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Spricht man von amerikanischer Literatur, fallen bald Begriffe wie "Welthaltigkeit", "dicke Schmöker" und "durch Creative Writing Courses geschulte Erfolgsautoren".

Bei aller nötigen Skepsis gegenüber Writing Courses und trotz aller nötigen Warnung vor einer möglichen Uniformierung der Schreibkultur durch solche Kurse muss man die Erzählkunst einiger US-amerikanischer Autorinnen und Autoren doch neidlos anerkennen. Die Fähigkeit zu erzählen, in diesem Fall: erklärend zu erzählen, fällt übrigens auch im Wissenschaftsbetrieb auf. Legt man die wunderbar zu lesende Einführung in die Literaturtheorie von Jonathan Culler neben deutschsprachige Werke, die sich der Literaturtheorie widmen, dann weiß man, warum manchen Germanistikstudierenden rasch die Lust auf Theorie vergeht. Doch das ist hier nicht das Thema - oder vielleicht doch. Denn auch in diesem Frühjahr sind einige Bücher erschienen, die Lust aufs Lesen machen, nicht zuletzt durch ihre Erzählkunst.

Paranoia der USA

Der Forderung, die Literatur möge welthaltig sein und sich gefälligst mit der Welt, der sie entsprießt, auseinandersetzen (als Schimpf- und Gegenwort dient gerne das Experimentelle oder die Avantgarde), dieser Forderung wird in diesem Frühjahr wohl kein Werk so sehr gerecht wie Dave Eggers Buch "Zeitoun", das man als dokumentarischen Roman oder als literarische Reportage bezeichnen kann.

Dave Eggers bleibt in seinem Buch nahe an den Fakten, baut den Stoff aber auf und aus: Man spürt das Unheil leise kommen. Zum Gruseln ist die Geschichte allemal, die Fakten alleine genügen. Eggers braucht weder eine besondere literarische Kunstfertigkeit noch moralisierende Attacken gegen Amerika, wenn er vom Leben des syrischen Einwanderers Abdulrahman Zeitoun erzählt, einem gläubigen Moslem, überzeugten Amerikaner und vierfachen Vater, der nach der Verwüstung New Orleans durch den Hurrikan Katrina unschuldig und ohne Anklage und Begründung festgenommen und in ein Hochsicherheitsgefängnis gebracht wurde.

Als das Buch nach dreijähriger Recherche 2009 in den USA erschien, lasen die Amerikaner staunend und entsetzt, dass in New Orleans wohl schon am Tag nach der Verwüstung durch Katrina damit begonnen wurde, Käfige für Menschen zu errichten. Statt die Kräfte bei der Bergung der vielen Obdachlosen einzusetzen, wurde ein Gefängnis gebaut, in dem dann Unschuldige wie Herr Zeitoun landeten. Beispielhaft und beklemmend erzählt sein Schicksal die Paranoia unter Bush und ihre entsetzlichen Folgen.

Virtuelle Wirklichkeit

Dient bei Eggers die Erzählung der Aufbereitung und Vermittlung der Fakten, so hat sie im jüngsten Roman von Jonathan Lethem auch die Funktion, gerade der Faktengläubigkeit den Boden unter den Füßen wegzureißen. Dabei zeigt sich ein gewisses Paradox. Denn so sehr Lethems Roman "Chronic City" die Wirklichkeit infrage stellt bzw. die Unterscheidbarkeit von Wirklichkeit und Virtualität, so sehr Manhattan verfremdet scheint bzw. wie eine Stadt in einem Second-Life-Spiel, so sehr die Simulacrum-Theorien von Baudrillard grüßen lassen, so sehr erzählt Lethem gerade dadurch von jenem Amerika, wie wir es kennen oder zu kennen glauben. In dieser Geschichte eines Ich-Erzählers werden Pausen und Schluckauf bedeutungsvoll und Ungeheuerlichkeiten nach und nach wie in einer Truman Show sichtbar: die Verschwörung des Geldes, die meist unsichtbaren Machtkanäle. Aber auch soziale Fragen stellen sich ein, wenn etwa Obdachlose in einem Heim für Hunde unterschlupfen müssen, weil die Häuser, in denen sie gewohnt haben, abgerissen werden.

Insteadman heißt der wenig glaubwürdige Ich-Erzähler, der bereits im ersten Satz verrät, dass er dazu neigt, einiges durcheinanderzubringen. Ein Anstattmann ist er also, und die Frau, der er verfällt, ist eine Ghostwriterin, also eine, von der man gar nicht wissen soll, dass es sie gibt. Und was hat es mit dem Tiger auf sich, der angeblich schon Teile Manhattans beschädigt und zum Einsturz gebracht hat, interessanterweise gerade jene, die von der Stadtverwaltung neu bebaut werden sollen: Was für eine Metapher rumort sich da durch den Text? Weil Original und Fälschung Themen des Romans sind, liegt es auf der postmodernen Hand, dass Lethem mit Freuden Quellen anzapft, von denen er in einem Dankeswort am Ende einige erwähnt, darunter Saul Bellow, dann aber "alles andere an alle anderen für immer und ewig, Amen."

