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Das 42. Berliner Theatertreffen als Spiegel der deutschen Bühnenlandschaft.

Zum Abschluss des zweiwöchigen Berliner Theaterfestes, das kein rauschendes war, sagten fünf junge Theaterleute aus fernen Ländern ihre Meinung. Das deutsche Theater sei "sehr formal, unemotional, ohne Handlung, trocken, langweilig, überintellektuell", so der 35-jährige Autor und Regisseur Juha Jokela aus Helsinki in der letzten Ausgabe der Festival-Zeitung. "Es gibt eine große Angst vor Gefühlen, davor, dass es kitschig und unintellektuell wird, wenn man sie zeigt. Aber ich kann oft besser nachdenken, wenn ich berührt bin." Und der isländische Kollege Thorleifur Örn Arnarsson klagte über das Frauenbild in den gesehenen Inszenierungen, die deutschen Regisseure würden den Frauen "immer dieses Schlampenimage" verpassen, immer gebe es nur die beiden Stereotype Madonna oder Hure. "Ich glaube", sagte der junge Mann aus Reykjavik schließlich, "die Jury wollte des schlechte Theater ausstellen. Das ist ein interessantes Experiment."

Interessant werden das die Mitglieder der Jury nicht finden, aber es hilft nichts, viel Unzufriedenheit mit der Auswahl der Stücke war zu hören. Dabei hatte man einige bekannte Regisseure wie Stefan Pucher, Johan Simons, Andrea Breth, Jossi Wieler, Michael Thalheimer, Andreas Kriegenburg und Jürgen Gosch eingeladen, eine Handvoll gut abgehangener Klassiker sowie zwei "Bearbeitungen" nach bekannten Romanen ausgewählt und auch mehrere grandiose Schauspielerinnen und Schauspieler waren zu Gast. Warum also die gedämpfte Stimmung? Vielleicht liegt es daran, dass vielen das Theater als Medium zur Bearbeitung gesellschaftlicher Phantasien immer weniger tauglich erscheint und daher so viele intime Kammerspiele, familiäre Mikrokosmen und triviale Liebesgeschichten favorisiert werden. Oder liegt es daran, dass es immer "insiderischer" zugeht, dass sich das Theater immer mehr auf sich selber bezieht?

Theater für Insider?

Wie kommt das Programm überhaupt zustande? Fünf Kritiker aus Deutschland, einer aus Österreich und einer aus der Schweiz wählen Jahr für Jahr die ihrer Meinung nach besten zehn Schauspiel-Aufführungen aus den drei Ländern aus. Wobei die Zusammensetzung der Jury sich natürlich alle paar Jahre ändert. Es muss ein mühsamer Entscheidungsprozess sein, wenn sieben Menschen aus mehr als 300 Inszenierungen, von denen jeder nur einen kleinen Teil gesehen hat, die top ten herausfiltern. Seriös? Repräsentativ? Persönliche Vorlieben?

Neun Aufführungen kamen in diesem Jahr aus Hamburg, Zürich, München, Wien und Berlin, dazu noch eine (übrigens völlig überflüssige) aus Hannover. Die gut dotierten Theater waren wieder einmal unter sich. Dabei würde der Auftritt einer kleineren Bühne eine Verschiebung des Blickes bewirken: Man müsste dann auch in Berlin darüber reden, wie es denen in Linz, St. Gallen oder Kaiserslautern geht, und das stünde diesem Festival, das ja kein Wettbewerb ist, gut an. Denkbar wäre auch, um keine unfairen Vergleichsbedingungen zu schaffen, verschiedene Reihen nebeneinander anzubieten, wie das bei Filmfestivals oder beim "young directors project" der Salzburger Festspiele der Fall ist.

Glanzpunkt Schauspieler

Die tatsächlichen Glanzpunkte des Theatertreffens waren nicht die Diskurs-Inszenierungen, bei denen das Gequatsche darüber das Theatererlebnis ersetzen soll, auch nicht das große Gefühlskino im Guckkasten oder die politischen Themen - es waren einige hervorragende Schauspieler. Ich denke da zuerst an Fritzi Haberlandt. Sie spielte in Wedekinds "Lulu" die Titelrolle, Regie führte Michael Thalheimer, das Gastspiel kam vom Thalia-Theater in Hamburg. Wie so oft in Thalheimers Inszenierungen stehen die Figuren anfangs allein auf der Bühne. Lulus Gesicht sehen wir zugleich auch auf einer hohen Videoleinwand, die den leeren Bühnenraum nach hinten schließt. Wir sollen sie schon mal kennen lernen, bevor die Geschichte los geht: Das bin ich, Lulu, ein einfaches Mädchen. Nichts von dem, was ihr von mir phantasiert, stimmt. Eure Gefühle sind falsch und ich habe schon lange keine mehr. Es hat mit mir nichts zu tun, was all diese lächerlichen Männer in ihrer sexuellen Gier und emotionalen Dummheit mit mir anstellen werden.

