Angst vor Kulturhauptstadt

Werbung
Werbung
Werbung

Wer weiß noch, dass Patras 2006 europäische Kulturhauptstadt war? Am Ende des vergangenen Jahres wussten es jedenfalls gerade nur siebzehn Prozent der Griechen selbst. So wenig sich die Politiker in Patras einfallen ließen, um ihre Stadt als kulturelle Metropole zu präsentieren, so folgenreich machten sie sich an deren urbane Verschönerung. Damit die Stadt in Glanz und Pracht erstrahle, haben sie binnen weniger Wochen die Siedlungen geschleift, in denen die Roma lebten, und die auf diese Weise obdachlos Gewordenen unter dem Beifall der Bevölkerungsmehrheit aus der Stadt verjagt. Es half den Roma nichts, dass sie für ihre ärmlichen Behausungen in einzelnen Fällen sogar grundbücherlich verbrieftes Eigentumsrecht geltend machen konnten; und es half ihnen auch nichts, dass die Europäische Union Patras für solche Entrechtung einer Minderheit offiziell tadelte: Den Status der Kulturhauptstadt hat man Patras, das nur der hehren Kultur zuliebe einen Teil seiner Bevölkerung enteignet und vertrieben hat, trotzdem nicht aberkannt.

Was die griechischen Dilettanten von Patras zuwege bringen, daran werden auch unsere türkischen Experten nicht scheitern, denken sich die Politiker von Istanbul, die den Europäern in drei Jahren eine besonders schöne Kulturhauptstadt vorzeigen wollen. Und darum haben die Abrissarbeiten in Sulukule schon begonnen. In diesem im Schatten der historischen Stadtmauer gelegenen Viertel leben seit hunderten Jahren fast ausschließlich Roma, denen es übrigens im osmanischen Vielvölkerreich wesentlich besser erging als in den christlichen Staaten von damals. Jetzt aber sollen sie auch in Istanbul aus der Stadt gefegt werden. Ihre Hütten und Häuser werden niedergewalzt, und auf dem freien Gelände ist ein Disneyland geplant mit lauter historisierenden Kopien von Prachtbauten des ganzen Orients.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung