Antonis Samaras’ letzte Chance

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Am Sonntag begannen Delegationschefs der Troika neue Verhandlungen in Athen. Zur gleichen Zeit sammelten sich die verschiedensten Gewerkschaften zu Massenstreiks auf den Straßen.

Eigentlich wollte Premierminister Antonis Samaras nach der kurzen Sommerpause durchstarten: "Wir haben den Kurswechsel geschafft“, verkündete er kürzlich. Seine Zuversicht gründete Samaras auf gute Daten: Die griechische Wirtschaft ist im zweiten Quartal saisonbereinigt erstmals seit fünf Jahren wieder etwas gewachsen, auch bei der Haushaltskonsolidierung liegt Athen vor dem Plan. In sechs Jahren, so Samaras, werde Griechenland wieder das Vor-Krisenniveau erreicht haben.

Aber so lange wollen die meisten Griechen nicht warten. Die Menschen spüren bisher keine Wende - sondern immer neue Einschnitte. Seit Tagen protestieren Zehntausende Staatsbedienstete, darunter Lehrer und Ärzte, mit Streiks und Demonstrationen gegen drohende Entlassungen im öffentlichen Dienst. Bis Ende 2014 sollen 40.000 Stellen gestrichen werden. Das wird die Arbeitslosenquote, die ohnehin schon bei fast 28 Prozent liegt, nach Einschätzung von Experten im kommenden Jahr auf 30 Prozent steigen lassen. Die radikal-linke Oppositionspartei Syriza facht die Proteste an. Oppositionschef Alexis Tsipras rief dazu auf, die Regierung mit Massenstreiks und Demonstrationen zu stürzen.

Sorge um weitere Sparauflagen

Aber Premier Samaras spürt nicht nur den Druck der Straße. Letzte Woche gab die Viohalko AG, Griechenlands größter Metallverarbeiter, die Verlegung ihres Firmensitzes nach Belgien bekannt. Viohalko beschäftigt rund 7700 Menschen und erwirtschaftet fast zehn Prozent aller griechischen Exporte. Damit kehrt bereits das dritte Großunternehmen Griechenland den Rücken. Hauptgrund des Exodus ist die Liquiditätsklemme, derentwegen die griechischen Banken selbst gesunden Unternehmen die Kreditlinien streichen.

Diese wirtschaftlichen Rückschläge trüben das von Samaras skizzierte positive Bild etwas, doch scheint die "Troika“ seine guten Aussichten zu teilen. Seit Sonntag sind Experten von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfond zu Prüfungen und Verhandlungen in Athen. Ein erstes Treffen ergab, dass Griechenland Fortschritte beim Haushalt macht und die Wirtschaft einen leichten Aufschwung erlebt. So wird ein primärer Haushaltsüberschuss für dieses Jahr erwartet, und anstelle der angenommenen 4,2 Prozent werde die griechische Wirtschaft um 3,8 Prozent der Wirtschaftsleistung schrumpfen. Dennoch bleibt eine große Finanzlücke. Finanzminister Ioannis Stournas beziffert den Fehlbetrag auf 10 Milliarden Euro. Daher wird ein drittes Hilfspaket in Aussicht gestellt, jedoch müsse im Gegenzug noch "vieles geleistet werden“. Diese Ansage schürt in Athen die Sorge, weitere Kredite könnten mit neuen Sparauflagen verbunden sein.

Samaras weiß, dass weitere Opfer politisch nicht durchsetzbar sind. 74 Prozent der Griechen, so eine Umfrage vom September, sehen ihr Land "auf dem falschen Weg“. 76 Prozent lehnen den Sparkurs ab, gegenüber 68 Prozent vor einem Jahr. Der Anteil der EU-Gegner ist binnen eines Jahres von 44 auf 55 Prozent gestiegen. Diese Stimmung kann Samaras nicht ignorieren. Er machte seinen Gesprächspartnern in Brüssel deutlich: Neue Einschnitte sind der Bevölkerung nicht zuzumuten. Alles hänge nun an einem seidenen Faden, es stehe "auf Biegen und Brechen“, sagt ein Regierungsmitarbeiter. Im Klartext: Ein neues Sparprogramm würde die Regierung Samaras zu Fall bringen.

Was Tsipras zum Zug bringen dürfte. Umfragewerte sehen seine Partei Syriza vor der regierenden Nea Dimokratia. Am letzten Freitag skizzierte der linksradikale Politiker seine politischen Pläne für Griechenland imWiener Bruno-Kreisky-Forum, wo er zum Thema "Überfluss gegen Defizitstaaten: Eine tödliche Bedrohung für die Zukunft Europas“ sprach. Weder aus der EU noch aus dem Euro wolle er austreten. Die Krise sei ein gesamteuropäisches Problem und müsse gesamteuropäisch gelöst werden.

Griechenland, der Kanarienvogel

Zur Verdeutlichung wird Tsipras poetisch: "Griechenland war der Kanarienvogel, dessen Tod den Bergmännern sagt, dass mit der Mine etwas nicht stimmt.“ Die bisherigen Hilfsgelder vermochten die wirtschaftliche Lage seines Landes nicht zu verbessern, da sie hauptsächlich für die Tilgung von Zinsen aus älteren Darlehen verwendet wurden. Daher werde er im Falle eines Wahlsieges und einer Regierungsbeteiligung die Verträge mit Geldgebern kündigen und einen Marshallplan nach deutschem Vorbild für die Krisenländer in Europa fordern.

Ob Samaras eine Lösung findet, die dem Druck der Straßen Athens standhalten kann oder der neue Ministerpräsident bald Alexis Tsipras heißt, bleibt eine offene Frage.

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