Zeitgespräch
Die Macht zu lieben gilt zu Recht als nicht sehr moralisch und wenig erstrebenswert. Warum also soll es moralisch und erstrebenswert sein, Gott, die höchste Macht, zu lieben? Kann man das, was letzte Macht über einen hat, überhaupt wirklich lieben, von gleich zu gleich, nicht aus Furcht und Opportunismus und in mediokrer Untertanenmentalität?
Für mich gibt es nur einen Grund, Gott zu lieben, oder besser: ein Leben lang zu versuchen, herauszufinden, was es heißen könnte, Gott zu lieben: dass Gott selbst die Liebe ist. Dass also an der Spitze der Macht Demut und Aufmerksamkeit steht - und nicht als Ornament dieser Macht, sondern als Realität ihrer Existenz.
In ökumenischer Gemeinsamkeit mit Benedikt XVI. und Ina Praetorius traue auch ich mich zu sagen: Weil Gott uns zuerst geliebt hat (1 Joh 4,10), ist die Gottesliebe "nicht mehr nur ein 'Gebot', sondern Antwort auf das Geschenk des Geliebtseins, mit dem Gott uns entgegengeht". Gottes- und Nächstenliebe gehören so zusammen, sagt der Papst, "dass die Behauptung der Gottesliebe zur Lüge wird, wenn der Mensch sich dem Nächsten verschließt oder gar ihn hasst". Aber sie werden wieder stark, sie stehen wieder auf, die Menschenverächter, die Gottesbesitzer, die Rechthaber, in allen Religionen, auch bei uns. Ich habe Angst vor ihnen. Sie sind Gottesverächter, dessen bin ich sicher.
Ob man sich auf Gottes Liebe verlassen kann? Ich weiß es nicht. Aber Friedrich von Spee hat es getan, als er verzweifelt mit den gefolterten Frauen gebetet hat, Alfred Delp und Dietrich Bonhoeffer und Sophie Scholl sind dafür gestorben. Sie sind mit Jesus hinabgestiegen in das Reich des Todes im Vertrauen, dass Gott sie liebt, und im Vertrauen auf ihre Liebe zu Gott. Irgendwann steht uns das auch bevor. Ich hoffe und bete darum, dann Gott lieben zu können.
Der Autor ist Pastoraltheologe an der Kath.-Theol. Fakultät Graz
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