Anspruchsvolles für Kids

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Die Entwicklung des Kindertheaters stagniert. Vom neuen Theaterhaus für Kinder in Wien verspricht man sich neue Impulse.

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Die Entwicklung des Kindertheaters stagniert. Vom neuen Theaterhaus für Kinder in Wien verspricht man sich neue Impulse.

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Wenn vom 28. bis 30. Juni 2001 die offizielle Arealeröffnung des Museumsquartiers stattfindet, wird auch das Theaterhaus für Kinder erste Lebenszeichen von sich geben. Zwar ist es noch nicht gebaut, aber "wir werden uns präsentieren", meint Irene Strobl, die interimistische Geschäftsführerin. Wo früher das Residenzkino war, sollen auf rund 1.000 Quadratmeter zwei Theatersäle, Seminar-, Workshopräume, Videothek und Bibliothek entstehen. Noch wird zwischen den städtischen Magistratsabteilungen für Kultur sowie für Bildung und außerschulische Jugendbetreuung verhandelt, wer wieviel der Kosten übernimmt. Rund 43 Millionen Schilling wird der Bau kosten, 16,5 Millionen Schilling sind für den laufenden Betrieb veranschlagt.

"Man kann jetzt hoffen", so Nutzervertreter und dietheater-Leiter Christian Pronay, "dass der neue Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny und Vizebürgermeisterin Grete Laska schnell zusammenfinden". Rasche Entscheidungen sind gefragt. Dass das Theaterhaus für Kinder kommen wird, daran hat er keine Zweifel. Bereits 1994 wurde eine Bedarfs- und Nutzungsstudie für ein Kindertheaterhaus in Auftrag gegeben. Diese, erstellt vom Institut für soziale und kulturelle Arbeit (ISKA), nannte den damaligen Messepalast als "optimalen Standort" für ein Theaterhaus der Freien Kindertheater und belegte dessen absolute Notwendigkeit. Seitdem gehören vor allem SPÖ-Kultursprecher Ernst Woller und Grete Laska zu den Befürwortern auf sozialdemokratischer Seite.

Im Vorfeld gibt es lange Arbeitssitzungen und Diskussionen innerhalb der Gremien, aber auch in der Freien Kindertheaterszene insgesamt. Kindertheater ist wieder ein Thema in Wien. Ab Herbst 2002 wird das Theater der Jugend einen neuen Direktor haben, Reinhard Urbachs Posten ist bereits ausgeschrieben. Wenn alles gutgeht, wird dann auch im Freien Theaterhaus für Kinder eine künstlerische Leitung Weichen für die Zukunft stellen. Wiens Kindertheaterlandschaft wird sich verändern. In Häusern, die bislang Spielorte der Freien Kindertheater waren, wird man sich neu orientieren müssen. "Ich glaube, dass es in all diesen Häusern, wie dem WUK (Werkstätten- und Kulturhaus), dem Theater des Augenblicks und bei uns weiterhin Kindertheaterproduktionen geben wird", meint Christian Pronay. "Es wird aber für alle Beteiligten, die mitgeholfen haben, die Szene zu entwickeln und letztlich mithalfen dieses Haus zu erreichen, eine ein bisschen bittere Pille zu schlucken geben."

Kein Schrebergarten Wer immer das künftige Freie Theaterhaus für Kinder leiten wird, darf auf einen Grundkonsens innerhalb der Szene bauen. Es sollte kein Schrebergarten werden, sondern eine Stätte, wo künstlerisches Theater für Kinder und internationaler Austausch stattfindet. Doch inzwischen wächst die Ungeduld. Zu lange, seit man in Wien von einer Kindertheaterszene sprechen kann, war ein Kindertheaterhaus eines ihrer dringlichsten Anliegen.

Geht man zurück, kann man ihr Entstehen etwa Ende der achtziger Jahre lokalisieren. Zwar gab es bereits früher einige Freie Kindertheater, doch zu dieser Zeit setzte eine neue kulturpolitische Entwicklung ein. Die Szene organisierte sich. Impulse kamen vom Theater der Jugend, das 1988 mit Reinhard Urbach einen Direktor bekam, der sich auch in der Freien Szene engagierte, erstmals gab es eine österreichische Sektion in der ASSITEJ (Association International du Theatre pour l'Enfance et la Jeunesse), dem 1947 gegründeten, weltweit größten Kindertheaterverband.