Der szenische Minimalismus Thalheimers stellt den dramaturgischen Kern des jeweiligen Stücks ins Zentrum. Und der lakonische Ton der Erzählung macht Schluss mit dem weitverbreiteten Jux- und Spaßgetue, in dem jede flache Ironisierung von Figuren und Handlung Lacher bringen soll und der billigste Probenscherz über Gedanke und Gefühl triumphiert.

Faszinierend auch Corinna Harfouch und Ulrich Mathes in Albees "Wer hat Angst vor Virginia Woolf", auch Alexander Scheer als "Othello". Und wenn der Schweizer Schauspieler André Jung Passagen aus Michel Houellebecqs Roman "Elementarteilchen" erzählt, dann vergisst man für einige Momente, dass es sich bei diesem Zürcher Theaterabend nur um eine kleine szenische Collage und bei dem ehemaligen Bestseller über die libidinöse Freizügigkeit der 68er-Generation, einsame Kindheiten, Sex, Krebs und Tod um erbärmlichen Yuppiekitsch handelt.

Österreich ist nicht dabei

In den letzten Tagen des Theatertreffens machte ein müder Scherz die Runde: Was haben der Eurovisions-Song-Contest in Kiew und das Theatertreffen gemeinsam? Die Antwort: Österreich ist nicht dabei. Im Gegensatz zum Schlager-Wettbewerb war Österreich zum Theatertreffen nach Berlin eingeladen. Aber die Burgtheater-Inszenierung von Schillers "Don Carlos" (Regie: Andrea Breth) konnte nicht auf Reisen gehen. Die Regisseurin, ihr Bühnenbildner Martin Zehetgruber und die Direktion des Burgtheaters fanden keine Lösung, die auch in deutschen Zeitungen gelobte Schiller-Aufführung für eine der vielen Berliner Bühnen zu adaptieren. Diese Absage hat viel Unverständnis ausgelöst, vom Wiener Größenwahn war die Rede, von der Arroganz eines Bühnenbildners, der doch im Stande sein müsste, eine Bühnenanpassung zu erfinden, wie das Kollegen ja auch tun mussten. Nicht nur einmal war zu lesen, die Regisseurin wolle sich an Berlin dafür "rächen", dass ihre "Emilia Galotti" - nach dem Erfolg in Wien - beim Theatertreffen 2003 durchgefallen ist. Allerdings ist das ein bemerkenswertes Phänomen.

Was ist Regietheater?

Ja und da war doch noch eine Diskussion. Die Regisseurin Andrea Breth hat in einem Interview erklärt: "Werktreue sagen meist Leute, die keine Ahnung haben, was in einem Text drinsteht. Die haben eine Vorstellung, wie etwas zu sein hat. Das ist alles. Es geht aber nur darum, was im Text steht... Man kann ein Werk getreulich inszenieren, und es kann bodenlos sein..." Breth antwortete damit dem deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler, der kurz vor Beginn des Berliner Theatertreffens auf einer der vielen Schiller-Feiern ausrief: "Ein ganzer Tell, ein ganzer Don Carlos, das ist doch was!" Köhler beklagte die Klassiker-Aktualisierungen durch das zeitgenössische Regietheater. Die Stücke der Klassiker müssten, so Köhler, durchaus nicht entstaubt werden, vielmehr sei es die Aufgabe der Theater, die großen Stücke des klassischen Repertoires "in ihrer Schönheit und Kraft, in ihrer Komplexität und ihrem Anspruch" ordentlich zu präsentieren.

Der deutsche Bundespräsident hatte nicht bedacht, dass er mit seinen Worten einen kleinen Streit über Werktreue auslöste. Christina Weiss, die "Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien" reagierte reflexartig und wollte dem "erhellenden, wahrnehmungs- und bewusstseinserweiterenden" Regietheater zur Seite springen. Aber sie sind schlicht unbrauchbar geworden, die Begriffe von "Regietheater" und "Werktreue", dem heutigen Theater wird man damit nicht gerecht.

Am letzten Abend aber wischte die Politik die Debatte über das heutige Theater vom Tisch, mit einem Schlag waren die dramatischen Künste recht unwichtig geworden. Vor dem "Deutschen Theater" jonglierte ein französischer Artist mit drei brennenden Fackeln, drinnen gab es Claudels "Mittagswende" zu sehen. In den Foyers aber hatten die Menschen nur noch ein Thema: die soeben angekündigten vorzeitigen Neuwahlen im Herbst 2005. Da hatte nun keiner mehr Angst vor all diesen gemischten Gefühlen.

Der Autor arbeitet am Kulturforum der Österreichischen Botschaft in Berlin und war bis 2002 Schauspieldirektor in Freiburg/Breisgau.

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