Bei aller Kunstfertigkeit des Autors, der dem verstorbenen David Foster Wallace auf den Lehrstuhl (für Creative Writing!) gefolgt ist (Lethem hat ihm in diesem Roman auch ein Denkmal gesetzt): Es überzeugen in dieser Saison aber weniger die Romanschmöker, und seien sie noch so fantasievoll und intelligent. Es sind eher die schmalen Erzählungen, die nachhaltig wirken. Da ist einerseits Tobias Wolff, dessen Erzählsammlung "Unsere Geschichte beginnt" im Deutschen entschlackt herausgegeben wurde. Leider wird weder angegeben, wann die Erzählungen im Einzelnen erschienen sind, noch, welche Erzählungen aus der amerikanischen Ausgabe für die deutsche weggelassen wurden. Clemens Setz hat Wolff jedenfalls in seiner Rezension bescheinigt, dass er im Bereich der erzählenden Prosa vielleicht der größte Experte für die Kunst des Lügens sei.

Mikrostrukturen

Da ist andererseits Joyce Carol Oates, die die Literaturwelt schon mit umfangreichen Romanen beglückt hat. In ihren Erzählungen erweist sich ihre Stärke besonders. Auf den ersten Blick sind ihre Texte keine gesellschaftskritischen Kommentare zum Amerika der Gegenwart, sie enthalten sich konkreter politischer Anspielungen. Dass sie dennoch als "amerikanische Chronik" gelesen werden können, wie der Untertitel der nun auf Deutsch herausgegebenen Erzählsammlung "Die Lästigen" suggeriert, liegt daran, dass Oates Mikrostrukturen aufdeckt.

Der Blick der Autorin gilt Paarbeziehungen, aber auch in Eltern-Kind-Beziehungen werden Abgründe sichtbar, Nachtseiten der amerikanischen Gesellschaft, Verdrängtes, das zur Gewalt drängt. Bereits 1972 schrieb Oates in "The Edge of Impossibility: Tragic Forms in Literature" über den Zusammenhang von Kunst, Tod und Gewalt.

Ein Leben entblößt sich, während eine Frau nackt nach Hause läuft. Sie sucht, aus Sorge, sich -und das heißt für sie: ihren Mann -bloßzustellen, nach einem Überfall keine Hilfe, damit niemand sie so sieht. Auf diesem Lauf entblößt sich aber auch ihre Ehe. In einer anderen Erzählung ist es ein dahergelaufener Hund, der in das Innere einer jungen Ehe späht. Natur, Himmel und Atmosphären verweisen auf das, was nicht sichtbar ist, weil es unterdrückt wird. Die Texte kann man auch insofern als Gesellschaftskaleidoskop lesen, als Oates Gestrandete sprechen lässt und die Wirkmächtigkeit

gesellschaftlicher Regeln vorführt. Vor allem das Machtgefälle zwischen Mann und Frau erzählt sie präzise: Selbst die gedemütigte Frau nimmt Rücksicht auf ihren Mann statt auf sich

Männer und Frauen und die tragischen Geschichten, die sich immer wieder wiederholen: In ihrem Roman "Der Sommer ohne Männer" wagt sich Siri Hustvedt an ein Thema, das leicht zum Kitschroman gerinnen könnte. Nach dreißig Jahren Ehe macht der Mann eine "Pause", diese hat einen "signifikanten Busen". Die Ich-Erzählerin erleidet einen Zusammenbruch und sucht Heilung bei ihrer Mutter auf dem Land. Dass diese Geschichte nicht peinlich wird, liegt an Hustvedts Klugheit, Schreibkunst und großen Portionen Humor und Ironie. Leichtfüßig tänzeln auch diverse Gender- und Postcolonial-Theorien durch den Text, ohne je zu belehrenden Fremdkörpern zu werden.

Frauenleben

Die mittleren Jahre (den Sommer!) einer verlassenen Frau mit erwachsenem Kind, diese kritische Zeit im Leben einer Frau, sieht sich Hustvedt an, indem sie mittels der Figuren, die der Ich-Erzählerin begegnen, auch andere Lebensphasen von Frauen einbringt. Mit den weiblichen Figuren wird Frauenleben in seinen Möglichkeiten und Grenzen erzählt: Da ist das fantasiebegabte Kind Flora, da sind die pubertierenden Schülerinnen im Schreibkurs, die eine Gleichaltrige brutal mobben, die Nachbarin Lola mit Kindern und schreiendem Mann, die Mutter der Protagonistin und andere Witwen: Frauen, die stark sind, auch wenn das Altwerden bitter und der Tod nah ist - und kommt. Die alte Abigail geht ihren "heimlichen Vergnügungen" nach: Mit subversiven Handarbeiten rebelliert sie gegen die Gesellschaft. Und mit Mr. Niemand, der gefühlten Abwesenheit, führt die Ich-Erzählerin philosophische Korrespondenzen.

Der metafiktionale Roman entlarvt Erinnerung und Chronologie als Fälschung; das erleichtert auch die Selbstironie, die begleitet wird von der Erkenntnis, dass sich solche Mann-Frau-Geschichten ständig wiederholen. "Können wir uns verändern und dieselben bleiben? Ich erinnere mich. Ich wiederhole."

Die Lästigen Eine amerikanische Chronik in Erzählungen. Von Joyce Carol Oates Ausgew. von Gabriele Jaskulla; aus dem Amerikan. von Susanne Röckel Eichborn 2011 378 S., geb., € 32,90

Der Sommer ohne Männer Roman von Siri Hustvedt Übersetzt von Uli Aumüller Rowohlt 2011.299 S., geb., € 20,60

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