Die Gründung der AG (Arbeitsgemeinschaft) Kindertheater folgte bald und in die ersten Jahre der Neunziger fallen die Einführung eines eigenen Kindertheaterbeirates im Wiener Kulturressort und die ersten Konzepte für ein Freies Theaterhaus für Kinder. Internationale Kindertheaterfestivals entstanden: "Luaga & Losna" (1989) in Vorarlberg, "szene bunte wähne" (1991) in Niederösterreich, von 1992 bis 1996 boten auch die Wiener Festwochen und das WUK Festivals. "Es war", erinnert sich Stephan Rabl dessen "szene bunte wähne" mittlerweile zu den europaweit drei größten Festivals gehört, "eine Zeit des Aufbruchs". Sie sollte bis zur zweiten Hälfte der Neunziger dauern. Heute stellt sich die Situation anders dar.

In Wien gibt es tolle Kindertheaterprojekte. Man denke zum Beispiel an das Festival "Multikids" das gerade in dietheater Künstlerhaus stattfindet (bis 22. Mai) und ganz im Zeichen des kulturellen Miteinanders steht. Erika Kaufmann, hat es vor sechs Jahren gemeinsam mit dem inzwischen verstorbenen Vinko Pasalic ins Leben gerufen. "Mir wurde bewusst, wie viele Kinder in dieser Stadt aufwachsen, die nicht Deutsch als Muttersprache haben und welche Verantwortlichkeit wir ihnen gegenüber haben. Daraus hat sich der Wunsch entwickelt, diesen Kindern verstärkt Kulturangebote zu bieten, in ihrer eigenen Sprache und Kultur."

Resignation Die Gruppen kommen aus Tschechien, Kroatien, Deutschland und der Türkei. Besonderes Flair erhält das Festival durch die spezielle Schiene "Kids 4 Kids". Das ganze Jahr erarbeiten Lehrer und Künstler wie der Schauspieler Massud Rahnama, der Puppenspieler Peter Ketturkat oder die Tänzerin Aurelia Staub mit Kindern aus Wiener Schulen Theaterprojekte. Die Ergebnisse werden im Rahmen des Festivals gezeigt.

Ein anderes Beispiel ist dasTheater Foxfire, das mit "Verhüten und Verfärben" von Lilly Axter ohne pädagogischen Zeigefinger das Thema "Teenagerinnen-Schwangerschaft" - im dietheater Konzerthaus - aufgreift. "Wir versuchen Dinge immer von mehreren Seiten anzuschauen", so Axter. Neben der Regisseurin Nika Sommeregger sind sie und Corinne Eckenstein die einzigen, die versuchen, in das Theater für Kinder - in diesem Fall Jugendliche ab 13 - eine feministische Perspektive einzubringen.

Auch andere wären zu nennen, die sich immer wieder um neue Wege bemühen und ab und zu auch experimentielle Wege gehen. Theater ISKRA, Christoph Bochdansky, Hubertus Zorell etwa. Doch so exzellente und eindrucksvolle Produktionen manchmal zu finden sind, sie täuschen nicht darüber hinweg, dass die Entwicklung des Kindertheaters in Wien stagniert. Innovative Projekte, internationaler Austausch, die Entwicklung neuer Theaterformen finden von Ausnahmen wie "Multikids" oder dem "szene bunte wähne Tanzfestival" anderswo statt. Eher in der Provinz als in Wien.

Wo früher einmal Aufbruchstimmung war, ist heute, zumindest unter jenen, die nicht kommerzielles Theater machen, sondern auch Experimente wagen wollen, Resignation angesagt. Im finanziellen Kampf ums Überleben nivellieren Kindertheater ihre Ansprüche nach unten. Viele haben aufgegeben und gehen einen kommerziellen Weg, machen Musical, Märchen oder dramatisieren bekannte Kinderbücher. Nicht dass gegen solche Inszenierungen, wenn sie gut sind, etwas zu sagen wäre, doch Entwicklung darf man hier nicht erwarten. Eine solche muss bewusst gefördert werden.

Den Spagat hat zwischen vollem Haus und Innovation hat übrigens auch Reinhard Urbach versucht. Jetzt ist er dabei, das Handtuch zu werfen. "Ich bin vollmundig angetreten und musste lernen kommerziell zu denken und Versuche neue Wege zu gehen zu vermeiden", zieht der Direktor des Theaters der Jugend ein bitteres Resümee und gibt seine Hoffnung an die Freie Szene weiter: "Vielleicht gelingt es im Theaterhaus für Kinder jene Dinge auszuprobieren, die ich mir nicht leisten konnte".

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