Anmut jenseits Gängiger Norm

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Mit fünf Burlesque-Tänzerinnen verblasster Schönheit tingelt Mathieu Amalric an Frankreichs Atlantikküste umher: Für seine dritte Regie-Arbeit "Tournée“ errang der Franzose 2010 in Cannes die Regie-Palme.

Das Publikum kennt ihn als Bösewicht im James-Bond-Film "Ein Quantum Trost“, oder als Ganzkörpergelähmten in "Schmetterling und Taucherglocke“. Mindestens so begabt ist Mathieu Amalric aber als Regisseur: Für "Tournée“, bekam er in Cannes 2010 den Regiepreis.

Die Furche: Wo lag der Ursprung für "Tournée“, womit hat dieses Projekt begonnen?

Mathieu Amalric: Alles begann mit der großen Colette: Sie war eine sehr selbstbewusste Frau, eine wunderbare Schriftstellerin, und eine sehr berühmte Varieté-Künstlerin. Ich wollte ihr immer schon Tribut zollen. Ein weiterer großer Einfluss war für mich das US-Kino der 70er-Jahre, mit dieser unmittelbaren Bildsprache. Und dann habe ich die New Burlesque entdeckt und einige Künstlerinnen getroffen, die es sich auf die Fahnen geschrieben haben, das Varieté des frühen 20. Jahrhunderts wiederzubeleben. Colette hätte da bestimmt auch mitgemacht!

Die Furche: Das klingt nach einem der Vergangenheit verhafteten Film, aber "Tournée“ ist nicht so.

Amalric: Nein, es ist kein Film über Nostalgie. Denn es ist nicht wahr, dass die Dinge früher immer besser waren, ich hasse diese Einstellung. Ich bin mir sicher, dass die Kids heute auch wieder spannende Dinge erfinden, das ist anders gar nicht möglich. Die haben ihre eigene Sprache, die wir nicht verstehen. Und auch die Künstlerinnen, die in "Tournée“ vorkommen, haben einen Weg gefunden, das gewöhnliche Leben in etwas Besonderes zu verwandeln, in eine Sehnsuchtswelt - obwohl wir zugleich auch spüren, dass sie es im Leben nicht immer leicht hatten.

Die Furche: Was ist also der Kern?

Amalric: "Tournée“ ist ein Film über sehr heutige Phänomene: Ob man in Schanghai, in Athen oder in Cannes ist, in jedem Hotel hat man dieselben Zimmer, alles ist exakt gleich. Und so, wie die Menschen in "Tournée“ reisen, ist keine Zeit, die Städte kennen zu lernen, alles bleibt an der Oberfläche. Der Film handelt eben davon, dass heute überall alles gleich ist, alle Körper müssen perfekt sein. Aber wenn sich der Körper nicht von diesen Normen befreit, hat man auch keinen freien Geist! Deswegen haben mich diese Frauen so angezogen, weil sie durch ihre Kunst politisch sind, ohne tatsächlich über Politik zu sprechen.

Die Furche: Wie haben Sie die fünf entdeckt?

Amalric: Durch Zufall. Es gibt in den USA die lose Vereinigung von Varieté-Künstlerinnen in den Staaten "New Burlesque“. Ich habe ein paar Shows gesehen war hingerissen von ihrem Humor, ihrer Ausstrahlung und ihrem Mut, so aufzutreten, wie sie sind, nämlich keine perfekten Schönheiten nach der gängigen Norm, dafür aber unendlich sexy. Ich finde, es sagt eine Menge über die Krankheit unserer heutigen Gesellschaft aus, dass von uns allen erwartet wird, perfekte Körper zu haben. In den Magazinen sehen die Frauen sogenannte Vorbilder, die erst im Photoshop entstanden sind. Und diese Magazine werden von Frauen gemacht! Es sind nicht einmal die Männer, die das verlogene Frauenbild verkaufen.

Die Furche: Dabei entspricht die berühmteste Vertreterin des Burlesque-Revivals, Dita von Teese, durchaus dieser Norm.

Amalric: Ich weiß, ich weiß! Das Phänomen Burlesque ist tot, die Industrie hat es längst vereinnahmt. Las-Vegas-Tänzerinnen, die vom Schönheitschirurgen zurechtgeschnitten worden sind, nennen sich "Burlesque“. Es ist ja keine Kunst, nackt zu sein, wenn man aussieht wie Dita von Teese.

Die Furche: Wie war es für Sie, Teil der Maschinerie für den Bond-Film "Ein Quantum Trost“ zu sein?

Amalric: Oh, ich fühlte mich wie Aschenputtel, das dort nicht hingehört. Ich bin der netteste Mensch auf Erden, und die wollten, dass ich einen Bösewicht spiele! Aber ich konnte da einiges für "Tournée“ lernen. Denn da gibt es ja diese Schlägerei, in der ich zu Boden falle - dafür konnten wir uns keine Stuntmänner leisten. Dank James Bond weiß ich aber, wie ich fallen muss, ohne mich dabei zu verletzen.

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