Angstpfeifen in Cancún

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Österreichs renommierter Klimaforscher über das Gipfeltreffen von Cancún, das entgegen öffentlicher Darstellung nicht als Fortschritt für die Maßnahmen gegen die Erderwärmung gesehen werden kann.

Es gehört zu einer der mir bis heute präsenten Erinnerungen aus der Volksschulzeit, dass ich einige Zeit lang Probleme hatte, beim Aufbruch in die Schule, so ohne Weiteres an dem dunkel gähnenden Abstieg in den Keller des Gründerzeit-Mietshauses vorbeizukommen, in dem wir damals wohnten. Der Grund war die Altwiener Sage vom Basiliskenhaus in der Schönlaterngasse - offenbar vermutete ich den Basilisken mit seinen glühenden Augen da unten im Keller. Und ich erinnere mich noch recht gut, dass eines der Hilfsmittel, an dieser Gefahrenstelle vorbeizukommen, das Pfeifen eines gängigen Liedchens von Freddy Quinn war.

Hinter der Applaus-Fassade

Was das mit der Weltklimakonferenz in Cancún zu tun hat, werden Sie sich fragen? Nun, ich hatte dieses Déja-vu aus meiner Kindheit am vergangenen Samstag, als ich die Bilder vom Abschluss dieser Großkonferenz sah, mit den Standing Ovations für die mexikanische Außenministerin und auch die ersten Kommentare hörte. Der erste Reflex der meisten Teilnehmer und Kommentatoren - der Bogen reichte da von Umweltministern über Journalisten bis hin zu Greenpeace - war in selten erlebter Einhelligkeit erleichtert und positiv. Mein erster Reflex war: "Pfeift da jemand, um sich nicht zu fürchten?" Oder, etwas intellektueller formuliert: Wird da mit Applaus zu überspielen versucht, dass im Grunde in Mexiko kaum etwas anderes herausgekommen ist als vor einem Jahr in Kopenhagen?

Man hatte die Klimakonferenz in Dänemark zur absolut letzten Chance hochstilisiert, die Menschheit von der drohenden Klimakatastrophe zu retten, dementsprechend groß war der Katzenjammer nach dem Nullergebnis. Ob die diesen Samstag vorgelegten unverbindlichen Absichtserklärungen etwas anderes sind? Weder damals noch heute gab es völkerrechtlich bindende Verträge, was noch vor einem Jahr als ein unbedingtes Muss hingestellt worden war.

Oder bin ich da zu streng? Ist es nicht schön, dass beispielsweise die Vertragsstaaten des 2012 auslaufenden Kyoto-Protokolls damit einverstanden sind, dass es wieder zu keiner bindenden Einbeziehung wesentlicher "developed countries", wie die USA, und auch zu keiner der "developing countries" wie China gekommen ist - und dass die Partner des Abkommens das nicht zum Anlass nehmen, wie vorher von Japan angedroht, deshalb selbst keine weiteren derartigen bindenden Verpflichtungen zur Treibhausgasreduktion einzugehen.

Nun, vertraglich bindende Verpflichtungen sind sie auch nicht eingegangen. Aber vielleicht ist das gut so, denn es eröffnet die Chance, dass es vielleicht doch zu einem derartigen Nachfolgevertrag unter Einschluss aller Staaten kommen kann. Als gedankliche Arbeitshypothese habe ich mir bis auf Weiteres zurechtgelegt: "Eindämmung des anthropogenen Klimawandels nur global." Und auf diesem Gebiet ist auch die Konferenz in Mexiko gescheitert. Ich leite daraus allerdings keine fundamentale Schuldzuweisung ab. Für mich ist der Anspruch, zum Klimaschutz alle Staaten der Erde "ins Boot zu holen", unter den gegebenen Voraussetzungen der unglaublich starken Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten zwischen den Erst-, Zweit- und Drittweltstaaten, wahrscheinlich unlösbar.

Ist nun die Situation bei der Eindämmung der globalen Treibhausgas-Emissionen tatsächlich so verfahren und haben die Delegierten vergangenen Samstag zurecht mit ihrem tosenden Schlussapplaus "im Dunkeln gepfiffen", um sich Mut zu machen? Die eher hilflos wirkenden Absichtserklärungen, "den globalen Temperaturanstieg auf +2 °C zu begrenzen" oder "im Jahr 2020 (!) einen 100-Milliarden-Dollar-Fonds zu errichten", der Klima-Aktionen in Entwicklungsländern unterstützen soll, deuten in diese Richtung.

Die Wissenschaft ist gefordert

Um nicht nur negative Stimmung zu verbreiten, hat der Klimatologe in mir zum Schluss auch von einer sehr sinnvollen Maßnahme zu berichten: Ich habe in den Cancún-Dokumenten Absichtserklärungen gefunden, die die Unterstützung der Industriestaaten zum Thema haben, die Entwicklungsländer bei Anpassungsmaßnahmen an Folgen durch die zu erwartende weitere globale Erwärmung erfahren sollen. Dem kann ich nur zustimmen. Es wird ein starkes und rationales Engagement der Wissenschaft erfordern. Im Unterschied zur oben zitierten "Eindämmung nur global", manifestieren sich Klimafolgen regional bis lokal. Auch hier ist noch viel zu tun, um seitens der Wissenschaft die rationale Grundlage zu liefern, für einen fairen Ausgleich zwischen entwickelten und sich erst entwickelnden Volkswirtschaften. Die Mittel sind nicht unbegrenzt, es ist zu hoffen, dass auf diesem Gebiet die Politik auf künftigen Weltklimakonferenzen erfolgreich sein kann.

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