Anschwellender Klagegesang

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Franz Firlinger, so heißt der Titelheld im letzten Stück des im Vorjahr mit nur 49 Jahren schwerkrank aus dem Leben geschiedenen niederösterreichischen Autors Norbert Silberbauer. Firlinger hat ein frommes Leben geführt und wartet nun, worauf ein gläubiger Christ, wenn seine Stunde gekommen ist, Anspruch zu haben meint: auf den Einlass ins Paradies, die Auferstehung. "Ich bin tot und es geht mir hervorragend. Gleich werde ich Gott begegnen", sagt er gleich zu Beginn des Stückes.

Der Satz klingt voller Vorfreude und Zuversicht, denn schließlich hat er 40 Jahre seines Lebens Gott gewidmet und ist auch sonst (beinahe) ohne Sünde geblieben. Doch Gott lässt noch etwas auf sich warten. Die Minuten, da er gleich vor Gott knien wird, verbringt der Wartende in diesem durchaus irdischen Wartesaal, wo nur die Uhren ohne Zeiger an die Zeitlosigkeit des Ortes erinnern (Bühne Lothar Hüttling), damit, noch schnell einen Rosenkranz zu beten, nur so zur Sicherheit, man kann ja nie wissen, oder aber über sein Leben zu räsonieren. Und je länger Gott ihn warten lässt, desto stärker gerät die anfängliche Zuversicht ins Wanken. Was Martin Zauner als tragikomischer Firlinger in den folgenden kurzweiligen sechzig Minuten zeigt, könnte man mit Siegfried Kracauer beschreiben als Akt, wie ein "Ich sich losreißt von seiner Gebundenheit an Gott". In der Regie von Elke Schwab zeigt Zauner in einem furiosen Solo, wie die anfängliche Freude der Verzweiflung und Verbitterung über das ungelebte Leben weicht, wie Gottesfurcht in Anklage umschlägt.

Zauner lässt Firlingers Leben nicht ohne Wehmut, Ironie und Sarkasmus Revue passieren, das aber unter dem Eindruck des stummen, abwesenden Gottes zunehmend in anderem Licht erscheint. So wird das fromme Leben etwa auf einmal den beschränkten Möglichkeiten in dem 300-Seelendorf zugeschrieben. Und überhaupt, was würde aus ihm geworden sein, hätte er seine Pubertät nicht im Schoß der Kirche erleben müssen und wäre er nicht in die katholische Sackgasse geraten?

Er wäre vor allem nicht allein geblieben, hätte die Auferstehung des Fleisches in einem ganz anderen Sinne schon erleben dürfen, und er wäre wahrscheinlich Fußballer geworden und würde vermutlich sogar noch leben. Denn es war schließlich Gottes steinerner Engel, der in der Kirche vom Sockel fiel und ihn beim Beten aus dem irdischen Jammertal holte. Und so hat ihn das gottesfürchtige Leben gleich doppelt ums Leben gebracht. Aber - so gibt sich Firlinger am Ende des Stückes reuig - wäre er nicht tot und könnte noch einmal beginnen, so ginge er hin und sündigte und freute sich! Nun aber ist es zu spät, so bleibt ihm allein die Klage: "Also muss ich ewig warten? Mein Gott, warum hast du mich verlassen?"

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