skepsis, aus der Wut auf das Mittelmaß, dem unfassbaren Leiden und Zweifeln an sich selbst, wächst das nicht greifbare, kaum formulierbare zerrissene Geniale, zu dem man in diesem Land noch immer fähig ist. "Österreich", hat Weigel oft erzählt, "gleicht der Gilda in Verdis ,Rigoletto', die erst ermordet, hierauf als Leiche in einen Sack gesteckt wird und sodann ihre schönsten Melodien zu singen anhebt." Größe ist eben gefährlich, wie Grillparzer so treffend formulierte.
Der Autor ist freier Journalist
