Ankunft einer Verschollenen

Werbung
Werbung
Werbung

Rossinis "Reise nach Reims" am Linzer Landestheater.

Das Linzer Landestheater fährt mit seinen musikalischen Neuproduktionen für die Spielzeit 2001/2002 auf besonders hohem Kurs. Nach der sensationellen "West Side Story" bereichert seit Samstag eine kostbare Rarität aus der Feder Gioacchino Rossinis den Opernspielplan des Hauses: "Die Reise nach Reims" (in der deutschen Fassung von Claus H. Henneberg), mehr als einhundert Jahre lang verschollen und dank der Rossini-Forschung vor 17 Jahren der Bühne wieder zugänglich gemacht. 1984 feierte Pesaro beim Rossini-Festival die Wiedergeburt eines Meisterwerkes, Claudio Abbado hat es 1988 auch für die Wiener Staatsoper entdeckt. Kein Wunder also, dass die "Reise" nun erstmals nach Linz ging wo bislang bloß die zum "Grafen Ory" mutierte Version der Oper aus einer Aufführung im Jahre 1991 bekannt gewesen sein dürfte.

Rossini hat die drittletzte seiner insgesamt 37 Opern für seinen Pariser Einstand als 1. Königlicher Komponist 1823 geschrieben und für die Uraufführung in Frankreich 1825 gleich mit einem passenden Thema zur Krönung Charles' X. versehen: Eine ehrenwerte Gesellschaft aus mehreren Nationen hat im Badehotel "Zur goldenen Lilie" Logis genommen und will unbedingt in die Krönungsstadt Reims reisen, allein eine gebrochene Kutsche zwingt zu einer Verschiebung der Fahrt, sodass allen Passagieren "ein Schlag durch die Glieder fährt". Dieser ist genial in Ton gesetzt in Form eines vierzehnstimmigen "Gran pezzo concertato" als Höhepunkt der von bravouröser, perlender Arienkoloratur überschäumenden Musik, die in ihren gemixten Stilelementen - typisch für den späten Rossini - überaus geistvoll verarbeitet ist.

Die Musik ist auch der ganze Reiz des Werkes und inspirierte wohl Robert Tannenbaum (Regie) und Peter Werner (Bühne) zu einer entzückend-märchenhaft, romantisierenden und doch niemals kitschigen Umsetzung, wobei das sich an einem einzigen Tag abspielende Geschehen in die Zeit um die Jahrhundertwende verlegt wurde. Der detailverliebten und opulenten Ausstattung entsprechen auch Ute Frühlings Kostüme.

Zwei sehr gute Tenöre und drei Primadonnen allein würden bei allem Umfang der Besetzung die Aufführbarkeit des Werkes von jedem Problem befreien.

Linz hatte jedoch noch viel mehr als sängerische Qualität aufzubieten, nämlich durchwegs hervorragende Sängerschauspieler, 15 an der Zahl, die allesamt gleich beschlagen in der Charakterisierungskunst und Situationskomik einen launig-amüsanten Abend bescheren: Arantxa Armentia als Corinna, Christa Ratzenböck als Marquise Melibea, Cheryl Lichter als Madame de Folleville, Ruth Borman als Madame Cortese, Lars Lettner als Chevalier Belfiore, Eric Laporte als Graf Libenskof, Carsten Wittmoser als Lord Sidney, Franz Binder als Don Profondo, William Mason als Baron von Trombonok, Daniel Ohlenschläger als Don Alvaro, Leopold Köppl als Don Prudenzio, Hans-Günter Müller als Don Luigino, Karin Behne als Maddalena, Daniella Böhm als Modestina und Doris Daskalov als Antonio. Sie alle sind auf ihrer Reise nach Linz gut angekommen in sicherer Begleitung durch den Chor des Landestheaters, für dessen Einstudierung Georg Leopold am Schluss verdiente Ovationen entgegennehmen durfte, und durch das Bruckner Orchester, das Jochen Hochstenbach trotz akustischer Unzulänglichkeiten des Hauses zu einem dynamisch äußerst delikaten Musizieren erst gar nicht animieren musste, weil den Musikern der Spaß am Klang förmlich aus dem Gemüt sprühte.

Zusätzlichen Applaus erhielt der der Aktualität zuliebe eingebaute Regiegag, das hymnische Festfinale, bei dem jeder Reisegast ein Lied seiner Heimat anzustimmen hat, in eine gemeinsame Ode auf Europa münden zu lassen.

Rossini hatte seinen geistreichen Einakter nach nur wenigen Vorstellungen einst aus unbekannten Gründen abgesetzt. Zum Glück haben ihn uns wertvolle Rekonstruktionen wiedergeschenkt, die bis heute noch fortgesetzt werden. Und wie man erfährt, handelt es sich bei der Weitersuche nach angeblich fehlenden Teilen um einen Chorsatz aus dem Finale der Oper und um zwei Rezitative, die von Rossini nachkomponiert wurden. Die Beharrlichkeit wird sich auszahlen und dem relativ selten auf den Spielplänen auftauchenden Werk vielleicht doch zum Ansehen einer gängigen Repertoireoper verhelfen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung