Anschluss von Kunst an die Wirklichkeit

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Schöne Verse in Höchstgeschwindigkeit liefert Martin Laberenz' Inszenierung von "Torquato Tasso" am Burgtheater und lässt dabei einen Bezug zur Gegenwart nur erahnen. Anders hingegen am Volkstheater, wo Yael Ronen mit "Niemandsland" reüssiert.

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Schöne Verse in Höchstgeschwindigkeit liefert Martin Laberenz' Inszenierung von "Torquato Tasso" am Burgtheater und lässt dabei einen Bezug zur Gegenwart nur erahnen. Anders hingegen am Volkstheater, wo Yael Ronen mit "Niemandsland" reüssiert.

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Als eine Art Motto hat das Burgtheater am Cover seines Programmheftes zur aktuellen Spielzeit eine Zeile aus Goethes "Torquato Tasso" vorangestellt, die da lautet: "Ja, es umgibt uns eine neue Welt!" Kaum jemand dürfte dieser Einschätzung angesichts von Kriegselend, Armut Flüchtlingsströmen und Terror widersprechen wollen. Nach dem furiosen "Coriolan" durfte man nun gespannt sein, wie Regisseur Martin Laberenz die zweite neue Inszenierung am Burgtheater, das besagte mottostiftende Künstlerdrama von Johann Wolfgang von Goethe, in dieses Gegenwartsgefühl einsenken würde.

Um es gleich vorweg zu nehmen, eigentlich gar nicht. Entschuldigend kann man sagen, dass das kein leichtes Unterfangen wäre. Denn es geht in dem handlungsarmen Stück um die Unvereinbarkeit von handlungspragmatischem Leben und poetischer Existenz oder anders ausgedrückt, um den Konflikt zwischen künstlerischem Individuum und Gesellschaft sowie der Spannung zwischen kulturellem und instrumentellem Wissen. Verkörpert werden die unvereinbaren Prinzipien von Tasso, dem empfindsamen, weltabgewandten Dichter, der bei Philipp Hauß kein zweifelnder, zerquälter und unter seiner Verstümmelung durch die gesellschaftliche Abhängigkeit leidender Künstler ist, sondern einer, der fest davon überzeugt ist, ohne äußere Rücksichtnahmen und Interessen nur nach dem Motto leben zu können: "Erlaubt ist, was gefällt". Aus dieser ziemlich selbstsicheren Ich-AG sprudeln die Argumente in schönen Versen und in Höchstgeschwindigkeit heraus. Ihm gegenüber steht der Amtsmensch Antonio (Ole Lagerpusch), der Tasso beneidet und ihm stets die Nutzlosigkeit seiner Kunst vorhält.

Die Bühne als einziger Referenzrahmen

Laberenz' Bearbeitung zielt ganz auf die Spiegelung der beiden Antagonisten ab, bis hin zur Verwechslung bzw. Austauschbarkeit, wobei - und das kann man ihm vorwerfen -er keine Position bezieht. Einzig die etwas merkwürdige Bühne von Volker Hintermeier könnte Aufschluss über einen Referenten in der Wirklichkeit geben. Sie gleicht einem Skulpturenpark, zugestellt mit Objekten, die an die Minimal Art erinnern: Leuchtstoffstelen im Stil von Dan Flavin, angeschnittene Stahlröhren von Richard Serra, Holzkuben von Carl Andre oder geometrische Stahlrahmen von Donald Judd. Abgesehen davon, dass Laberenz dieser Bühne merkwürdige Spielzonen abgewinnt - wobei die Bühne eher an einen Kinderspielplatz für Bobo-Eltern erinnert - drängen sich die Objekte als alleiniger Referenzrahmen für eine Deutung auf. Minimal Art hat sich Mitte der 1960er Jahre als solche im Zuge einer kritischen Zurückweisung verbindlicher, gleichsam normativer Qualitätsmerkmale entwickelt. In einer breit geführten Kunstdiskussion wurden die Verhältnisse von Werk und Betrachter, Material und Form, Teil und Ganzem, Kunst und Gesellschaft einer Redefinition unterzogen. Wer will, kann hier eine Verbindung zum Widerstreit finden, der auch im "Torquato Tasso" verhandelt wird.

Weit mehr Anschluss an die Wirklichkeit hat da wenig überraschend das neue Stück, das die israelisch-österreichische Regisseurin Yael Ronen mit ihrem Ensemble für das Wiener Volkstheater entwickelt hat. Ronen gilt seit längerem als Garantin für welthaltiges Theater. Unermüdlich ist ihr Blick auf die kriegsversehrte Welt gerichtet, auf Völkermord, Vertreibung, interkulturelle Ehen über politische Gräben hinweg, wobei ihr Interesse vor allem der Frage gilt, wie politische Konflikte als Traumata und verdrängte Erinnerung als Lebenslüge jeweils auf das Private durchschlagen. Auch in Niemandsland verwebt sie unterschiedliche Lebensgeschichten aus der migrantischen Lebenswelt miteinander. Da ist etwa die Politaktivistin Lejla, die als Kleinkind mit ihrer Mutter vor dem Krieg in Bosnien nach Österreich geflohen ist, wo sie sich als Kammerjägerin ein bescheidenes Auskommen sichert. In einer beklemmenden stummen Szene erfahren wir, dass Lejla in den systematischen Vergewaltigungen der serbischen Armee gezeugt worden ist. Ihr Einsatz für politische Ideale bringt sie nach Ramallah, wo sie dem Palästinenser Osama hilft, ein Visum für Österreich zu bekommen, damit er dort mit seiner israelischen Frau Jasmin zusammenleben kann.

Diese Geschichte ist, wie oft bei Ronen, die authentische Geschichte ihrer Darsteller, die im Stück ihre eigenen Namen tragen. Schonungslos nimmt die Regisseurin auch solche in den Blick, die vom Krieg "profitieren": ein Kriegsreporter, ein NGO-Vertreter, ein Universitätsdozent. Ohne sie zu denunzieren, zeigt Ronen, wie sie Nutzen aus dem Krieg ziehen, weil er ihnen eine Karriere, einen Lebensunterhalt, einen Lebenssinn gibt. Dabei wird die Ohnmacht des Einzelnen angesichts des Elends der Welt nur noch augenfälliger.

Torquato Tasso

Burgtheater, 30. Sept, 2., 6., 8. Okt.

Niemandsland

Volkstheater, 4., 12., 27. Okt.

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